Ukraine-Flüchtlinge in Berlin (Reuters)
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Inzwischen gibt es in Deutschland mehr als 350.000 ukrainische Geflüchtete, die mit dem „vorübergehenden Schutz“ nach Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes untergebracht werden müssen. Einem Bericht des Magazins „Foreign Policy“ zufolge werden afghanische, syrische und afrikanische Geflüchtete aufgrund von „betrieblich notwendiger und schwieriger Erwägungen“ (Stefan Strauss, Pressesprecher der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales) aufgefordert, innerhalb weniger Tage ihre Unterkünfte zu verlassen.

Dies ist der aktuellste Eklat in diesem Kontext, da bereits in den ersten Wochen der Fluchtbewegung aus der Ukraine rassistische Vorfälle an den Grenzen gegenüber Geflüchteten of Color gemeldet wurden. So meldeten Studierende aus afrikanischen Staaten, dass sie an den Grenzen aufgehalten wurden, da es „Ukrainians go first“ hieß, als würden nicht alle Menschen versuchen, demselben Krieg zu entfliehen. Seit Kriegsbeginn lässt sich beobachten, dass eine systematische Priorisierung von Menschenleben stattfindet, die auf Rassismus zurückzuführen ist. Denn Schutzbedürftigkeit und Genfer Flüchtlingskonvention scheinen von Kriterien wie Hautfarbe und Religion abhängig zu sein.

Die politische und rechtliche Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten ist beispiellos: Ukrainer:innen müssen kein Asylverfahren durchlaufen, haben unbürokratischen Zugang zur Bildung, beispielsweise dürfen ukrainische Schüler:innen ohne Abschluss an Universitäten studieren. Auch können Ukrainer:innen als anerkannte Geflüchtete nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungen erhalten und haben reibungslosen Zugang zum Arbeitsmarkt.

Während die solidarischen Kollektivhandlungen und die Anteilnahme der europäischen Gesellschaften auf der einen Seite Hoffnung machen, lassen sie gleichzeitig die „europäische Wertegemeinschaft“ einer Rassismus-Prüfung unterziehen.

Kennt Solidarität ethnische Herkunft und Religion?

Die Solidaritätsbewegung für die Ukrainer:innen soll in diesem Zusammenhang keine Grundlage für eine „Neid-Debatte“ bieten, denn menschenwürdige Asylpolitik gehört zu den basalen Prämissen von Rechtsstaaten. Der Fokus liegt hierbei nicht auf dem politisch-gesellschaftlich adäquaten Umgang mit den Geflüchteten aus der Ukraine, sondern auf der rassistischen Diskriminierung von schwarzen und muslimischen Schutzbedürftigen of Color. Die Freude über den politisch-gesellschaftlichen Umgang mit Ukrainer:innen ist groß und festigt das gesellschaftliche Wertesystem. Doch Brandstiftungen auf Flüchtlingsunterkünfte, Angriffe auf Busse mit Geflüchteten aus Syrien vor einigen Jahren, nicht anerkannte Schul- und Universitätsabschlüsse von Geflüchteten aus nichteuropäischen Ländern, komplizierte Asylverfahren uvm. zeichnen seit Jahren die Lebensrealität aller nicht-ukrainischen Geflüchteten in Deutschland aus.

Es besteht Konsens darüber, dass der politische und gesellschaftliche Umgang mit den geflüchteten Ukrainer:innen zu begrüßen ist. Die internationale Empörung über den Krieg in der Ukraine, die Forderung nach Rückzug der russischen Streitkräfte und die „Willkommenskultur“ der Regierungen und der Zivilbevölkerung sollten die basalen Reaktionen auf einen Krieg sein.

Doch die rassistischen Vorfälle an den Grenzen, die Unterteilung in „gute“, „zivilisierte“, „christliche“ und „echte“ Geflüchtete und die „Anderen“ hinterlassen einen schlechten Beigeschmack und werfen Fragen zur „europäischen Wertegemeinschaft“ auf. Denn eine menschenwürdige Aufnahme sollte allen Schutzsuchenden gewährt werden, doch die Praxis ist von ausschließender und rassistisch diskriminierender Grenzpolitik geprägt.

Das „Schicksal“ der geflüchteten Ukrainer:innen ist das gleiche: Menschen fliehen vor dem Angriffskrieg Russlands – wie dies seit 2015 in Syrien der Fall ist. Der Vergleich soll kein Relativismus sein, sondern nur der historischen Zuordnung dienen. Denn solche Vergleiche sind menschenverachtend – wie der politische und diskursive Umgang mit Kriegen in anderen Teilen der Welt und den Kriegsopfern.

Das Narrativ der „größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg“ ist ebenfalls faktisch nicht korrekt und daher kritisch zu hinterfragen.

