CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz / Photo: DPA (dpa)
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Im Wettbewerb mit der AfD rückt die Union immer weiter nach rechts. Was sagt man nicht alles aus Furcht vor einem AfD-Wahlerfolg! CDU und CSU möchten künftig alle irregulären Migranten gleich an der Grenze zurückweisen und auch den „subsidiären Schutz“ abschaffen, der normalerweise eingreift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können oder im Herkunftsland ernsthafter Schaden für die schutzsuchende Person droht. Zudem forderte der CDU-Vorsitzender Friedrich Merz kürzlich in einem Interview, dass es möglich sein müsse, die deutsche Staatsbürgerschaft u.a. den straffälligen Doppelstaatlern wieder zu entziehen. Mit seinem (rechts)populistischen Wahlkampf bewegt sich der Kanzlerkandidat der Union nicht nur charakterlich, sondern auch rechtlich auf sehr dünnem Eis.

Pro Asyl wirft Merz Missachtung von Grund- und Menschenrechten vor

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl beispielsweise warf den Unionsparteien nicht ohne Grund eine „Radikalisierung“ in der Asyl- und Migrationspolitik vor. „Es ist extrem besorgniserregend, dass die Unionsparteien bei ihren Forderungen an vielen Stellen Grund- und Menschenrechte missachten, um Wähler rechter Parteien zu umwerben“, erklärte Pro-Asyl-Rechtsexpertin Wiebke Judith. Es sei eine Erosion von Grundprinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Menschenrechten zu beobachten, für die demokratische Parteien eigentlich einstehen müssten.

SPD-Politiker: Merz sieht Menschen mit deutschem und türkischem Pass als potenzielles Problem an

Der SPD-Politiker Macit Karaahmetoğlu erklärte gegenüber TRT Deutsch: „Merz zeigt mit seinen Äußerungen klar, dass er Menschen mit deutschem und türkischem Pass als potenzielles Problem ansieht. An Doppelstaatlern aus Frankreich oder den USA stört er sich hingegen nicht. Jemand, der Staatsbürger zweiter Klasse schaffen möchte, darf nicht unser Land regieren.“ Der aus der türkischen Schwarzmeerstadt Rize stammende Abgeordnete sagte, dass die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vor allem „eine Frage der Gerechtigkeit“ gewesen sei. „Denn in über 80 Prozent aller Einbürgerungen wurde zuletzt ohnehin der Beibehalt der alten Staatsangehörigkeit akzeptiert“, so der 56-Jährige Sozialdemokrat aus Baden-Württemberg.

Esken: „Merz macht Eingebürgerte zu Bürgern zweiter Klasse“

Auch SPD-Chefin Saskia Esken meldete sich zu Wort und bezeichnete Merz' Vorschläge als gefährlich und gesellschaftsspaltend. „Merz macht Eingebürgerte zu Bürgern zweiter Klasse, deren ‚Deutschsein‘ er offenbar unter Vorbehalt sieht“, bemängelte die SPD-Vorsitzende. „Dieser populistische Aktionismus erzeugt Misstrauen gegen alles Fremde und führt zu großer Verunsicherung in der migrantischen Community“, so Esken. Merz breche mit dem, was Deutschland als Gesellschaft zusammenhalte.

Die Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, nannte die Ausführungen von Merz „diskriminierend“ und „schädlich für die Willkommenskultur“, die zur Anwerbung von Fachkräften nötig sei. Gökay Akbulut von der Linkspartei bezeichnete die Forderung von Merz als „brandgefährlich, da sie Forderungen aus den Reihen der AfD und anderer Rechtsextremisten“ aufgreife. Sie warf dem Kanzlerkandidaten der Union vor, „auf der braunen Klaviatur“ zu klimpern. Der Spitzenkandidat der Linkspartei, Jan van Aken, nannte die Äußerungen von Merz „widerlichen Rassismus“.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zeigte sich gleichfalls besorgt. Er bezeichnete die Forderung nach einer Ausbürgerung als einen „Dammbruch“, der zu einer „Zweiklassengesellschaft bei der Staatsbürgerschaft“ führe. „Die Kritiker dieser Aussage haben nicht Unrecht, dass es nur ein kleiner Schritt von der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft hin zu Remigration“ sei, so der Wirtschaftsexperte.

