Der türkische Präsident führt sein Land seit zwei Jahrzehnten - zunächst als Ministerpräsident und seit August 2014 als Staatspräsident. Es verdient Anerkennung auch nach 21 Jahren an der Macht so ein überragendes Ergebnis einzufahren. Das Ergebnis zu respektieren ist zugleich eine Würdigung des Wählerwillens. Erdoğan hat die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen mit 52,18 Prozent für sich entschieden. Für den Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu, der nun seine 13. Wahlniederlage in Folge hinnehmen musste, votierten 47,82 Prozent der Türken. Die Differenz zwischen dem türkischen Präsidenten und seinem Herausforderer liegt bei etwa 2,5 Millionen Stimmen. Die Wahl ist also gar nicht so knapp ausgefallen, wie manche Beobachter es gerne deuten möchten. Im Übrigen war das Ergebnis lange Zeit absehbar, auch wenn einige hiesige Medien ein anderes Bild vermittelt haben. Es scheint, dass bei einigen Journalisten oder Politikern die persönliche Hoffnung mit der Realität kollidiert ist.
Werden die Menschen mit Wunschdenken an der Realität vorbei informiert?
Der Journalist Oliver Stock weist in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin Focus genau auf diese Absurdität hin: In einem Kommentar zu den Wahlen in Türkiye wirft Stock beispielsweise der „Bundeszentrale für politische Bildung“ vor, ein „politisches Bild von Gut und Böse“ gezeichnet zu haben und macht deutlich, dass die Mehrheit der Beobachter in Deutschland sich eingestehen müsse, „mal wieder Wunschdenken mit Wirklichkeit verwechselt zu haben“. Er schreibt ferner: „Was nicht sein darf, dass nicht sein kann, lautet das zutiefst undemokratische Credo jener Beobachter, die diese schiefen Bilder zeichnen. Wenn es dann ganz anders kommt, lautet der erste Satz dieser Schiefzeichner nach der Entscheidung: Das Land sei tief gespalten. Dass nur in sozialistischen Republiken Wahlergebnisse erzielt werden, an denen sich keine Spaltung ablesen lässt, ist diesen Kommentatoren gleichgültig.“ Für diese befangenen Leute stehe ihre Haltung vor ihrer Berichterstattung. „Dabei ist ihre Aufgabenbeschreibung, ganz gleich, ob sie Politiker oder Journalisten sind, eine ganz andere. Sie lautet schlicht: ‚Sagen, was ist.‘“, so Stock. Wenn diejenigen, die ein fehlerhaftes Bild gezeichnet haben, sich an die Realität und Objektivität gehalten hätten, wäre die Enttäuschung hinterher auch geringer ausgefallen.
Hohe Wahlbeteiligung deutet auf eine intakte Demokratie hin
In Türkiye lag die Wahlbeteiligung bei 84,15 Prozent, während viele Staaten in Europa und in den USA weit entfernt von diesem Wert liegen. Eine ähnlich hohe Beteiligung an den Bundestagswahlen gab es beispielsweise in Deutschland zuletzt 1987. In Frankreich sieht die Situation deutlich schlechter aus. Im Jahr 2022 war dort die Teilnahme bei den letzten Parlamentswahlen mit etwa 47,5 Prozent sehr gering. In den USA liegt die Wahlaktivität der Bevölkerung dagegen traditionell auf einem niedrigen Niveau. In vielen westlichen Staaten nimmt die Tendenz zum Nichtwählen seit Jahren zu. Das ist problematisch für die Demokratie. Die Wahlen in Türkiye sind allein aufgrund der Beteiligung ein Musterbeispiel für die demokratische Legitimität. Der Politologe Thorsten Faas sagt, dass die Wahlbeteiligung ein „wichtiger Indikator für die Gesundheit“ einer Demokratie sei. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die türkische Demokratie durchaus stabil, intakt und leistungsfähig ist.
Wieso Erdoğan bei den Deutschtürken beliebt ist
Dass so viele Deutschtürken für Erdoğan gestimmt haben, zeigt, dass der türkische Präsident es immer wieder schafft, diese Menschen emotional anzusprechen. Die Deutschtürken sehen die rasante Entwicklung der Türkiye in vielen Bereichen des Lebens: Angefangen von der Infrastruktur, dem technologischen Fortschritt, der Digitalisierung, des Fortschritts im Gesundheits- und Sozialwesen, der Kultur- und Bildungspolitik, der Außen- und Sicherheitspolitik usw. Türkiye entwickelt sich derzeit zu einer internationalen Energiedrehscheibe. Diese Erfolge und positiven Veränderungen bekommen auch die Deutschtürken mit. Und: Erdoğan kümmert sich auch um die Anliegen und Belange der Deutschtürken, wie kein anderer Politiker vor ihm. Viele Menschen bringen das folgendermaßen auf den Punkt: „Yaparsa Erdoğan yapar” („Wenn einer es macht, dann Erdoğan“).
Deutschland sollte das Potential der Deutschtürken, die für Erdoğan gestimmt haben, besser nutzen
Die Menschen, die Erdoğan gewählt haben, sind gut integrierte Bürger. Da die AK Partei eine klassische Volkspartei ist, bekommt sie und ihr Parteivorsitzender Stimmen aus allen Bildungsschichten, aus allen sozialen Milieus, aus allen Landesteilen, dem Zentrum wie der Peripherie, aus allen ethnischen und konfessionellen Bevölkerungsteilen von Türkiye. So auch bei den Deutschtürken. Von einer Absage an die Integration kann hier keine Rede sein. Für diese Menschen gibt es kein „entweder oder“, sondern ein „sowohl als auch“. Diese Menschen zu verprellen und ihnen eine mangelnde Integration zuzusprechen, würde Deutschland nicht nützen. Diese Menschen setzen sich für eine „Win-Win“-Situation ein, wo Deutschland und Türkiye gemeinsam profitieren. Deutschland könnte, ja müsste, diese Deutschtürken viel besser für die bilateralen Beziehungen nutzen, anstatt wie seit Jahrzehnten Türkiye-kritische, zum Teil sogar Türkiye-feindliche, Politiker und Personen zu fördern.