Erstens war es Gaza, das den Krieg begann, als Vergeltung für die israelische Entweihung der Al-Aqsa Moschee und den Versuch, palästinensische Familien aus ihren Häusern im Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah zu vertreiben und diese jüdischen Siedlern zu überlassen.
Zweitens geht diese Konfrontation mit einer beispiellosen Demonstration der Einheit und Solidarität in allen palästinensischen Gebieten einher – dem Westjordanland, dem Palästina von 1948 und der Diaspora. Sie alle wurden vereint durch eine eklatante israelische Provokation in Bezug auf das, was Muslime in aller Welt als drittheiligste Stätte auf der Erde betrachten.
Drittens steht dieses Mal eine vollkommen neue Generation junger Männer und Frauen an der vordersten Front und stellt sich einer zunehmend fanatischen jüdischen Gesellschaft und einer rechtsextremen israelischen Regierungskoalition entgegen. Diese Generation macht sich keine Illusionen hinsichtlich der Besatzung. Die meisten ihrer Vertreter wurden lange nach dem Oslo-Abkommen von 1993 zwischen der PLO und Israel geboren. Dieser Vereinbarung zufolge sollten die Palästinenser einen eigenen palästinensischen Staat auf den von Israel 1967 okkupierten Gebieten bekommen, dem Westjordanland und dem Gazastreifen. Diese Generation wurde stattdessen in eine völlig andere Realität hineingeboren. Ihr blieb nur noch sehr wenig Territorium, auf dem sie einen Staat von Bedeutung hätte errichten können. Israel konfisziert seit 1967, verstärkt jedoch seit 1993, immer mehr Land, baut weitere Siedlungen, vergrößert bestehende und reißt immer mehr Häuser von Palästinensern ab. Die Vertreter dieser neuen Generation haben keinen Staat vorgefunden, der auf sie wartet, sondern vielmehr eine palästinensische Autonomiebehörde – das Hauptergebnis des Osloer Abkommens –, die als verlängerter Arm der Besetzer fungiert und insgeheim mit Israel zusammenwirkt, die palästinensischen Bewohner der unter ihrer direkten Kontrolle stehenden Städte und Dörfer zu unterdrücken und zu schikanieren.
Enttäuschung, Verbitterung, Wut und Frustration, die diese neue Generation empfindet, vertieften sich weiter im Verlauf eines Jahrzehnts, in dem arabische Regierungen in der Region die palästinensische Sache an den Rand ihrer politischen Agenda verbannten. Schlimmer noch war die Entscheidung mehrerer arabischer Staaten, gegen Ende der Amtsperiode des ehemaligen US-Präsidenten Trump die Beziehungen zu Israel zu normalisieren, trotz Israels Bestrebungen, immer mehr Land zu annektieren, vor allem in und um Jerusalem, und sich de jure zu einem jüdischen Staat zu erklären.
Der letzte Tropfen
Tatsächlich waren die Konfrontationen in der Al-Aqsa Moschee und im Stadtteil Sheikh Jarrah der Tropfen, der das Fass zu Überlaufen brachte. In den vergangenen etwa zehn Jahren hat sich die gegenwärtige israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu im politischen Spektrum Israels extrem nach rechts verlagert und koaliert mit dem sogenannten Religious Zionist Camp. Die Mitglieder dieser Bewegung glauben, Palästina sei ihnen von Gott verheißen worden und sie selbst seien daher berechtigt, die Palästinenser zu enteignen. Sie glauben wahrhaftig, eine göttliche Genehmigung dafür zu besitzen, gegen die Palästinenser so vorzugehen, dass dies nach internationalem Recht als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten würde. Darüber hinaus glauben sie, dass um ihren eigenen Tempel errichten zu können, die erste Qibla der Muslime (die Gebetsrichtung), die Al-Aqsa Moschee, verschwinden müsse. Um die Umgebung auf eine solche Eventualität vorzubereiten, beanspruchen sie das Eigentumsrecht an Häusern von Palästinensern in unmittelbarer Nähe der Moschee, darunter auch an jenen in Sheikh Jarrah, und machen sich Israels Apartheid-Gesetzgebung zunutze, um Zwangsräumungen zu legalisieren. Diese jüdischen Fanatiker kommen ungestraft davon, sind bewaffnet und werden von der israelischen Armee und Sicherheitskräften beschützt; sie organisieren provozierende Aufmärsche auf den Straßen Jerusalems und stürmen zuweilen aus Trotz das Gelände der Al-Aqsa Moschee.
Religiöser Konflikt?
