von Ali Özkök
Rauf Mammadov ist ein langjähriger Spitzenmanager des aserbaidschanischen staatlichen Ölkonzerns SOCAR und Dozent für Energiepolitik am Middle East Institute. Seine Forschungsschwerpunkte sind die postsowjetischen Länder Eurasiens und die Beziehungen zwischen dem Nahen Osten, Zentralasien und dem Südkaukasus mit besonderem Augenmerk auf der Energiepolitik.
TRT Deutsch sprach mit ihm über aktuelle Entwicklungen im Bergkarabach-Konflikt und in der Region generell.
Dass Aserbaidschan erfolgreich große Teile von Bergkarabach zurückholen konnte, wurde nicht zuletzt durch türkische Unterstützung möglich. Welche Rolle wird das Land künftig in der Region spielen?
In erster Linie hat die Türkei sich ein Mandat zur Überwachung des Waffenstillstandsprozesses gesichert. Technisch ist Ankara in einer Mitverantwortung zur Bewahrung des Friedens in der Region, was mit dazu beiträgt, das Gewicht seiner aktiven Außenpolitik in der Region und anderswo aufrechtzuerhalten.
Die aufstrebende, proaktive Außenpolitik der Türkei hat ihr eine Reputation als verlässlicher Partner eingebracht, allerdings auch einen nicht vermeidbaren Gegenwind vonseiten anderer Player, deren strategische Interessen mit der Politik Ankaras in Konflikt stehen. Wie schon in Libyen und Syrien muss die Türkei im Südkaukasus einen Drahtseilakt vollziehen, ohne die Balance mit Russland zu stören. Bis dato hat die Türkei das ganz gut hinbekommen und sich nirgendwo dauerhaft hineinziehen lassen.
Mit dem Inkrafttreten des Waffenstillstandsabkommens vom 10. November 2020 hat Aserbaidschan die Befreiung weiter Teile des zuvor besetzten Bergkarabach besiegeln können. Welche Teile des Gebiets sind jetzt noch in der Hand der Separatisten?
Der verbleibende von Armenien besetzte Teil mit seinem Verwaltungs-Hauptquartier in Stepanakert ist international nicht anerkannt. Das Gebilde hat einen Flughafen, der nicht bedient wird, und lebt von Spenden der armenischen Diaspora.
Wie kann man den derzeitigen Status dieser protostaatlichen Einheit beschreiben und welche Perspektiven hat diese unter den gegebenen Umständen?
Die Vereinbarung vom 10. November ist keine ausverhandelte Konfliktbeilegung. Es ist eine Erklärung über einen Waffenstillstand, und vom Standpunkt des Völkerrechts aus bedarf es zur Gültigkeit einer gründlichen Prüfung. Die internationale Gemeinschaft, darunter auch die Vereinten Nationen, reagierte mit positiven Erklärungen, welche das Ende des Blutvergießens in den Vordergrund stellten.
Die Erklärung beinhaltet die Elemente einer vorläufigen Vereinbarung über die fundamentalen Prinzipien des Waffenstillstandes. Was den derzeitigen und künftigen Status von armenisch besiedelten Gebieten anbelangt, über die Aserbaidschan die faktische Souveränität noch nicht zurückerhalten hat, ist sie unklar. Die Führung in Baku hat wiederholt deutlich gemacht, dass eine Statusdebatte überflüssig sei. Die Führung in Stepanakert/Khankendi geht hingegen davon aus, dass die Angelegenheit immer noch offen sei. Jerewan unterstützt natürlich die Position von Stepanakert.
Wird die russische Friedensmission in Karabach die Gefahr einer neuerlichen Eskalation vermindern?
Die russische Friedensmission hat bestimmte Rechte und Pflichten und verfügt sowohl über den politischen Einfluss als auch über die militärischen Kapazitäten, um ihre Aufgaben in Bergkarabach zu erfüllen. Die Schwerpunkte des russischen Friedenserhaltungs-Personals liegen auf der Absicherung der Erhaltung des Status quo auf dem Boden und auf der Stabilisierung der Post-Konflikt-Situation.
Armeniens Premierminister Paschinjan hat unter dem innenpolitischen Druck infolge des Verlusts besetzter Gebiete Neuwahlen in Aussicht gestellt. Wie fest sitzt er im Sattel und wer könnte ihm innenpolitisch gefährlich werden?
Der Krieg hat zweifellos für Aufruhr in Armenien gesorgt und den Prozess beschleunigt, der zu den bevorstehenden Neuwahlen geführt hat. In der Periode nach dem Ende des militärischen Konflikts war es Paschinjans größte Herausforderung, einen nicht verfassungsmäßigen Machtwechsel zu verhindern, und das ist ihm gelungen. Angesichts der Unterstützung der meisten Armenier für den demokratischen Prozess und des Fehlens einer ernstzunehmenden und geeinten Opposition dürfte Paschinjan darauf vertrauen können, weiterhin als Premierminister zu fungieren.
In seinem ersten Wahlkampf sprach Paschinjan die Option eines möglichen Ausstiegs Armeniens aus der Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) an. Ist Russland jetzt der große Sieger und kann in beiden Ländern auf dieser Stufe seine Interessen behaupten?
Die derzeitigen Debatten über einen Austritt Armeniens aus der EEU oder einen Beitritt Aserbaidschans sind in erster Linie spekulativ. Armenien hat zu keiner Zeit ernsthaft an einen Ausstieg aus der EEU gedacht, und auch Aserbaidschan hat nie konkrete Beitrittsschritte unternommen.
Russlands Einfluss in der Region liegt auf der Hand. Moskau verfügt jetzt schon über die erforderlichen Instrumente, um seinen politischen Einfluss in der Region geltend zu machen. Mit der Vermittlung des Waffenstillstands und dem erzielten Ergebnis hat Russland diesen noch ausgebaut.
Welche Perspektiven hat Armenien in der Region?
Die geografische Position spielt in Armeniens Außenpolitik eine signifikante Rolle. Das Land ist in Grenzen eingezwängt mit Nachbarstaaten wie der Türkei und Aserbaidschan, mit Georgien und dem Iran, und in beiden Ländern stellen auch Aserbaidschaner einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Hingegen hat Armenien keine gemeinsame Grenze mit seinem bedeutsamsten strategischen Verbündeten Russland. Aus diesem Grund werden die Verbindungen zu Georgien und dem Iran weiterhin eine signifikante Rolle in Jerewans Außenpolitik spielen.
Vielen Dank für das Gespräch!