von Ufuk Necat Taşçı
Die verbalen Attacken des französischen Präsidenten Emmanual Macron gegen die Türkei belasten die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Trotz der unerbittlichen Tiraden Macrons gegen die Türkei und den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan herrscht in den politischen Kreisen in Ankara die allgemeine Auffassung, dass nur Macron ein Problem mit der Türkei habe – nicht das französische Volk.
Die Empfindungen wurzeln in einem historischen Bündnis zwischen dem Osmanischen Reich und der französischen Monarchie. Die Beziehungen reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück, als Suleiman der Prächtige 1526 in die Schlacht bei Mohács eintrat. Die Osmanen besiegten das ungarische Reich, das der stärkste Verbündete der Habsburger Monarchen von Österreich war. Doch was hat Frankreich damit zu tun?
Wie Sultan Suleiman der französischen Monarchie half
Ein Jahr vor der Schlacht schrieb die Mutter des französischen Monarchen einen Brief an den osmanischen Sultan. Darin habe Louise von Savoyen Sultan Suleiman darum gebeten, ihren Sohn Franz I. aus einem habsburgischen Gefängnis zu befreien, behaupten Historiker.
Als wichtigster Verbündeter der Habsburger musste das ungarische Reich eine erschreckende Niederlage durch die Osmanen einstecken. Die Schlacht bei Mohács markierte das Ende der Jagiellonen-Dynastie. Karl V., König der Habsburger, verspürte den Druck, an den Verhandlungstisch zu kommen und Franz I. freizulassen.
Das Ereignis legte einen entscheidenden Grundstein für das französisch-osmanische Bündnis, das mehrere Jahrhunderte überdauerte. Ein Bündnis mit einem muslimischen Herrscher zu schließen, war für einen christlichen König ein kontroverser Schritt. Es half aber Franz I., den Fortbestand seines Reiches zu sichern.
„Frankreich bat das Osmanische Reich bei jeder einzelnen Gelegenheit um Hilfe gegen die Habsburger. Das Land profitierte auch von der Unterstützung des Osmanischen Reiches, als es gegen die spanische Dominanz kämpfte. So hatten die Osmanen die Chance, in die europäische Politik einzugreifen – und taten dies auch“, erklärt Prof. Feridun Mustafa Emecen, Geschichtswissenschaftler an der Istanbuler 29-Mayıs-Universität.
Emecen zufolge umzingelten die Habsburger das französische Reich und standen kurz davor, eine große Bedrohung für die französische Existenz zu werden. Wären die Osmanen mit der Schlacht bei Mohács nicht in Mitteleuropa gewesen, wäre Frankreich unter die Hegemonie der Habsburger geraten.
Der erste Hilferuf des französischen Reiches markierte auch den Beginn der französisch-osmanischen Freundschaft. 1528 bat König Franz I. von Frankreich erneut Suleiman den Prächtigen um Hilfe. Das erklärt Prof. Erhan Afyoncu, türkischer Historiker und Rektor der Nationalen Verteidigungsuniversität in einem von „Sabah“ veröffentlichten Artikel. Der Habsburger Karl V. habe den französischen König schikaniert, der sich ohne den Schutz der Osmanen gegen seinen österreichischen Feind verwundbar gefühlt habe.
„Türken und Franzosen sind alte Freunde“, kommentiert Mesut Hakkı Caşın, Experte für Politische Geschichte und Professor an der Yeditepe-Universität in Istanbul im Gespräch mit TRT World. Macrons antitürkische Rhetorik entbehre jeder historischen Kenntnis über das Verhältnis beider Länder.
Historisch gesehen war das Bündnis auch während des Kalten Krieges fast immer ein Eckpfeiler der türkisch-französischen Freundschaft. Auch wenn es in der Geschichte einige Höhen und Tiefen gab.
Was das Überleben der französischen Monarchie im 16. Jahrhundert anbetrifft, besteht ein breiter Konsens: Ohne die Osmanen wäre die französische Monarchie unter der Macht der Habsburger zusammengebrochen.
