Selten hat ein US-Präsidentschaftswahlkampf die internationale Aufmerksamkeit so stark auf sich gezogen wie der jüngste zwischen Donald Trump und Kamala Harris. Das renommierte Meinungsforschungsinstitut IPSOS fasste die Stimmung am 21. Oktober, wenige Wochen vor der Wahl, treffend zusammen: „US-Wahl 2024: Zwei von drei Deutschen für Kamala Harris als US-Präsidentin – nur AfD-Wählerschaft hofft auf Trump.“ Umfragen weltweit bestätigen dieses Bild. Ein weiteres Beispiel stammt aus England, wo „I-Newspaper“ am 4. November berichtete: 47 Prozent der Befragten sprachen sich für Harris aus, während nur 27 Prozent eine erneute Amtszeit von Donald Trump befürworteten.
Das liberale Establishment und die traditionelle Wählerschaft der Volksparteien stehen hinter Harris, während nur Rechtsaußen und Protestwähler Trump unterstützen. Doch warum besteht ein so großes Interesse daran, wer im Weißen Haus sitzt? Ist Amerika immer noch die bedeutendste Nation der Welt? Oder, wie Trump es formuliert, sollte es dies erst wieder werden? Welche Auswirkungen hätte ein solches Szenario auf die Bürger und Entscheidungsträger in Deutschland und Europa? Handelt es sich um Panikmache, oder sind die Sorgen berechtigt?
Abrechnung mit Biden und Harris
Trump sparte nicht mit Kritik und warf der aktuellen Regierung völliges Versagen vor. Seiner Ansicht nach scheitere sie daran, auch nur eine einzige Krise im eigenen Land zu bewältigen, während sie sich im Ausland in katastrophale Ereignisse verstricke. Er bemängelte, dass unbegrenzte Mittel zur Sicherung ausländischer Grenzen bereitgestellt würden, während die amerikanischen Grenzen vernachlässigt würden.
Auch das Gesundheitssystem sei laut Trump in nationalen Notlagen unzureichend, obwohl es das weltweit bestfinanzierte sei. Als Lösung versprach er, den nationalen Notstand an der südlichen Grenze auszurufen und Millionen krimineller Einwanderer auszuweisen. Zudem wolle er die Automobilindustrie stärken, sodass jeder Bürger ein Fahrzeug seiner Wahl kaufen könne – ohne Zwang zu Elektroautos. Trump kündigte außerdem an, entlassene Staatsangestellte, die sich der COVID-Impfpflicht widersetzt hätten, wieder einzustellen und ihnen die ausstehenden Gehälter vollständig nachzuzahlen.
Klimawandel – oder eher doch nicht?
Trumps Rede war geprägt von einer politischen Abrechnung, verbunden mit ständigen Appellen, Amerika wieder zu alter Größe zurückzuführen. Konkreter wurde er kurz darauf, als er eine Reihe präsidialer Dekrete und Durchführungsverordnungen unterzeichnete.
Zu den neuen Dekreten gehören die Ausrufung des Notstands an der mexikanischen Grenze und die Genehmigung zur Entsendung von Truppen. Zudem sollen alle illegalen Migranten abgeschoben werden, wobei entsprechende Verfahren angekündigt wurden. Trump kündigte die Abschaffung des Geburtsortsprinzips an, das Neugeborenen automatisch die Staatsangehörigkeit verleiht – eine Maßnahme, die voraussichtlich vor Gericht angefochten wird. Weiterhin erklärte er, alle 78 Dekrete seines Vorgängers Joe Biden zurückzunehmen. Der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen wurde mit einer einjährigen Frist eingeleitet, und die Vereinigten Staaten werden sich aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurückziehen. Trump rief zudem einen nationalen Energienotstand aus und setzte die Entwicklungshilfe für 90 Tage aus. Kuba wurde erneut als Terrorstaat eingestuft.
Ein Zwischenfazit zeigt: Ein US-Präsident kann zwar Dekrete unterzeichnen, doch nicht alle treten automatisch in Kraft. Ein Beispiel ist die Abschaffung der Staatsbürgerschaft bei Geburt, die voraussichtlich aufgrund gerichtlicher Einwände auf Widerstand stoßen wird. Anders verhält es sich jedoch bei Maßnahmen wie der Ausrufung des nationalen Notstands oder der Mobilisierung von Truppen, die direkt umgesetzt werden können.
Berechtigte Panikmache in Deutschland und Europa?
