Kann die Vielfalt der Region Karabach beim Wiederaufbau durch Aserbaidschan gewährleistet und können wirklich alle Kulturstätten geschützt werden?
Karabach war im Verlauf der Geschichte eines der kulturellen Zentren Aserbaidschans. Dieses historische Gebiet wurde Anfang der 1990er Jahre von Armenien besetzt. Danach wurde versucht, das kulturelle Erbe Aserbaidschans vollständig aus der Region zu beseitigen. In den letzten 30 Jahren wurde neben der ethnischen Säuberung der Karabach-Aserbaidschaner auch ihre Kultur dem Genozid ausgesetzt. Schließlich stellte Aserbaidschan die historische Gerechtigkeit wieder her, indem das Land seine besetzten Gebiete befreite. Seitdem besteht unsere Hauptaufgabe darin, Bauarbeiten in ganz Karabach durchzuführen, damit die aserbaidschanischen Binnenvertriebenen schnellstmöglich in ihre Heimat zurückkehren können. Aserbaidschan ist historisch mit den Traditionen des Multikulturalismus verbunden – und diese Politik bildet heute unsere staatliche Politik. Dies wird natürlich auch in Karabach umgesetzt. In Aserbaidschan existieren alle Religionen frei nebeneinander. Religiöse Kulturstätten werden vom Staat gebaut, restauriert und geschützt. Bestehende religiöse Zentren in Karabach werden ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben, zerstörte bzw. renovierungsbedürftige Moscheen und Kirchen restauriert, kulturell zwangsumgewandelte Stätten wieder zu ihren Wurzeln zurückgeführt. Trotz der Tatsache, dass Armenien seit fast 30 Jahren unter Missachtung der Normen und Grundsätze des Völkerrechts Kriegsverbrechen begeht, war und ist keine Aktivität des aserbaidschanischen Staates gegen eine Nation oder Kultur gerichtet. Offensichtlichstes Beispiel hierfür ist, dass in Aserbaidschan nach wie vor Armenier frei leben. Es wurde zu keiner Zeit Druck auf sie ausgeübt. Auch die armenische Kirche im Zentrum von Baku und die armenischsprachige Literatur an diesem Ort des Glaubens wurden vom Staat erhalten und sogar restauriert. Dieses Vorgehen ergibt sich aus der Bedeutung, die Aserbaidschan dem interkulturellen und interreligiösen Dialog beimisst. Sie können also sicher sein, dass dies auch nach den Bauarbeiten in Karabach so bleibt.
Wie bewerten Sie die jüngsten Aussagen und Bedenken der UNESCO zum Schutz des kulturellen Erbes?
Ich kann die Bedenken der UNESCO nicht wirklich nachvollziehen und empfinde den neuesten Ansatz dieser angesehenen internationalen Organisation als eine Doppelmoral. Aserbaidschan ist ein Land, das eng mit der UNESCO zusammenarbeitet und in vielen Ausschüssen vertreten ist. Es hat viele internationale Entscheidungen der UNESCO und entsprechende Dokumente anstandslos angenommen. Der Schutz des kulturellen Erbes ist stets ein sensibles Thema – nicht nur im Kaukasus, sondern auf der ganzen Welt. Während der 30-jährigen Besetzung der historischen Gebiete Aserbaidschans wurden sämtliche historischen und religiösen Denkmäler zerstört, wobei Aserbaidschan wiederholt an die UNESCO appellierte, sich einzumischen und eine Mission in der Region Karabach zu organisieren. Die UNESCO tat dies jedoch nicht mit dem Argument, dass sie keine politische Organisation sei. Aber aus irgendeinem Grund beschließt die UNESCO heute, eine solche Mission auszuführen und sich politisch zu engagieren. Das ist doch äußerst seltsam und absolut widersprüchlich! Die UNESCO ist eine zwischenstaatliche Organisation, und ihr Versuch, die politische Ordnung eines bestimmten Staates zu verwirklichen bzw. wiederherzustellen, entspricht nicht ihrem Mandat. Die Behauptung, das kulturelle Erbe in Aserbaidschan sei gefährdet, ist völlig unbegründet. In Aserbaidschan wurde bisher kein kulturelles Erbe vernichtet oder zerstört – das gilt auch für armenisches Erbe. Solche Handlungen lehnt die aserbaidschanische Regierung auch weiterhin ab. Wenn die UNESCO wirklich eine Mission in Aserbaidschan durchführen will, haben wir keine Einwände. Da diese Aktion jedoch auf dem Hoheitsgebiet Aserbaidschans durchgeführt werden soll, müssen alle Rahmenbedingungen vorab vollständig mit der aserbaidschanischen Seite besprochen und vereinbart werden.
Sie haben betont, dass das kulturelle Erbe Aserbaidschans in Karabach zerstört oder verändert wurde. Welche Maßnahmen sind diesbezüglich in Zukunft geplant?
Natürlich wird die aktuelle Situation zunächst analysiert und dokumentiert. An dieser Arbeit werden auch internationale Organisationen beteiligt sein. Danach wird der materielle Schaden, der Aserbaidschan aufgrund der Besetzung Karabachs durch Armenien zugefügt wurde, berechnet und bei internationalen Gerichten im Rahmen des Gesetzes geltend gemacht. Die armenische Seite muss Entschädigung leisten. Die Taten werden dem Völkerrecht zugrunde gelegt und bewertet. Die Kriegsverbrechen müssen allerdings als Gegenstand des internationalen Strafrechts betrachtet werden. Andernfalls führt dies zu Gesetzlosigkeit und weiteren, unnötigen Völkerrechtsverletzungen. Die aserbaidschanische Seite arbeitet derzeit Schritt für Schritt in diese Richtung. Andererseits kann ich Ihnen versichern, dass unser zerstörtes kulturelles Erbe in Karabach bald wiederhergestellt wird, damit die Region so schnell wie möglich ihr altes Erscheinungsbild zurückbekommt, das sie vor der Besetzung innehatte. Alle historischen und religiösen Denkmäler werden nach der Restaurierung ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben. Daran besteht kein Zweifel: Aserbaidschan wird auch weiterhin an der Politik des Multikulturalismus festhalten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Ravan Hasanov ist Geschäftsführer des Baku International Multiculturalism Centre. Zu den Hauptzielen der Einrichtung zählen die Wahrung von Toleranz, die Sicherstellung kultureller, religiöser und sprachlicher Vielfalt in Aserbaidschan.