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Vor dem Hintergrund der Wiener Wahlen will der österreichische Bundeskanzler Kurz keinen Stimmenverlust durch die Aufnahme von Flüchtlingen aus Lesbos riskieren. Daher setzt er weiterhin auf rechtspopulistische Politik.

Die Situation für die Flüchtlinge in Griechenlands größtem Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos verschlechtert sich von Tag zu Tag. In dem alten Lager mit einer Kapazität von rund 3000 Personen hielten sich zuletzt mehr als 12.500 Flüchtlinge auf - die meisten davon in selbstgebauten Hütten und Zelten. Schon vor der Corona-Pandemie war die medizinische Versorgung dort unzureichend. Die vor Ort tätigen Ärzte warnten bereits am Anfang der globalen Pandemie, dass bei einem Corona-Ausbruch im Lager die Situation schwer unter Kontrolle zu halten sei. Um dem entgegen zu wirken, wurde vom 21. März bis zum 19. Juli sogar eine Ausgangssperre in den Flüchtlingslagern eingeführt, so dass die Lager nur tagsüber und in kleineren Gruppen mit weniger als zehn Personen verlassen werden konnten.

Bedingt durch die schwierigen Bedingungen im Flüchtlingslager waren die Betroffenen anfälliger für Infektionen. Am 2. September gab Griechenland seinen ersten Coronavirus-Fall in Moria bekannt. Nach einigen Tagen konnten 35 Corona-Fälle auf der Insel festgestellt werden. Der Brand im Flüchtlingslager Moria war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte! Die Flüchtlinge aus dem abgebrannten Lager weigerten sich, in das neue provisorische Zeltlager zu gehen. Sie demonstrierten und forderten einen Transfer in andere EU-Länder – teilweise unter dem Einsatz von Tränengas durch die Polizei.

EU-Länder konnten die Eskalation nicht ignorieren

Dieser Aufstand war eine Herausforderung für die EU-Länder, welche das Flüchtlingsproblem auf Lesbos weiterhin ignoriert hätten, falls es zu keiner Eskalation gekommen wäre. In einem ersten Schritt haben Länder wie Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Slowenien, Kroatien, Portugal, Belgien, die Niederlande und die Schweiz ihre Beteiligung an der Umverteilung von 400 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen erklärt. 150 davon sollen nach Deutschland. Nach weiteren Gesprächen einigten sich die CDU und SPD auf 1553 Flüchtlinge, die nun von Griechenland umgesiedelt werden sollen. Die ersten Flüchtlinge werden im September erwartet.

Österreich vertritt konträre Haltung

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz hatte bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen aus Lesbos von Anfang an eine klare Haltung: Österreich werde keine Flüchtlinge aus Lesbos aufnehmen und dem deutschen Weg nicht folgen. Kurz erklärte, dass es wichtig sei, zunächst diejenigen zu integrieren, die sich bereits in Österreich aufhalten, als ständig neue aufzunehmen: „Wenn wir diesem Druck jetzt nachgeben, dann riskieren wir, dass wir dieselben Fehler machen wie im Jahr 2015.“

ÖVP will keine Stimmen verlieren

Stünde man nicht vor den Wiener Landtags- und Bezirksvertretungswahlen, die am 11. Oktober stattfinden werden, würde man versuchen, die Statements von Herrn Kurz eventuell anders zu interpretieren. Doch kurz vor den Wahlen kommt der Gedanke auf, dass der Bundeskanzler seine bisherige Wahlpolitik fortsetzen möchte – ohne Risiken einzugehen. Möglicherweise möchte er mit seinen Äußerungen bezüglich einer neuen Flüchtlingskrise die Wahlpolitik noch stärker in die gewünschte Richtung lenken, um die Stimmen der FPÖ zu gewinnen: Im September 2019 fanden in Österreich aufgrund der „Ibiza-Affäre“ um den ehemaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache vorgezogene Nationalratswahlen statt, wovon auch die ÖVP reichlich profitierte. Während die ÖVP mit 38,35 Prozent (+6,88%) der Stimmen erneut die erste Partei war, erlitt der Koalitionspartner FPÖ schwere Wahlverluste und erreichte nur 17,25 Prozent (-8,72). Auf Bundesländerebene war die ÖVP stärkste Partei – außer in Wien. In Wien verloren die Sozialdemokraten zwar 5,6 Prozent, blieben jedoch mit 28,9 Prozent Stimmenanteil die stärkste Partei, die ÖVP erreichte 24,1 Prozent.

Wahlen oder Menschen?

Während die linken Parteien in den Wiener Landtags- und Bezirksvertretungswahlen auch um die Stimmen der Kandidaten mit Migrationshintergrund werben werden, will der ÖVP-Chef eindeutig wieder um die Stimmen von der FPÖ werben. Zum Einen erzielt er dies durch negative Äußerungen im Zusammenhang mit der türkischen Minderheit oder der Türkei, zum Anderen soll dies nun durch die Ablehnung der Umsiedlung von Flüchtlingen nach Österreich, also durch die besagte „souveräne“ Entscheidung und Flüchtlingspolitik Österreichs, erfolgen. Bundeskanzler Kurz scheut sich auch in dieser Wahlkampagne nicht, die extreme Rechte in den Mainstream zu rücken und rechtspopulistische Einwanderungs-, Flüchtlings- und Integrationspolitik in den Mittelpunkt zu stellen, um die FPÖ zu schwächen.

Möchte Herr Kurz weiterhin seine Stimmen durch den Rechtsruck seiner Partei festigen, ist er auf einem guten Weg. Aber wenn Kurz trotz der verheerenden Situation in Griechenland „es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren“ kann, obdachlose Kinder von Lesbos aufzunehmen, dann zeigt dies, das Österreich leider nicht auf einem menschlichen Weg ist!

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