Digitalisierung und Politik
Nicht nur vom Klimawandel, auch von der Digitalisierung gehen Veränderungen aus, die alle Lebensbereiche nachhaltig verändern. Das bietet Chancen, führt aber auch zu einer höheren Verwundbarkeit.
Ging es beim Thema Sicherheit in der Vergangenheit vor allem um persönlichen Datenschutz oder die Abwehr von Industriespionage und -sabotage, so ist heute den meisten Menschen klar, dass die Digitalisierung auch Risiken für das Funktionieren unseres politischen Systems mit sich bringt.
Das abgehörte Mobiltelefon der Kanzlerin oder der erfolgreiche Hackerangriff auf das IT-System des Bundestags zeigten, wie verwundbar Staatsorgane werden, wenn sie ihre Technik nicht hinreichend schützen, von deren Funktionieren sie zunehmend abhängig sind.
Eine unmittelbare Folge solcher Angriffe war die Einführung besserer Hard- und Software, höherer Schutzstandards, Firewalls oder Benutzerregeln. Was wie verwendet werden darf, wurde neu und strenger geregelt, aber auch die Gegenseite rüstet auf, und vor allem bleibt immer ein Restrisiko, weil oft menschliches Versagen, mangelhafte Kenntnisse im Umgang mit Technik oder auch nur Arglosigkeit ein Eindringen in sensible Datennetze ermöglicht. Angesichts des Durchschnittsalters der Mitglieder des Deutschen Bundestags von fast 50 Jahren sind die digital natives dort noch klar in der Minderheit. Oder wie es Angela Merkel 2013 formulierte: „Für uns alle ist das Internet Neuland.“ Dafür wurde sie verspottet. Das Zitat trifft aber den Punkt: Mit der Digitalisierung gehen Veränderungen einher, die in ihren Dimensionen weder bereits verstanden werden noch vorhersehbar sind, obwohl oder gerade weil die Geschwindigkeit digitaler Innovationen keine ferne Zukunft betrifft, sondern unsere unmittelbare Lebenswirklichkeit. Als Frau Merkel Kanzlerin wurde, gab es kein Smartphone und kein Twitter. Ein Jahrzehnt später machte nicht nur US-Präsident Trump genau damit täglich Politik mit globalen Folgen. Auch die Frage, wie er ins Amt gekommen ist, beschäftigte Analysten, die bei ihren Antworten auch auf die Rolle von sozialen Medien, Big-Data-Unternehmen und Desinformation im Wahlkampf verwiesen.
Desinformation vor Wahlen
Denn bei Cybersicherheit geht es nicht nur um die Frage, ob unsere Informationstechnik vor Hackerangriffen geschützt ist. Sie betrifft auch die Manipulationsversuche bei der Meinungsbildung in den digitalen Räumen unserer politischen Öffentlichkeit. Die Analyse der US-Wahl 2016 ergab, dass Personen (Trolls), Software (Bots) und eine Mischung aus Mensch und Maschine (Cyborgs) gezielt bestimmte Wählergruppen über deren bevorzugte Informationskanäle in sozialen Medien mit Informationen fütterten, um Wahlentscheidungen zu beeinflussen. Anders als bei konventioneller Wahlwerbung sind dies Manipulationsversuche, die auf die jeweilige Person zugeschnittene Beiträge platzieren. Was im personalisierten Newsfeed erscheint, wird danach ausgewählt, worauf jemand besonders stark reagiert. Herausfinden lässt sich das durch die Auswertung der zahllosen digitalen Spuren, die Internetbenutzer im Laufe der Zeit hinterlassen. In ihrer Summe bilden diese Daten ein Profil. Wer es ausliest, weiß mehr über die jeweilige Person, als ihr selbst bewusst ist. Auf diese Weise lassen sich gezielt mit einseitiger oder Desinformation sensible Punkte anvisieren, um Menschen entweder zu frustrieren und dazu zu bringen, gar nicht erst zur Wahl zu gehen, oder sie zu erregen und ein Protestverhalten auszulösen, das im Idealfall zu einer anderen Wahlentscheidung führt als ohne diese Manipulation.
