Die Unionsparteien bereiten sich schon auf die Regierungsübernahme vor, zumindest verbal. Die Rufe nach vorgezogenen Neuwahlen, dem Stellen der Vertrauensfrage durch Kanzler Olaf Scholz oder gar der Intervention des Bundespräsidenten sind deutliche Anzeichen dafür, dass CDU und CSU den Druck auf das Ampel-Bündnis, allen voran die SPD, erhöhen. Nicht nur die Ergebnisse aus den EU-Wahlen geben den Schwesterparteien CDU und CSU Rückenwind, auch die derzeitigen Umfragewerte stimmen die Konservativen zuversichtlich. Bereits am Wahlabend zum EU-Parlament werteten manche Kommentatoren das Resultat als „Misstrauensvotum gegen die Ampel“. CSU-Chef Markus Söder rief nach Neuwahlen, und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte Bundeskanzler Scholz auf, die Vertrauensfrage zu stellen. Nur wenige Wochen nach dem EU-Wahldebakel für die Ampel sorgte die Botschaft, dass sich die CDU noch in diesem Jahr auf Neuwahlen vorbereite, für Aufsehen.
CDU-Chef Merz hofft auf vorgezogene Neuwahlen vor Weihnachten
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, Kanzlerfavorit des konservativen Flügels in den Unionsreihen, bereitete die Partei auf vorgezogene Neuwahlen noch vor Weihnachten 2024 vor. Wie verschiedene Medien berichten, gehe Merz, der auch Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, davon aus, dass die Regierungsparteien bei den im September anstehenden Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen (1. September), Thüringen (1. September) und Brandenburg (22. September) viele Stimmen verlieren und die Koalition diesem Druck nicht mehr Stand hält und letztendlich zerbricht. Die Union spekuliert darauf, dass in diesem Fall Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen, im Falle einer Niederlage Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflösen und somit den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen könnte. Deshalb wurde auch während der parlamentarischen Sommerpause der Druck aus der Union auf die Ampelkoalition aufrechterhalten. Gerade im Hinblick auf den koalitionsinternen Streit um die Haushaltsberatungen, bei denen die Ampel wenig Geschlossenheit demonstriert, sah die Union Möglichkeiten, die Ampel-Parteien zu attackieren.
Ampel-Bündnis fehlt der Kompass
Auch in der Frage des Bürgergeldes, in der vor allem SPD und Grüne ihre Versprechen revidieren mussten und fast komplett auf Unionslinie getrieben wurden, gibt es einen deutlichen Glaubwürdigkeits- und Rückhaltsverlust in der Bevölkerung. Zudem könnten sich die anscheinend mit den Koalitionspartnern nicht abgestimmten Vorstöße von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, wie beispielsweise das Compact-Magazin-Verbot, heimliche Hausdurchsuchungen, das verdeckte Installieren von Spähsoftware oder das Verbot von irannahen Moscheegemeinden letztendlich als kontraproduktiv für die Ampel-Koalition erweisen. Auch für Nancy Faeser persönlich wird die Luft immer dünner. Die Innenministerin gibt mit diesen selbstverantworteten Aktionen alles andere als eine glückliche Figur ab, macht sich damit angreifbar und katapultiert sich somit zum schwächsten Glied innerhalb des Regierungskabinetts. Vor allem aus den Reihen des Koalitionspartners FDP kommt immer wieder deutliche Kritik am Vorgehen der SPD. Es sind nicht nur FDP-Vorsitzender und Bundesfinanzminister Christian Lindner oder Bundesjustizminister Marco Buschmann, die Kritik an SPD und Grüne äußern. Insbesondere der liberale Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki gehört zu den schärfsten Kritikern der Ampel und drohte des Öfteren mit einem „Ampel-Bruch“. Die rote Linie innerhalb des Bündnisses? Streit. Der Koalition scheint der Kompass zu fehlen.
Mehrheit der Deutschen möchte vorgezogene Neuwahlen
In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA von Anfang August befürworteten 53 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Deutschland vorgezogene Neuwahlen. Nur 37 Prozent der Befragten waren dafür, dass das Ampel-Bündnis bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 die Regierungsgeschäfte fortführt. Der gleichen Umfrage zufolge sprachen sich 78 Prozent der SPD-Wähler und 74 Prozent der Grünen-Wähler gegen vorgezogene Neuwahlen aus. Während nur 51 Prozent der FDP-Wähler gegen vorgezogene Neuwahlen waren, befürworteten 43 Prozent diese.