Rassistische Narrative in der Berichterstattung und von Politiker:innen

Seit Kriegsbeginn ist in der medialen Darstellung und in den Aussagen von Politiker:innen eine rassistische Kategorisierung und Hierarchisierung der Kriegsopfer und Geflüchteten festzustellen. Die Solidaritätsbekundungen mit den Ukrainer:innen waren gleichzeitig eine unmissverständliche Abwertung von Schwarzen und Muslimischen Geflüchteten aus Syrien, Irak, Afghanistan oder aus Afrika und weiteren PoC-Gruppen. Während das Leben der Ukrainer:innen „schützenswert“ sei, weil sie „wie wir“, „christlich“, „zivilisiert“, „blond und blauäugig“ seien, entstand ein rassistischer Umkehrschluss, nämlich, dass das Leben von Muslimen, Schwarzen, Sinti:zze und Rom:nja und Geflüchteten of Color „weniger Wert“ sei, da diese eine andere Hautfarbe und Religion haben und in die Kategorie der „Nicht-Zivilisierten“ fallen. Die Identifikation mit der einen Gruppe geht mit der Diskriminierung und kategorischen Ausgrenzung einer anderen Gruppe einher, sodass diese Form der Identifikation einen faden Beigeschmack bekommt und reflektiert werden muss.

Auch der letzte Eklat in Bezug auf die Räumung von Unterkünften für Ukrainer:innen ist ein Beispiel hierfür, denn die Message ist; „Eure Lebensumstände sind „weniger wert“, und mit den Umstellungen (soziales Umfeld, Weg zur Arbeit und zur Schule etc.), die damit verbunden sind, müsst ihr klarkommen.“

In einer aktuellen offiziellen Pressemitteilung der Bayerischen Integrationsbeauftragten (CSU) hieß es, „Ukrainischen Geflüchteten muss nicht erklärt werden, wie eine Waschmaschine funktioniert oder dass auf dem Zimmerboden nicht gekocht werden darf.“ Diese Aussage suggeriert, dass Geflüchtete aus anderen Ländern ein „anderes“ Maß an „Zivilisation“ mitbringen und somit „othered“ werden.

Der politische und diskursive Umgang mit der Migrationsbewegung aus der Ukraine und beispielsweise der Migrationsbewegung im Sommer 2015 wirft viele Fragen auf: Kennt Solidarität Hautfarbe, Nationalität oder Religion? Ist „selektive Solidarität“ Solidarität? Gelten die im 1948er Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen verankerten Menschenrechte für alle Menschen? Welche Rolle spielt die geografische Lage, wenn es in einem Land zum Krieg kommt? Lassen sich Menschenleben hierarchisieren?

„Willkommenskultur“ versus rassistische Exklusion

Die Etymologie des Begriffes der Solidarität ist auf das römische Recht zurückzuführen.

Der Ausdruck „obligatio in solidum“ meinte in diesem Rahmen die Haftung, nach der jedes Mitglied einer Gemeinschaft für deren Schulden einsteht et vice-versa.

In der heutigen Gesellschaft ist eine Evolution des Solidaritätsbegriffes und -verständnisses festzustellen. Auch heute spielt der Begriff der „Solidarität“ eine wichtige Rolle – aktuell vor allem im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg in der Ukraine und der damit verbundenen Migrationsbewegung, wie dies den obigen Ausführungen zu entnehmen ist.

Es stellt sich die Frage, wie sich der Begriff der Solidarität in unserer globalisierten Welt verstehen lässt, wenn die Verbundenheitsgefühle rassistisch geprägt sind und die Solidarität mit einer Menschengruppe die Diskriminierung einer vermeintlich „anderen“, schutzbedürftigen Gruppe mit sich bringt. Diese Ungleichbehandlung und Priorisierung rütteln an dem Vertrauen in universelle Menschenrechte, die für alle Menschen gelten sollten.

Zur Zeit geht die Solidarität mit Ukrainer:innen mit der Diskriminierung von Nicht-Ukrainer:innen einher und weiter: Sie kriminalisiert Russ:innen, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, indem sie unter Generalverdacht gestellt werden. Im Kulturbetrieb wurden Veranstaltungen mit russischen Kulturschaffenden – ohne eine Differenzierung vorzunehmen – abgesagt, was eine weitere ethnische Minderheit in Deutschland marginalisiert und die Gesellschaft weiter spaltet. Es gibt bereits Polizeiberichte über steigende Übergriffe auf Russ:innen in Form von Sachbeschädigungen, Beleidigungen und Drohungen. Die Kehrseite der Solidarität mit Ukrainer:innen ist besorgniserregend, da sie keine Differenzierung vornimmt und Geflüchtete aus nichteuropäischen Ländern rassistisch diskriminiert.

Diese Form von performativer und gewaltbereiter Solidarität ist keine Unterstützung für Ukrainer:innen, sondern dient als Vehikel für das eigene bereits bestehende rassistische Mindset, das auf den „richtigen Moment“ gewartet hat.

Partikularistische Solidarität und exkludierende Verbundenheitsgefühle bedeuten, dass eine ethnische, religiöse oder kulturelle Identifikation mit Schutzbedürftigen existieren muss, damit eine kollektive Hilfsbereitschaft besteht. Es bedarf eines gesellschaftlichen Verständnisses von universalistischer Solidarität, dass die Gleichheit von hilfsbedürftigen Menschen als Basis nimmt. Jeder „Solidarität“, die auf Differenzierungsmerkmale wie Hautfarbe, Herkunft oder Religion beruht und Menschenleben hierarchisiert, sollte der moralische Charakter abgesprochen werden.

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