Nach Brandenburg-Landtagswahl: Politische Unsicherheit bleibt / Foto: DPA (dpa)
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Von Selim Çalık

Die Landtagswahl in Brandenburg ist zwar ein Sieg der SPD, jedoch keine Entwarnung. Sie markiert einen Wendepunkt in der politischen Landschaft des Bundeslandes, da die AfD ihre Position als zweitstärkste Kraft festigte und in vielen ländlichen Regionen dominierte. Trotz des SPD-Siegs ist die politische Zukunft des Landes unsicher, da die Regierungsbildung vor erheblichen Herausforderungen steht.

Hohe Wahlbeteiligung zeigt gespaltene Wählerschaft

Mit 72,9 Prozent Wahlbeteiligung war der Andrang an den Urnen deutlich höher als bei den Wahlen 2019. Diese hohe Teilnahme deutet auf eine stark mobilisierte Wählerschaft hin, die sich des politischen Richtungswechsels bewusst war. Ein entscheidender Grund für diese hohe Beteiligung war die Angst vieler Wähler vor einem Rechtsruck, den ein möglicher Sieg der AfD symbolisieren würde. Besonders in städtischen Gebieten war die Wahlbeteiligung hoch, da viele Wähler, die normalerweise die Grünen oder Die Linke unterstützen, sich diesmal entschieden, strategisch für die SPD zu stimmen, um einen AfD-Sieg zu verhindern​.

AfD: Die Partei der jungen Wähler

Die AfD schnitt mit fast 30 Prozent besonders stark in ländlichen und strukturschwachen Gebieten ab und erhielt bei Jung- und Erstwählern (16-24 Jahre) bis zu 32 Prozent der Stimmen.

Mit mehr als einem Drittel der Mandate hat die AfD eine Sperrminorität im Landesparlament erreicht. Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis kommt die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei auf 30 von 88 Sitzen. Damit kann die AfD Entscheidungen und Wahlen blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, zum Beispiel die Wahl von Verfassungsrichtern. Auch Verfassungsänderungen sind nur mit einer solchen qualifizierten Mehrheit möglich. Vor drei Wochen hatte die AfD bereits bei der Landtagswahl in Thüringen eine Sperrminorität errungen. In Sachsen hatte sie die Marke knapp verpasst.

Die AfD zog viele Protestwähler an, die von den etablierten Parteien enttäuscht waren. Themen wie Migration und soziale Unsicherheit standen im Fokus, wobei die AfD als Alternative zum politischen Establishment wahrgenommen wird. Dennoch bleibt die Partei politisch isoliert, da keine Koalitionspartner in Sicht sind​.

Taktisches Wählen und die Herausforderung für kleinere Parteien

Viele Wähler, die normalerweise die Grünen oder Die Linke unterstützt hätten, entschieden sich diesmal aus taktischen Gründen für die SPD. Dies führte dazu, dass Die Linke mit nur 3,0 Prozent und die Grünen mit 4,1 Prozent knapp die Fünf-Prozent-Hürde verfehlten. Besonders für Die Linke ist dies ein historischer Rückschlag, da sie erstmals seit der Wiedervereinigung keinen Sitz im Landtag besetzen wird. Diese taktischen Entscheidungen vieler Wähler spiegeln die tiefen gesellschaftlichen Gräben wider, die die Wahl geprägt haben. Viele sahen die Wahl als letzte Möglichkeit, den weiteren Aufstieg der AfD zu verhindern, was die Verluste kleinerer Parteien erklärt.

Koalitionsverhandlungen: Eine schwierige Regierungsbildung

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) steht nun vor der schwierigen Aufgabe, eine regierungsfähige Koalition zu bilden.

Eine Fortsetzung der rot-schwarz-grünen Koalition ist nicht mehr möglich, da die Grünen den Wiedereinzug in den Landtag nicht geschafft haben. ​Nach Angaben von Infratest dimap/ARD erhält die SPD 32 der 88 Sitze, dicht dahinter liegt die AfD mit 30 Sitzen. Das BSW kann 14 Sitze für sich beanspruchen, während die CDU mit zwölf Sitzen auf dem vierten Platz landet. Dieses Ergebnis lässt verschiedene Koalitionsmöglichkeiten zu:

  • Mit 44 Sitzen erreicht die Große Koalition aus SPD und CDU genau die Hälfte der Parlamentssitze und verfehlt somit knapp eine eindeutige Mehrheit. Eine absolute Mehrheit setzt mindestens 45 von 88 Sitzen voraus. Sie wäre daher gezwungen, auf einem Patt zu regieren.

