Die unterschätzte Gefahr: Wie Europa an Islamophobie scheitert / Photo: DPA (dpa)
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Nach dem Anschlag in Magdeburg, der sich als islamfeindlicher Terroranschlag herausstellte, rückt das Thema Islamophobie in den Medien erneut in den Vordergrund. Die Tatsache, dass rechtsextreme Parteien, die mit antimuslimischen Ressentiments und Panikmache ihre Wählerschaft konsolidieren, durch die Unterstützung mächtiger Personen wie Donald Trump und Elon Musk in Deutschland und Europa auf dem Vormarsch sind, sollte uns alle beunruhigen. Denn eine Zerstörung, die ein von rechtsextremen Parteien regiertes Europa mit sich bringen würde, beträfe jeden von uns. Daher ist der Kampf gegen Islamophobie und das Verstehen dieser Problematik keine Aufgabe der Muslime allein, sondern der Mehrheitsgesellschaft.

Um einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Islamophobie zu leisten, erscheint der Europäische Islamophobie-Bericht (EIR), an dem ich mitwirken darf, seit 2015 jährlich. Bereits seit seiner ersten Ausgabe hat sich der Bericht als verlässliche Quelle erwiesen, um die Auswirkungen der Islamfeindlichkeit in Bereichen wie Politik, Medien, Arbeitswelt, Bildung und Justiz zu verstehen. Internationale Organisationen wie die OSZE nutzen den Bericht als Referenz, um Hassreden und -verbrechen gegen Muslime zu dokumentieren.

Vor wenigen Wochen ist der Europäische Islamophobie-Bericht 2023 veröffentlicht worden. Darin wird – mit Beiträgen von 33 Wissenschaftlern und Experten – die Situation und Entwicklung der Islamophobie in 28 europäischen Ländern im Jahr 2023 analysiert.

Der Fall Nahel Merzouk

Auf dem Titelbild des jüngsten Berichts ist eine Aufnahme von Protesten zu sehen, die nach der Tötung des Teenagers Nahel Merzouk durch die französische Polizei stattfanden. Die EIR-Autorin Kawtar Najib bezeichnet diesen Vorfall im Pariser Vorort Nanterre als „Mord an einem Muslim durch einen rassistischen Polizeibeamten, der den französischen Staat repräsentiert“.

Nahel und seine beiden Freunde im Alter von 17 und 14 Jahren waren an keinerlei Gewaltaktion beteiligt, als sie bei einer Polizeikontrolle ins Visier gerieten. Bei einer anschließenden Verfolgungsjagd wurde der Jugendliche erschossen. Kawtar Najib hebt in dem EIR-Bericht hervor, dass die französische Polizeigewerkschaft Alliance daraufhin die Täter verteidigte und den Vorfall als „Kampf gegen Schädlinge und wilde Horden“ bezeichnete. Diese Aussagen verdeutlichen die Entmenschlichung von Schwarzen, Arabern und Muslimen, die in den Vorstädten Frankreichs leben.

Der Fall Nahel Merzouk löste im Juni und Juli 2023 massive Aufstände und Proteste in Frankreich aus, die auch auf andere Länder wie Belgien überschwappten. Mindestens zwei Menschen kamen bei den Unruhen ums Leben. Viele weitere Demonstranten wurden von der Polizei schwer verletzt. Einige verloren ihr Augenlicht. Bei einem Teilnehmer musste ein Teil des Schädels entfernt werden. Insgesamt wurden 3200 Menschen, darunter auch Kinder, festgenommen, von denen 1056 zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Dieses Ereignis, das im Titelbild des Islamophobie-Berichts hervorgehoben wird, illustriert eindrucksvoll, wie die postkoloniale Bevölkerung im Herzen eines europäischen Landes entmenschlicht und kriminalisiert wird.

Antimuslimischer Rassismus in Europa fest verankert

Der Islamophobie-Bericht 2023 zeigt die mehrdimensionale Struktur des antimuslimischen Rassismus und seine systematische Verankerung in Europa. Von diskriminierenden Gesetzen bis hin zu Hassverbrechen werden die Mechanismen untersucht, die grundlegende Rechte und Freiheiten von Muslimen untergraben. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass eine systematische Intervention dringend erforderlich ist, um diese Form des Rassismus zu bekämpfen.

Trotz dieser Realität findet antimuslimischer Rassismus auf der Agenda der EU-Mitgliedstaaten nahazu keinen Platz. Zwar hat die Europäische Kommission gemeinsam mit anderen europäischen Institutionen im „Antirassismus-Aktionsplan 2020-2025“ antimuslimischen Rassismus explizit als eine Form von Rassismus eingestuft, doch in der Praxis wird Islamophobie noch immer nicht anerkannt. Viele europäische Regierungen, politische Parteien, Institutionen, Journalisten und Intellektuelle leugnen die Existenz dieser Rassismusform oder spielen das Problem herunter.

Führende islamfeindliche Akteure bedienen sich oft Verschwörungstheorien und behaupten, dass Islamophobie ein erfundenes Instrument sei, das von „Islamisten“ genutzt werde, um legitime Kritik an Muslimen und dem Islam zu unterdrücken. Andere vermeiden bestimmte Begriffe wie „Islamophobie“ oder „antimuslimischer Rassismus“ und bevorzugen Ausdrücke wie „Muslimfeindlichkeit“ oder „Vorurteile“, um die rassistische und systemische Dimension, die hinter der Islamophobie steckt, zu verschleiern.