Um die Auswirkungen von Trumps Maßnahmen zu bewerten, müssen wir zwei Perspektiven betrachten. Erstens zielen viele seiner Ankündigungen und unterzeichneten Dekrete hauptsächlich auf die US-Innenpolitik ab und haben nur begrenzte Auswirkungen auf internationale Beziehungen. Zweitens gibt es jedoch Maßnahmen, die zweifellos bilaterale Beziehungen beeinflussen werden.
Drei zentrale Themenbereiche stehen dabei im Fokus: Politik, Ökonomie und Sicherheitspolitik. Im Folgenden betrachten wir, welche Konsequenzen Trumps Entscheidungen in diesen Bereichen für Deutschland und Europa haben könnten.
Die Frage, wie sich ein erneuter Präsident Trump auf die Sicherheitsinteressen Europas auswirken würde, lässt sich vor allem im Kontext seiner bisherigen Rhetorik und Politik betrachten. Säbelrasseln und militärische Drohungen gehörten zweifelsohne zum Wahlkampf-Trump. Doch obwohl immer wieder der Eindruck erweckt wurde, Washington könnte aus der NATO austreten, halten es die meisten Beobachter für unwahrscheinlich, dass dies tatsächlich geschieht. Vielmehr dürfte eine drastische Erhöhung der Rüstungs- und Verteidigungsausgaben für die anderen NATO-Mitglieder auf der Agenda stehen. Trump hat kürzlich erklärt, dass fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben akzeptabel seien.
Die Frage ist, ob die europäischen Wählerinnen und Wähler dies ebenfalls so sehen. In Berlin gibt es zwei Optionen: Entweder man lehnt die Erhöhung ab und bevorzugt eine Steigerung von zwei bis drei Prozent des BIP oder man setzt auf eine stärkere europäische Verteidigungslösung, etwa die Schaffung einer Europäischen Armee. Ein weiteres, möglicherweise entscheidendes Thema könnte der Ukraine-Konflikt sein. Trotz intensiver diplomatischer Bemühungen und wiederholter Besuche in Kiew hat Europa den Krieg noch nicht beenden können. Trump hingegen könnte in der Lage sein, den Konflikt schneller zu beenden – vorausgesetzt, er würde direkt mit Vladimir Putin verhandeln. Betonung liegt auf „könnte“.
In der Ökonomie wurde über die sofortige Einführung erhöhter Einfuhrzölle spekuliert, besonders auf Produkte aus Deutschland und Europa. Tatsächlich sind keine sofortigen Erhöhungen zu erwarten, sondern zunächst Zollerhöhungen für Mexiko und Kanada zwischen 10 und 20 Prozent. Dies wäre eine schlechte Nachricht für die deutsche Wirtschaft, insbesondere für Automobilbranche, Pharmaindustrie und Maschinenbau. Derzeit lautet die Marschrichtung in deutschen Unternehmerkreisen: abwarten.
Ein USA, das sich vorrangig um hausgemachte Probleme kümmert, könnte sich zu einer politischen Festung entwickeln. Internationale Beziehungen wären zwar weiterhin wichtig, aber zunächst stünden die inneren Angelegenheiten im Vordergrund. Deutschland und Europa würden Zeit gewinnen, ihre politische Identität zu überdenken. Dies könnte zu stärkerem „Volksparteien-Populismus“ führen, um extremere Bewegungen zu stoppen, oder zu einem unabhängigen Europa, das den Klimawandel aktiv bekämpft.
Rückenwind für AfD und andere Rechtsaußen-Parteien
Aus heutiger Sicht erscheint bedenklicher, dass Rechtsaußen-Parteien in Deutschland und Europa glauben, nun politischen Rückenwind zu bekommen. Sie vertreten die Auffassung, dass Amerika wieder groß gemacht werden soll, und fordern dasselbe auch in Österreich oder Deutschland. Sie setzen sich dafür ein, alle illegalen Einwanderer zurückzusenden und eventuell einen generellen Einwanderungsstopp zu verhängen. Zudem stellen sie den Klimawandel infrage und befürworten es, den Klimaschutz beiseitezulegen. Auch ein Austritt aus internationalen Organisationen wie der WHO wird von ihnen in Erwägung gezogen.
„Festung Amerika“ und „Splendid Isolation“ sind Themen für die US-Wähler, unabhängig davon, ob man ihnen zustimmt oder nicht. Eine Rechtsaußen-Festung in Deutschland oder Europa betrifft hingegen unsere Bürgerinnen und Bürger und sollte dringend verhindert werden. Lassen wir uns die ersten 100 Tage von Donald Trumps zweiter Amtszeit genauestens hinterfragen. Ist Panikmache gerechtfertigt? Aus heutiger Sicht eher nicht, denn möglicherweise wird Trump trotz seiner populistischen Ansprüche bald in der Realpolitik stagnieren.