Feride Tavus
Menschenhandel findet täglich in Deutschland statt, bleibt jedoch laut dem Deutschen Institut für Menschenrechte oft unentdeckt. Im Gespräch mit TRT Deutsch erläutert Naile Tanış, Leiterin der Berichterstattungsstelle Menschenhandel des Instituts, die Gründe dafür: „Viele der Betroffenen bleiben im Verborgenen, weil sie sich schämen, weil sie oder ihre Familien bedroht werden und weil viele Angst vor Repressalien haben.“
Um dies zu ändern, sei eine flächendeckende und nachhaltige Förderung von Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel nötig. Auch arbeitsrechtliche Beratungsangebote könnten dazu beitragen, dass mehr Betroffene entdeckt und geschützt werden, so Tanış weiter.
Menschenhandel habe sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen auf die Opfer. „Die Betroffenen werden wirtschaftlich stark ausgebeutet. Sie müssen Dienstleistungen erbringen, die körperlich stark belastend sind, sowohl im Bereich der sexuellen Ausbeutung als auch der Arbeitsausbeutung. Auf die Betroffenen wird häufig Gewalt, Zwang oder Nötigung ausgeübt“, betont die Expertin. Freiheitsrechte, Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit der Opfer würden massiv verletzt. Dies führe häufig zu Traumatisierungen.
Die Täter: Ein überwiegend männliches Bild
Im Bereich der sexuellen Ausbeutung seien mehr als 70 Prozent der Tatverdächtigen männlich. Dies gehe aus dem Bundeslagebild 2023 des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor, erläutert Tanış. Sie ergänzt: „Rund ein Drittel kannten ihr Opfer vor der Tat nicht, bei knapp 4 Prozent bestand ein verwandtschaftliches Verhältnis zu den Betroffenen oder sie waren verheiratet.“ Auch bei der Ausbeutung der Arbeitskraft waren die Täter „Bundeslagebild zufolge überwiegend Männer und zumeist deutsche, vietnamesische oder italienische Staatsangehörige.“
Ein besonderes Problem stelle der Handel mit Minderjährigen dar. Nahezu 90 Prozent der Ermittlungsverfahren im Jahr 2023 betrafen den BKA-Angaben zufolge „kommerzielle sexuelle Ausbeutung“ von Kindern und Jugendlichen. Laut Tanış werden diese jedoch auch „immer wieder durch Arbeit, Bettelei und die Begehung von Straftaten ausgebeutet.“
Die Herausforderungen für Polizei und Justiz
Für Polizei und Justiz sei der Kampf gegen Menschenhandel äußerst schwierig, betont die Expertin. Eine Herausforderung sei, dass die Straftatbestände in Deutschland „sehr unübersichtlich und sehr komplex seien“ - auch für Juristen, betont Tanış. Zudem gebe es oft „Beweisprobleme“. Vor allem in Fällen, in denen „EU-Bürgerinnen betroffen sind, deren Situation auf den ersten Blick nicht prekär erscheint“. Erschwerend komme hinzu, dass Zeugen oft nicht mehr erreichbar seien.
Viele Betroffene zögerten aus Angst vor Repressalien oder Abschiebung, sich an die Behörden zu wenden. Nach einer Anzeige drohe „die Aufdeckung der Illegalität und damit die Abschiebung“, so Tanış. Daher würden viele Opfer den Kontakt mit den Ermittlungsbehörden meiden. Dies ermögliche es den Tätern, „Betroffene leichter zu erpressen.“ Aus diesem Grund dürften Opfer von Menschenhandel nicht für Straftaten bestraft werden, die eine unmittelbare Folge ihres Missbrauchs seien, fordert Tanış.
Die Rolle der Öffentlichkeit und notwendige Schritte
Nach Ansicht der Leiterin der Berichterstattungsstelle Menschenhandel ist die Sensibilisierung der Öffentlichkeit ein zentrales Element im Kampf gegen den Menschenhandel. Die breite Öffentlichkeit müsse mehr Bewusstsein für die Relevanz des Themas entwickeln. Viele Menschen hätten keine genaue Vorstellung davon, welche Formen Menschenhandel annehmen könne. Oft wüssten sie auch nicht, dass „auch Deutsche davon betroffen sind“. Tanış zufolge benötigen die Fachberatungsstellen eine ausreichende und verlässliche Finanzierung, damit diese wichtige Aufklärungsarbeit gelingen kann.
Mehr Schutzhäuser für Betroffene nötig
Tanış fordert eine Reform des Strafrechts, insbesondere im Bereich der Arbeitsausbeutung, um Menschenhandel in Deutschland wirksam einzudämmen. Darüber hinaus sei gut ausgebildetes Personal notwendig, „vor allem bei der Polizei und beim Zoll“. Außerdem würden bislang in Deutschland nicht alle Bundesländer Beratungsstellen finanzieren. „Nur acht Bundesländer finanzieren bisher Schutzhäuser für Betroffene.“ Das müsse sich ändern.