Internationaler Tag zur Bekämpfung der Islamophobie

Um das wachsende globale Problem des antimuslimischen Rassismus zu bekämpfen, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2022 den 15. März als „Internationalen Tag zur Bekämpfung der Islamophobie“ (IDCI) erklärt. Das Datum wurde zur Erinnerung an den Anschlag von Christchurch, der am 15. März 2019 verübt wurde, gewählt. Diese Entscheidung ist als wichtiger Meilenstein für die rechtliche und politische Anerkennung der Islamophobie zu begrüßen. Doch wie wir bereits im Bericht, der vergangenes Jahr veröffentlicht wurde, festgestellt haben, zeigen die ablehnenden Stimmen von Vertretern der EU, Frankreichs und Indiens bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung, wie schwierig es ist, den Tag zur Bekämpfung der Islamophobie in Europa umzusetzen.

Ein Jahr nach dieser Entscheidung ist deutlich geworden, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten nur wenig Bereitschaft zeigen, diesem Tag Wert beizumessen. Als Indikator für die politische Anerkennung der Islamophobie gilt die Beobachtung und Dokumentation von islamfeindlichen Fällen durch Länder, politische Parteien und NGOs. Unter den 28 im Bericht analysierten Ländern hat lediglich Spanien auf den Internationalen Tag zur Bekämpfung der Islamophobie Bezug genommen. Die übrigen Länder haben diesen Tag weder anerkannt noch mit einer Pressemitteilung, Veranstaltung oder Diskussion über zukünftige Strategien zur Bekämpfung der Islamophobie daran erinnert. Dies zeigt, dass wir uns noch am Anfang eines langen Kampfes zur Anerkennung der Islamophobie befinden.

Islamfeindlichkeit und der Gaza-Krieg

Der Europäische Islamophobie-Bericht 2023 stellt fest, dass Islamophobie in systematischer Diskriminierung, politischen Diskursen, medialen Narrativen und gesellschaftlichen Einstellungen sichtbar wird und durch geopolitische Ereignisse wie den Gaza-Konflikt noch verschärft wird. Die europäischen Regierungen haben sich im Kampf gegen Islamophobie als weitgehend unzureichend erwiesen.

Der Gaza-Krieg hat als geopolitischer Katalysator für antimuslimischen Rassismus in Europa fungiert. In Ländern wie Deutschland, Frankreich und Dänemark wurden nach dem Gaza-Konflikt pro-palästinensische Symbole verboten und Demonstrationen eingeschränkt. Diese Maßnahmen haben die Stimmen der Muslime, die Frieden fordern, zum Schweigen gebracht und die Solidarität mit Palästina mit Terrorismus gleichgesetzt.

Rechtsextreme Parteien nutzen Islamophobie weiterhin für politische Zwecke. Umstrittene Gesetze, die sich gegen religiöse Praktiken von Muslimen richten, verdeutlichen die zunehmende Einschränkung religiöser Freiheiten, wie Beispiele in Frankreich und Finnland zeigen.

Die Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Verbreitung islamfeindlicher Stereotypen. Sowohl Mainstream- als auch rechtsextreme Medien haben Inhalte produziert, die Muslime entmenschlichen und populistischen Narrativen entsprechen. Nach dem 7. Oktober 2023 nahm die Anzahl antimuslimischer Inhalte in sozialen Medien deutlich zu. Zudem deckte die Untersuchung „Abu Dhabi Secrets“ auf, wie private Geheimdienstfirmen Verleumdungskampagnen gegen Muslime erleichtert und der Islamophobie eine globale Dimension verliehen haben.

Antimuslimische Hassverbrechen, insbesondere nach dem Gaza-Krieg, nahmen zu. Muslimische Frauen wurden aufgrund ihrer religiösen Kleidung in Bereichen wie Arbeit, Bildung und Wohnen diskriminiert. Bildungseinrichtungen reproduzierten Islamophobie durch diskriminierende Politiken und revisionistische Geschichtsdarstellungen.

Europa versäumt Lösungsschritte

Der Europäische Islamophobie-Bericht 2023 betont die Notwendigkeit eines dringenden und umfassenden Ansatzes zur Bekämpfung von Islamophobie. Es müssen Antidiskriminierungsgesetze gestärkt, Gleichstellungsorgane aktiviert und das Bewusstsein in der Gesellschaft erhöht werden. Außerdem sollten Initiativen wie der Internationale Tag zur Bekämpfung der Islamophobie effektiv umgesetzt werden.

Das Versäumnis Europas, konkrete Schritte zur Lösung dieses Problems zu unternehmen, untergräbt nicht nur das Wohlbefinden muslimischer Gemeinschaften, sondern auch das Gefühl von Frieden und Gerechtigkeit in der gesamten Gesellschaft. Die Angst vor Muslimen wird genutzt, um autoritäre rechtsextreme Politik in Europa zu legitimieren. Daher müssen politische, rechtliche und gesellschaftliche Maßnahmen dringend umgesetzt werden. Europa muss seine Ernsthaftigkeit im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus und Diskriminierung unter Beweis stellen, um seine eigene Zukunft zu sichern.

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