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Die Führung der Europäischen Union (EU) und die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten trafen sich vom 24. bis 25. Juni in Brüssel mit einer Reihe wichtiger Tagesordnungspunkte. Schon im Vorfeld zeichnete sich ab, dass der Schwerpunkt der Beratungen, die aufgrund der Pandemie nach langer Zeit wieder mit der persönlichen Anwesenheit der EU-Führung und der Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten stattfanden, auf außen- und sicherheitspolitischen Fragen lag. So ist es in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die am Ende des ersten Gipfeltags veröffentlichte Abschlusserklärung fast ausschließlich der Türkei und Russland gewidmet war.

Kurs der Beziehungen zu Russland

Angesichts der sich in letzter Zeit häufenden Konflikte zwischen der EU bzw. den Mitgliedstaaten und Moskau hinsichtlich Themen wie Menschenrechtsverletzungen, Spionageaktivitäten und Cyberangriffen wurden auf dem Gipfel ausgiebige Beratungen zum Stand der EU-Russland-Beziehungen erwartet. Tatsächlich wurde in der Abschlusserklärung Russland mit Blick auf dessen Innenpolitik hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Pressefreiheit und des zunehmenden Drucks der Regierung auf die Zivilgesellschaft heftig kritisiert. Schließlich wurde beschlossen, auch weil Russland die Ukraine destabilisiere, die geltenden Wirtschaftssanktionen um weitere 6 Monate zu verlängern. Demnach ist es Mitgliedstaaten der EU weiterhin verboten, Waffenverkäufe mit Russland abzuwickeln, zudem bleiben öffentliche russische Banken vom Finanzsektor in Europa ausgeschlossen.

Eigentlich hatten sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron vor dem Gipfeltreffen für die Wiederaufnahme der direkten Gespräche mit Wladimir Putin ausgesprochen, um die Spannungen mit Moskau abzubauen. Doch insbesondere Mitgliedstaaten, die sich von Russland besonders bedroht fühlen, lehnten diesen Vorschlag entschieden ab. Schon daraus wird ersichtlich, dass sich die Mitgliedstaaten der EU nicht einig über einen einheitlichen Kurs gegenüber Russland zu sein scheinen. Nichtsdestotrotz zeigt die Abschlusserklärung, dass man bereit ist, ein neues Blatt in den Beziehungen zu Moskau aufzuschlagen, wenn denn Russland seine Feindseligkeiten gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten einstellt und die Bedingungen des Minsker Abkommens umsetzt. Unter diesen Gesichtspunkten kann gesagt werden, dass damit auch der Boden für neuerliche Verhandlungen mit Russland in der kommenden Zeit bereitet wurde.

Das Ziel einer positiven Agenda mit der Türkei

Am ersten Tag des zweitägigen Gipfeltreffens stand mit den Beziehungen zur Türkei ein weiteres Thema im Vordergrund. Am 24. Juni, also noch vor dem Gipfel, kündigten Bundeskanzlerin Merkel und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi an, dass sie das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei erneuern möchten, und sendeten damit positive Signale in Richtung Ankara. Vor allem Merkels Äußerungen zur Flüchtlingskrise, wonach „ein Vorankommen in dieser Thematik ohne die Kooperation mit der Türkei unvorstellbar“ sei und „zusätzlich 3 Milliarden Euro an die Türkei überwiesen werden sollen“ fanden ein Echo in der internationalen Öffentlichkeit. Folgerichtig wurde die EU-Kommission in der am Abend des ersten Gipfeltages veröffentlichten Abschlusserklärung aufgefordert, unverzüglich den offiziellen Vorschlag für die Fortsetzung der Finanzierung syrischer Flüchtlinge in der Türkei, in Jordanien und im Libanon zur Entscheidung vorzulegen. Zwar sind die Details des Vorschlags derzeit noch nicht klar, doch hat die bis ins Jahr 2024 geplante finanzielle Unterstützung in Höhe von 3 Milliarden Euro gewiss das Potenzial, die anhaltenden Spannungen in den Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel abzubauen. Aber selbst wenn die Kommission diesen Vorschlag vorbereitet und dem Parlament vorlegt, müssen mögliche finanzielle Hilfen für Flüchtlinge erst noch vom EU-Parlament genehmigt werden. An dieser Stelle sei notiert, dass das Parlament in den zurückliegenden Jahren häufig Entscheidungen gegen die Türkei getroffen hat und möglicherweise zukünftig einer „Rohrstock“-Politik den Vorzug geben und die Hilfen wider Erwarten blockieren könnte.

Mag die EU mit diesem neuerlichen Angebot bezüglich der Flüchtlinge auch auf die Türkei zugehen, so ist doch nicht zu erwarten, dass Ankara dieses Angebot bedingungslos annehmen wird. Denn wenn die EU mit solch einem Angebot auf die Türkei zukommt, wird Ankara gemäß dem Prinzip der Gegenseitigkeit zunächst die zuvor versprochene Visumsfreiheit und die Aktualisierung der Zollunion einfordern. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Aktualisierung der Zollunion und die Visafreiheit in dem berühmten Abkommen vom 18. März zwischen der Türkei und der EU zu den Verpflichtungen der EU gehören. Diesbezüglich kann die Unterstützung für eine Aktualisierung der Zollunion im Türkei-Abschnitt der Abschlusserklärung als Entwicklung im Sinne einer positiven Agendasetzung gedeutet werden. Allerdings fielen schon auf dem Gipfeltreffen im März ähnliche Äußerungen über die Zollunion, ohne dass in den vergangenen drei Monaten diesbezüglich Forschritte erzielt wurden. In diesem Sinne können die ständige Verschiebung konkreter Entscheidungen zur Aktualisierung der Zollunion und das Fehlen einer konkreten Stellungnahme zur Visafreiheit auch als Verzögerungstaktik gewertet werden. Damit aber eine wirklich positive Agenda in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU entstehen kann, muss die EU ihren beiden Verpflichtungen aus dem Abkommen vom 18. März nachkommen.

Betonung der Fiskalintegration

Bei der Betrachtung der Abschlusserklärung, die nach dem zweiten Tag des Gipfeltreffens veröffentlicht wurde, wird deutlich, dass die finanziellen Schäden, die den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten durch die Pandemie entstanden, im Fokus standen. Dementsprechend wurde konstatiert, dass die EU-Staaten aufgrund der Pandemie einer ernsthaften wirtschaftlichen Belastungsprobe ausgesetzt waren, jedoch wurden keine konkreten Entscheidungen bezüglich des seit langem auf der Tagesordnung stehenden Konjunkturprogramms getroffen. Stattdessen wurde in der Abschlusserklärung auch festgehalten, dass der Fiskalintegration im EU-Raum mehr Bedeutung beigemessen werden müsse, und darüber hinaus das Versprechen zur Vollendung der Bankenunion erneuert. Es wird jedoch nicht explizit erläutert, welche konkreten Schritte anstehen, vielmehr heißt es, die Entwicklungen bis zum nächsten Gipfel am Ende des Jahres sollten aufmerksam verfolgt werden.

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