Fake News Tastatur (Getty Images)
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Die Globalisierung hat zwar zahlreiche Errungenschaften mit sich gebracht, aber auch vielen negativen Entwicklungen wie Terrorismus, Umweltverschmutzung, Klimawandel und Desinformation den Weg gebahnt. Die überwältigende Mehrheit der Bedrohungen für die Menschheit und ihre Werte sind die Kollateralschäden von Errungenschaften, die versprachen, die Menschheit voranzubringen. Eine ähnliche Rolle kommt den Kommunikationstechnologien zu. Obwohl die Verbreitung des Internets und der sozialen Medien viele Bereiche wie Transport, Kommunikation, Einkauf und Bankgeschäfte erleichtert hat, ist das damit einhergehende Problem der Desinformation zu einer neuen Bedrohung für die Menschheit mutiert.

Stratcom Summit '21 in İstanbul

Es ist erforderlich, sich ernsthaft mit Desinformationsaktivitäten zu befassen, die das hohe Gut der Meinungsfreiheit aushöhlen, die öffentliche Ordnung untergraben und eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie darstellen, indem per Manipulation versucht wird, Einfluss auf die freie Meinungsbildung zu nehmen. Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan unterstrich in seiner Rede im Rahmen der Veranstaltung „Stratcom Summit '21“, die von der Direktion für Kommunikation der Republik Türkei organisiert wurde, dass sich die Desinformation zu einem globalen Sicherheitsproblem entwickelt hat, auch weil soziale Medien zu einer Brutstätte von Missinformation geworden sind und damit eine der größten Bedrohungen für heutige Demokratien darstellen. Obwohl viele Staaten, darunter auch die Türkei, weiter an gesetzlichen Regelungen zur Eindämmung von Desinformation und zur Regulierung sozialer Medien arbeiten, sollte in diesem Zusammenhang klar sein, dass nationale Initiativen allein aufgrund der globalen Natur der Bedrohung nicht ausreichen werden.

Deshalb fällt den Vereinten Nationen (UN) als wichtige Plattform bei der Bekämpfung globaler Bedrohungen wie Klimawandel, Dürre, Pandemie, Hunger und Terrorismus auch bei dieser Thematik eine wichtige Rolle zu. Leider agieren die Vereinten Nationen jedoch im Kampf gegen Desinformation unzureichend.

Bereits vorhandene Aktivitäten der UN zu dieser Thematik

Die Unzulänglichkeiten der Vereinten Nationen im Kampf gegen Desinformation wurden bereits auf der 2012 von ihr organisierten World International Telecommunication Conference deutlich. Obwohl in den Artikeln der Abschlussvereinbarung alle Staaten auf ihre Verantwortung hinsichtlich des Umgangs mit dem Internet verpflichtet werden sollten, unterzeichneten lediglich 89 der 144 Teilnehmerstaaten die unverbindliche Erklärung. Auffällig dabei war, dass Staaten wie die USA, Kanada, Großbritannien und Deutschland diese Erklärung nicht unterzeichneten.

Interessanterweise brachten die USA erst nachdem sie 2016 massiven Desinformationskampagnen ausgesetzt waren ein Gesetzesvorhaben auf den Weg, und auch Deutschland erkannte mit dem als NetzDG bekannt gewordenen Gesetz erst 2017 und damit vergleichsweise spät die Ernsthaftigkeit der Problematik. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass Russland – als Unterzeichner der Vereinbarung – hinter globalen Desinformationskampagnen vermutet wurde und wird. Und obgleich zahlreiche Staaten nationale Gesetze gegen Desinformationsaktivitäten verabschiedet haben, nutzen sie diese nach wie vor als Instrument bei der Auseinandersetzung mit als Feinden ausgemachten Kräften.

Die falschen Nachrichten der Deutschen Welle-Türkisch über die Türkei und insbesondere der jüngste Beitrag über den vermeintlichen „Genozid an Tscherkessen“ stehen beispielhaft für die aktuell vorherrschende Situation. Obwohl Staaten wie Deutschland selbst Gesetze wie das schon genannte NetzDG erlassen haben, das die Verantwortung für die Verfolgung strafrechtlich relevanter Inhalte auf private Unternehmen überträgt und die eigentlich schutzbedürftigen Güter den freien Kräften des Marktes überlässt, ist es interessant zu sehen, wie es tatenlos zusieht, wenn ausgerechnet die Regelungen der Türkei zur Desinformationsbekämpfung von der DW Türkisch als „Zensurgesetze“ charakterisiert werden. So wird eine länderübergreifende Bekämpfung der Desinformation unmöglich gemacht.

Trotz dieser widersprüchlichen Haltung der Staaten thematisierte der vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen veröffentlichte Bericht die Intervention von Staaten in die Gedanken- und Meinungsfreiheit und verpflichtete diese zur Sicherung dieser Grundrechte. In diesem Zusammenhang ist es eine wichtige Entwicklung, dass Staaten im Allgemeinen und Privatunternehmen im Besonderen nachdrücklich auf ihre Verantwortung hinsichtlich der Einhaltung des Artikels 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hingewiesen werden. Einfacher ausgedrückt hat damit der Menschenrechtsrat der UN die Einsicht befördert, dass soziale Medien in einem Umfeld zu agieren haben, das reguliert werden muss und die effektive Bekämpfung der Desinformation eine fortlaufende Aufgabe ist, die letztlich Meinungsfreiheit gewährleistet und eben nicht Freiheiten einschränkt. Der Bericht des Rates enthält auch ideologische Kritik an der Strafgesetzgebung einzelner Staaten. Diese Form der Kritik erschwert den Ausgleich bzw. die Versöhnung von Staaten und vertieft die bestehende Entfremdung von UN-Mitgliedstaaten, was es wiederum der UN erschwert, die eigenen Aufgaben zu erfüllen.

Wie geht es weiter?

Es ist eine wichtige und begrüßenswerte Entwicklung, dass der Menschenrechtsrat, eine Unterorganisation der Vereinten Nationen und mit gerichtsähnlichen Befugnissen ausgestattet, den Staaten eine positive Verpflichtung im Kampf gegen Desinformation auferlegt hat. Wir müssen jedoch hinzufügen, dass die oben genannte Entwicklung allein nicht ausreicht. Es ist darüber hinaus notwendig, dass die Vereinten Nationen einen Rahmenvertrag zur Bekämpfung von Desinformation verabschieden. Wenn dieser Rahmen nicht geschaffen wird, werden Staaten versuchen, ihre Gesetzgebungsaktivitäten gegenseitig zu untergraben, indem sie diese je nachdem als „Menschenrechtsverletzungen“ brandmarken, wie wir es am Beispiel der DW Türkisch gesehen haben. Konkret heißt das, dass die im Bericht des Menschenrechtsrats formulierte positive Verpflichtung, die Menschenrechte vor einem ungebändigten Kapitalismus durch die staatliche Regulierung des Informationsraums zu schützen, erst mit einem anzustrebenden Rahmenabkommen eine völkerrechtliche Grundlage erhalten würde, die eine Aushöhlung des juristischen Kampfes von Staaten gegen Desinformationskampagnen verhindern kann.

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