Die Deutschen verlieren Vertrauen in die Bundesregierung
Gleichzeitig scheint das Vertrauen in die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP von Tag zu Tag zu schwinden. Den Ergebnissen einer Umfrage in Deutschland zum allgemeinen Vertrauen in die Regierung zufolge gaben im Frühjahr 2024 rund 55 Prozent der Befragten in Deutschland an, der Regierung eher nicht zu vertrauen. In einer anderen, repräsentativen Untersuchung im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes (dbb) kam heraus, dass 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den deutschen Staat für überfordert hielten. Nur noch 25 Prozent glaubten demnach daran, dass Staat und Politik ihre Aufgaben erfüllen. Laut einer aktuellen Umfrage des ZDF-„Politbarometers“ stellten 62 Prozent der Befragten der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis aus. Trotz aller Streitereien zwischen den Ampel-Partnern gaben dieser Umfrage nach immer noch 74 Prozent der Befragten an, die Ampel werde bis zum regulären Wahltermin der Bundestagswahl 2025 (voraussichtlich 28. September 2025) durchhalten.
Union will K-Frage noch im Herbst klären
Doch wer wird Kanzlerkandidat der Union? Die Schwesterparteien bekräftigen stets, dass sie im Herbst bekannt geben werden, wer ihr Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl im nächsten Jahr sein wird. Sowohl der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der im „ZDF- Sommerinterview“ Rede und Antwort stand, als auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der im „ARD-Sommerinterview“ vorsprach, betonten, die Union werde ihren Kanzlerkandidaten „geschwisterlich“ nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bestimmen und bekannt geben. Markus Söder, der seit 2018 bayerischer Ministerpräsident ist und in den Jahren zuvor verschiedene Ministerämter innehatte, zeigte sich zuversichtlich, dass die Parteien im Herbst gemeinsam eine konkrete Entscheidung über den Kanzlerkandidaten treffen werden.
Bei Direktwahl des Kanzlers wären Unionskandidaten in Favoritenrolle
Nach einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa würde Kanzler Olaf Scholz bei einer Direktwahl des Regierungschefs nur 23 Prozent erhalten. Bei einem Duell zwischen Scholz und Merz käme der CDU-Vorsitzende demnach auf 35 Prozent. Auch bei einem Zweikampf zwischen Scholz und CSU-Chef Markus Söder würde der Kanzler den Kürzeren ziehen. Der bayerische Ministerpräsident käme auf 41 Prozent und bei einem Duell mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der sich mit 26 Prozent gegen den amtierenden Bundeskanzler durchsetzen würde, sähe es ebenfalls nicht besser aus für Scholz.
Allerdings ist eine Direktwahl des Bundeskanzlers im politischen System Deutschlands nicht möglich. Gewählt wird der Regierungschef hier durch die Bundestagsabgeordneten.
Aktuell nur „Große Koalition“ oder „Schwarz-Grün“ möglich
Wären an diesem Wochenende Bundestagswahlen, kämen CDU/CSU laut Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen vom 15. August auf 32 Prozent. Zweitstärkste Partei in Deutschland wäre die in Teilen gesichert rechtsextremistische AfD, die 16 Prozent erreicht. Für die SPD würden 14 Prozent und für die Grünen 13 Prozent stimmen. Dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) werden acht Prozent vorhergesagt. Zwei Parteien würden derzeit an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern: Die FDP käme auf nur vier Prozent. Die Linke erreicht weiterhin drei Prozent und wäre nicht mehr im Bundestag vertreten. Rechnerisch möglich wären damit Koalitionen aus CDU/CSU und SPD oder CDU/CSU und Grünen.
Politik ist wie Fußball
Fest steht: Bei einer Niederlage der Ampel-Parteien, allen voran der SPD, bei den bevorstehenden Landtagswahlen im Osten, wird sich der Druck auf die Regierungskoalition nochmal um ein Vielfaches erhöhen. Die Regierungsfähigkeit wird dann nicht nur von der politischen Konkurrenz, sondern auch durch die Bevölkerung stärker als jetzt in Frage gestellt. Und vor allem: Die FDP, die derzeit in Umfragewerten nicht über fünf Prozent kommt, könnte die unpopuläre Koalition wie schon einmal in der Geschichte der Bundesrepublik zu Fall bringen, um doch noch die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und auf ein Bündnis mit liberaler Beteiligung zu hoffen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen deuten auch die aktuellen Meinungsumfragen auf einen Regierungswechsel in Deutschland im nächsten Jahr hin – sofern nichts Außergewöhnliches passiert. Aber bei der Politik ist es ähnlich wie im Fußball: Am Ende kann sich noch alles drehen.