Kritik an Merz auch von Vertretern der türkischen Community

Der Vorsitzende der Union Internationaler Demokraten (UID), Kenan Aslan, kritisierte Merz ebenso, ohne ihn beim Namen zu nennen: „Politiker sollten verantwortungsbewusst handeln. Insbesondere diejenigen, die für das Amt des Bundeskanzlers und damit für die Führung der Gesellschaft kandidieren, sollten den Menschen, die sie vertreten, ein Vorbild sein. Wenn einige Politiker planen, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen oder Menschen auszubürgern, wird dies zu gesellschaftlicher Diskriminierung sowie einer Zweiklassengesellschaft führen.“ Er fügte hinzu: „Solche populistischen Diskurse begünstigen Rechtsextreme und Rassisten, schaden dem Frieden und spalten unsere Gesellschaft.“

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) hält den Vorschlag des CDU-Vorsitzenden genauso für unangemessen, auch vor dem Hintergrund der Rekordwerte bei rechtsextremen Straftaten. „In guten Zeiten sind wir Deutsche mit allen Rechten und Pflichten, in schlechten Zeiten lässt der Staat uns fallen wie heiße Kartoffeln“, hieß es in einer Erklärung des TGD-Vorsitzenden Gökay Sofuoğlu. Das Staatsangehörigkeitsrecht sei „kein Strafrecht“, betonte er. Menschen mit Migrationsgeschichte würden dadurch zu Deutschen „auf Bewährung“.

Zudem kritisierte die Co-Vorsitzende der TGD, Aslıhan Yeşilkaya-Yurtbay, dass Merz in dem Interview im Kontext des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft gesprochen habe. Allerdings sei der Täter, ein Arzt aus Saudi-Arabien, weder deutscher Staatsbürger gewesen noch vor der Tat als Straftäter aufgefallen. Yeşilkaya-Yurtbay stellte klar: „Die Politik der letzten Tage bietet viel Fläche für rechtsradikale Angriffe. Je ausgrenzender die politischen Aussagen, desto ermutigter sind rechtsextreme Kräfte.“

Vorstoß von Merz auch rechtlich nicht tragbar

Friedrich Merz sollte sich die Frage stellen, inwieweit er sich mit solchen von Populismus durchzogenen Aussagen noch auf dem Boden der oft erwähnten Leitkultur, also unserer Verfassung, befindet. Denn in Art. 16 Grundgesetz (GG) ist festgelegt: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Dieses Verbot schließt jede Form des staatlichen Entzugs der Staatsangehörigkeit gegen den Willen der betroffenen Person aus. Es stellt eine Lehre aus der NS-Zeit dar, in der jüdische Bürgerinnen und Bürger sowie politische Gegner systematisch ausgebürgert wurden. Auch in der DDR kam es zu solchen Maßnahmen, wie 1976 im Fall des Liedermachers Wolf Biermann, der seiner Staatsangehörigkeit beraubt wurde. Ferner heißt es in Art. 16 GG: „Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“ Muss unser Grundgesetz demnach auch gegen einen Friedrich Merz verteidigt werden?

Nutznießer von Merz' Vorstoß: AfD und der Rassismus

Von der angestoßenen Debatte wird vor allem die AfD profitieren. Denn das Wahlvolk wählt im Zweifel eher das Original, als die derzeitige CDU-Kopie der Post-Merkel-Ära. Die CDU, die unter Angela Merkel eine beachtete Volks- und Deutschlandpartei war, hatte zunächst unter Merkels Nachfolgerinnen und Nachfolgern wie Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet ihre volksnahe und liberale Politik bewahrt. Allerdings ist die Partei heute mit Friedrich Merz an der Spitze und den populistischen Positionen kaum wiederzuerkennen. Die Hardliner in der Partei mit Sympathien für teilweise (rechts)populistische Forderungen haben die Volkspartei entfremdet.

„Kanzler aller Deutschen“ oder nur Lobby- und Klientel-Politiker?

Merz verfolgt in der Migrationspolitik eine strikte Linie, offenbar mit dem Ziel, sich als entschlossener Verfechter harter Maßnahmen zu präsentieren. Allerdings trägt dieser Kurs dazu bei, extrem rechte Positionen gesellschaftlich zu legitimieren, und verschafft letztlich der rechten und islamfeindlichen AfD zusätzlichen Rückenwind. Diese Herangehensweise der CDU gefährdet den sozialen Frieden und die Solidarität in unserer Gesellschaft, indem sie Millionen von Eingebürgerten unter pauschalen Verdacht stellt. Als Kanzlerkandidat eines weltoffenen europäischen Landes erscheint Merz damit fehl am Platz. Es entsteht der Eindruck, dass es Merz gar nicht um Grundsatzdebatten geht, sondern einzig und allein um blanken Populismus. So jedenfalls kann man kein „Kanzler aller Deutschen“ sein, sondern nur ein Lobby- und Klientel-Politiker. Unter diesen Umständen dürfte daher die Frage, ob der AfD in absehbarer Zukunft ein Koalitionsangebot unterbreitet wird, nicht allzu lange Jahre auf sich warten lassen. Vielleicht ist es ja 2033 - wieder - soweit? Wer weiß.

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