  • Eine Koalition aus SPD, CDU und BSW würde über 50 Prozent der Sitze erreichen. Diese sogenannte Brombeer-Koalition hätte 58 Sitze.

  • Eine Zusammenarbeit nur zwischen der SPD und dem BSW würde zusammen 46 Sitze und damit eine absolute Mehrheit bringen.

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat angekündigt, zunächst mit der CDU Gespräche über eine Zusammenarbeit führen zu wollen.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) schnitt mit 14 Sitzen im Landtag überraschend stark ab und stellt somit eine neue Kraft im politischen Gefüge Brandenburgs dar.​ Das BSW hat viele Wähler gewonnen, die von der etablierten Politik enttäuscht sind und nach einer neuen linkspopulistischen Kraft suchen. Wagenknechts Popularität und ihr Fokus auf soziale Gerechtigkeit und Frieden haben viele Menschen angesprochen, die sich von den traditionellen Parteien entfremdet fühlen​.

Eine polarisierte Wahl mit tiefen gesellschaftlichen Konsequenzen

Die Landtagswahl in Brandenburg zeigt eine zunehmend gespaltene Gesellschaft, in der die etablierten politischen Lager und neue populistische Bewegungen aufeinanderprallen. Der knappe Sieg der SPD vor der AfD zeigt, dass es der SPD gelungen ist, sich in letzter Minute zu mobilisieren, insbesondere in den urbanen Zentren und durch taktisches Wählen, um den weiteren Aufstieg der AfD zu verhindern. Allerdings konnte die AfD, insbesondere in ländlichen Regionen und bei jungen Wählern, einen enormen Zuspruch gewinnen​.

Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass Brandenburg, wie viele ostdeutsche Bundesländer, einen tiefen strukturellen Wandel durchlebt, der von wirtschaftlicher Unsicherheit und sozialer Ungleichheit geprägt ist. Der Erfolg der AfD lässt sich nicht nur auf Protest gegen Migration zurückführen, sondern auf das Gefühl vieler Menschen, von der etablierten Politik ignoriert zu werden. In strukturschwachen Regionen, in denen Arbeitslosigkeit, Abwanderung und mangelnde wirtschaftliche Perspektiven an der Tagesordnung sind, wird die AfD als Alternative gesehen, die zumindest die Probleme anspricht, die andere Parteien scheinbar ignorieren​.

Gleichzeitig zeigt der starke Rückgang der Grünen und der Linken, dass die politischen Extreme weiter wachsen, während die Mitte schrumpft. Dies ist gefährlich, da eine gesunde Demokratie einen starken Mittelbau benötigt, der die Interessen vieler Bürger vertritt. Viele Wähler fühlten sich gezwungen, taktisch zu wählen, was das politische System in ein zweigeteiltes Lager zwischen denen, die die AfD verhindern wollten, und denen, die sie aktiv unterstützten, verwandelt hat​.

Besonders bemerkenswert ist das Abschneiden des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), das zeigt, dass es auch auf der linken Seite des politischen Spektrums eine wachsende Unzufriedenheit mit der etablierten Politik gibt. Das BSW könnte sich langfristig als ernstzunehmende politische Kraft etablieren, die den traditionellen linken Parteien Konkurrenz macht​.

Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass Brandenburgs politische Zukunft unsicher bleibt. Die tiefen gesellschaftlichen Gräben, die durch diese Wahl sichtbar wurden, könnten zu einer weiteren Polarisierung führen, wenn es der SPD und ihren potenziellen Koalitionspartnern nicht gelingt, eine Regierung zu bilden, die diese Probleme ernsthaft angeht. Die kommenden Tage der Koalitionsverhandlungen werden entscheidend sein, doch die Frage bleibt: Kann eine neue Regierung tatsächlich die tief sitzenden Ängste und Sorgen der Bevölkerung aufgreifen und eine Lösung bieten, oder wird die gesellschaftliche Spaltung weiter zunehmen?

Fakt ist, dass die traditionelle Politik neue Wege finden muss, um die Lebensrealitäten und Sorgen der Bürger – besonders in strukturschwachen Gebieten – ernst zu nehmen. Es reicht nicht mehr aus, den Status quo zu verteidigen; es müssen konkrete Lösungen her, die spürbare Veränderungen bringen, um die wachsende Unterstützung für populistische Parteien langfristig zu bremsen.

TRT Deutsch