Der historische Wendepunkt
Suleiman der Prächtige hielt während seiner Herrschaft die Habsburger in Schach. In der Schlacht von Buda, im westlichen Teil der heutigen ungarischen Hauptstadt Budapest, sahen sich die Österreicher einer schweren Niederlage gegen die Osmanen gegenüber. Als Folge davon konnten die Heere des muslimischen Herrschers nach Mitteleuropa gelangen. Nachdem Sultan Suleiman das österreichische Kaiserreich besiegt hatte, war Wien das nächste Ziel. Im Jahr 1529 belagerte der osmanische Sultan Wien.
Über ein Jahrzehnt später retteten die Osmanen 1543 erneut Franz I. – Suleiman schickte seine Marineschiffe unter dem Kommando des legendären Großadmirals Barbaros Hayreddin Pascha zur Hilfe. Einigen Historikern zufolge genoss Hayreddin Pascha bei seinen Rivalen sehr viel Respekt. Karl V. soll ihm daher den Admiralsposten in seiner Marine angeboten haben – der Pascha lehnte die Offerte umgehend ab. Der Habsburger Kaiser versuchte daraufhin, den osmanischen Seemann mit dem Königtum der spanischen Territorien in Nordafrika zu ködern. Doch bei seinen Bemühungen, den Pascha zum Seitenwechsel zu bewegen, scheiterte er.
Als 1546 der rotbärtige Hayreddin Pascha und ein Jahr später Franz I. starben, fühlte sich das französische Reich angesichts der Bedrohung durch die Habsburger erneut unsicher. Suleiman der Prächtige unterstützte ebenso die Nachfolger und andere französische Monarchen, die in den darauffolgenden Jahrzehnten regierten.
„Nach dem Tod von Franz I. führten das Osmanische Reich und Frankreich in den 1550er Jahren einen gemeinsamen Militärfeldzug gegen Spanien. Dabei überließ Frankreich sogar einen seiner Häfen der osmanischen Marine. Frankreich profitierte dabei von der Macht der osmanischen Marine gegen Spanien“, so Emecen.
Im 16. Jahrhundert unterstützte das Osmanische Reich Frankreich finanziell und schickte auch immer wieder seine Armee und Marine zum Schutz vor Angriffen durch die Habsburger. Laut Afyoncu schickte Suleiman der Prächtige 1533 100.000 Goldmünzen an Franz I. Mit diesem Geld schloss der französische König mit englischen und deutschen Fürsten strategische Verträge.
Der französische König Heinrich II. soll stets die Unterstützung der Osmanen geschätzt und Sultan Suleiman tiefen Respekt gezollt haben. Er nannte den Sultan einen „ehrwürdigen Freund, ein prächtiger König der Muslime und einen ungeschlagenen Kaiser“.
Das Bündnis zwischen den Osmanen und Franzosen war außergewöhnlich. Es war das erste nicht-ideologische Bündnis eines christlichen Staates mit einem muslimischen Reich. Mit Unterbrechungen hielt das Bündnis mehr als zweieinhalb Jahrhunderte – bis zum Feldzug Napoleons im osmanischen Ägypten von 1798 bis 1801.
Macron blendet historische Realität aus
Laut Afyoncu war die französisch-osmanische Allianz ein Symbol der osmanischen Barmherzigkeit gegenüber einem zutiefst beunruhigten französischen König. Der französische Präsident Macron dagegen sei sich dieser historischen Realität scheinbar nicht bewusst, betrachte man seine unsensible Wortwahl gegenüber der Türkei – dem Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches.
Frankreich mischt sich derzeit in den bilateralen Seestreit zwischen der Türkei und Griechenland um Erdgas im östlichen Mittelmeerraum ein und unterstützt dabei Athen.
Auch laut dem Geschichtswissenschaftler Caşın gefährden Macrons aggressiver Ton gegenüber dem NATO-Partner Türkei und die militärische Bedrohung das Militärbündnis. „Die USA und Deutschland sind sich des Problems bewusst und sollten Frankreich nicht erlauben, die NATO zu zerstören“, fügte er hinzu.
Das französische Volk und die politischen Entscheidungsträger sollten nicht zulassen, dass Macron eine über Jahrhunderte alte Freundschaft zwischen Frankreich und der Türkei zerstört. Statt Waffen an Griechenland zu verkaufen, sollte Frankreich auf die Stärkung der einheitlichen Vision der NATO hinarbeiten, ermahnte Caşın.