Ausgelöst wurde das jüngste Aufflammen der Gewalt durch die Entscheidung dieser Siedler, eine große Kundgebung zu organisieren, um den Jahrestag der Annexion Ost-Jerusalems durch Israel zu feiern, die sie als Vereinigung der Stadt bezeichnen, kurz nachdem der östliche Stadtteil während des Sechstagekriegs von 1967 von Jordanien erobert worden war. Dieser Jahrestag fiel mit dem 28sten Tag des Fastenmonats Ramadan zusammen, jenem Tag, der auf das folgt, was für viele Muslime Lailat-ul-Qadr ist, die Nacht der Bestimmung. Israelische Polizei und Siedler schüchterten muslimische Gläubige ein und schikanierten sie ab Beginn der letzten zehn Tage des Fastenmonats, wenn Gläubige in großer Schar zusammenkommen, um die Nächte in der Moschee betend und mit Itikaf (frommer Absonderung) zu verbringen. In diesem Jahr ergriff Israel Maßnahmen, um im Westjordanland lebenden Palästinensern den Zugang zur Moschee zu verwehren. Dennoch gelang es vielen von ihnen, sich hineinzuschmuggeln. Die Mehrheit der Nicht-Jerusalemer, die diese heiligen Tage in der Moschee verbrachten, waren jedoch israelisch-palästinensische Bürger aus den 1948 besetzten Teilen Palästinas, die als israelische Araber bezeichnet werden, diese Bezeichnung selbst jedoch verabscheuen und darauf bestehen, dass sie Palästinenser sind.
Als sich die Provokationen zuspitzten und die Spannungen eskalierten, stellten sich Gläubige, zufällig zumeist Vertreter der neuen Generation von Palästinensern und aus verschiedenen Teilen Palästinas stammend, den Polizeikräften entgegen und gerieten mit ihnen aneinander. Ein Versuch der Polizei, den Platz gegenüber dem Damaskustor zu verbarrikadieren, scheiterte am energischen Widerstand der muslimischen Jugend.
Während die Spannungen vor sich hin köchelten, warnten Hamas und andere Widerstandsgruppen in Gaza Israel davor, diese Angriffe auf Gläubige und die tägliche Entweihung der Moschee fortzusetzen. Israel beachtete die Warnung jedoch nicht, sondern tat sie mit einem Lachen ab. Schließlich stellte die Hamas ein Ultimatum bis zum Montag, den 10. Mai, Jerusalemer Zeit, das besagte: „Wenn ihr nicht ablasst davon, werden wir unseren palästinensischen Mitbürgern in Jerusalem zu Hilfe kommen.“
Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels tobte der Krieg noch immer, und die Zahl der Opfer unter den Palästinensern stieg stündlich an. So viel Zerstörung wurde bis dahin in Gaza angerichtet. Israelis griffen bewusst Häuser an und bombardierten sie und ihre Bewohner, offenbar mit dem Ziel, die Bevölkerung von Gaza gegen Hamas und andere Widerstandsgruppen aufzubringen. Doch davon ist keine Spur zu erkennen. Stattdessen werden die Bewohner des Gazastreifens trotz ihres enormen Schmerzes und Verlustes zunehmend ermutigt, während die meisten Orte im Süden und im Zentrum Israels durch den pausenlosen Beschuss mit Raketen aus Gaza lahmgelegt werden.
Wie in früheren Kriegen auch, versuchten regionale und internationale Akteure, ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den beiden Seiten zu vermitteln. Doch was die Sache für Israel dieses Mal weiter verkompliziert, ist die Tatsache, dass diese Konfrontation, anders als jede vorherige zwischen Gaza und Israel, von einem Volksaufstand begleitet wird, der sich in ganz Palästina ausbreitete, auch innerhalb der palästinensischen Gemeinden im sogenannten Palästina von 1948. Diese vermeintlich israelischen Bürger hegen ihren eigenen, tiefgehenden Groll. Sie wurden als Bürger zweiter Klasse in einem System behandelt, das eine bösartige Form der Apartheid gegen sie ausübt. Ihre Revolte ist nicht die erste, definitiv jedoch die für Israel bislang schwierigste. Die Fassade arabisch-jüdischer Harmonie in den als gemischt bezeichneten Orten und Städten, etwa Lod, Jaffa, Haifa und Tel Aviv, ist irreparabel zerbrochen.
Indem sie sich mit jüdischen Fanatikern verbündete, die nirgendwo in Palästina, ihrem „göttlich verheißenen Land“, Nichtjuden leben sehen wollen, ist es der gegenwärtigen israelischen politischen Klasse wie nie zuvor gelungen, den politischen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis in einen religiösen zu verwandeln.