Eine parlamentarische Demokratie basiert auf der Annahme, dass Repräsentanten frei und unabhängig gewählt werden, nachdem sich Parteien mit konkurrierenden Programmen vorgestellt haben. Darüber informieren sich die Wahlberechtigen und bilden sich ihre persönliche Meinung, wer für sie und ihr Land die beste Politik zu machen verspricht. Wenn Menschen aber mit gefilterten oder falschen Informationen bombardiert werden, auf die sie besonders emotional reagieren, und ihnen durch Weglassen, Zuspitzung oder Lügen eine Wirklichkeit vorgeführt wird, die sie dazu bringt, ihr Verhalten zu ändern, dann bilden sich nicht mehr mündige Wählerinnen und Wähler eine politische Meinung, sondern die vorgeformte Meinung bestimmt deren Stimmabgabe am Wahltag.
Maßnahmen gegen Cyberangriffe
Anreize, Einfluss auf Wahlergebnisse zu nehmen, gibt es viele. Jede Politikentscheidung ist mit Verteilungswirkungen verbunden. Es gibt finanzielle Motive, aber auch ideologische. In einer immer stärker verflochtenen Welt verschärft sich der Systemwettbewerb, und ein erfolgreiches westliches Demokratiemodell erscheint autoritären Regimen als Gefahr. In einer multipolaren Welt haben alle Machtzentren ein Interesse an einer Schwächung oder Spaltung der Europäischen Union. Auch deshalb nehmen sie Einfluss auf Wahlentscheidungen und die öffentliche Meinung.
Die EU reagierte darauf 2018 mit einem Aktionsplan gegen Desinformation, der auf folgenden Säulen beruht: Desinformation erkennen, Reaktionen koordinieren und optimieren, Zusammenarbeit mit den Online-Plattformen verstärken, die Öffentlichkeit sensibilisieren und ihre Aufmerksamkeit und Widerstandsfähigkeit stärken.
Die EU-Mitgliedstaaten haben seitdem Strukturen gegen Desinformation aufgebaut und arbeiten mit einer Taskforce des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EUvsDisinfo) zusammen. In deren aktuellem Bericht zeigt sich, dass insbesondere Deutschland seit 2015 mit über 700 Fällen Ziel von russischen Desinformations-Kampagnen ist. Aber auch alle anderen EU-Staaten waren Zielscheibe von derartigen Aktivitäten, sei es bei Wahlen oder Abstimmungen wie dem Brexit.
Solche Strukturen und Gegenmaßnahmen sind notwendig. Ob sie ausreichen, um den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft zu schützen und das Funktionieren repräsentativer Demokratie zu gewährleisten, wird sich zeigen. Denn wie bei der Techniknutzung spielt auch hier der Mensch eine entscheidende Rolle. Wir neigen dazu, diejenige Information als wahr anzusehen, die unseren Überzeugungen entspricht. Daran ändern Faktenchecker oder ein Verhaltenskodex für Facebook und Co nicht grundsätzlich etwas. Wenn laut Eurobarometer 83 % der Europäer meinen, Fake News seien eine Gefahr für die Demokratie, dann sind wir bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit schon weit gekommen. Inwiefern das zu einer Verhaltensänderung beim Umgang mit Information und Kommunikation führt und ob wir in der Lage sind, Desinformation als solche zu erkennen, ist eine der großen Fragen für die Zukunft unserer Demokratieform. Wenn wir sie bewahren wollen, genügt es nicht, nur den Inhalt einer Nachricht wahrzunehmen, sondern sich – speziell vor der Bundestagswahl – auch immer zu fragen: Wer sagt was auf welche Weise mit welchem Interesse? Ist das Medium meines Vertrauens tendenziös und warum? Was sagen die anderen? Das zu überprüfen, ist heutzutage leichter als in der analogen Vergangenheit und eine der Segnungen der Digitalisierung. Man muss es nur wollen.