Menschen demonstrieren in Deutschland am Jahrestag der Nakba / Foto: Reuters (Reuters)
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von Indlieb Farazi Saber

Vor 75 Jahren stürmten zionistische Milizen Palästina, töteten 15.000 Palästinenser und vertrieben 750.000 weitere gewaltsam aus ihren Dörfern und von ihrem Land, um Platz für die Gründung Israels zu schaffen. Dies ist als Nakba bekannt – auf Arabisch „Katastrophe“ –, und derzeit versuchen viele, Parallelen zwischen diesem historischen Trauma und dem aktuellen Angriff Israels auf Gaza zu ziehen.

1948 wurden mehr als 500 palästinensische Dörfer von Terroristen überfallen und zerstört. Diejenigen, die zurückblieben – damals 420.000 im Westjordanland, 80.000 im Gazastreifen und etwa 160.000 weitere im neugegründeten Staat Israel –, leben seitdem unter Besatzung. „Wenn der internationalen Gemeinschaft nach 75 Jahren immer noch nicht bewusst ist, was die 'Nakba' bedeutet, dann sieht sie diese im Fernsehen, vor unserer aller Augen“, so Francesca Albanese, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Menschenrechte der Palästinenser, letzten Monat gegenüber Reportern.

Das Gesundheitsministerium des Gazastreifens schätzt die Zahl der Toten auf 20.915 und mehr, wobei zwischen 6.000 und 7.000 weitere Menschen noch begraben unter den Trümmern eingestürzter Gebäude vermutet werden und als vermisst gelten. TRT World erklärt, warum dieser Krieg zu Palästinas „neuer Nakba“ geworden ist.

Warum ist es wichtig, die erste Nakba von 1948 zu verstehen, um zu begreifen, was jetzt aktuell geschieht?

„Weil es nicht am 7. Oktober begonnen hat, sondern 1948“, erklärt Darin Sallam, Autorin und Regisseurin des von der Kritik gefeierten Films Farha (2021) gegenüber TRT World. „Dies ist eigentlich kein komplizierter Konflikt. Es handelt sich nicht um einen religiösen Konflikt. Es ist kein Krieg. Es ist ein Besatzer, und es sind die Besetzten. Es ist ein Unterdrücker, und es sind die Unterdrückten. Es ist eine Kolonialmacht, und es sind die Kolonisierten, und all das begann 1948.“

Palestinians Israel Nakba (AP)

Welche Ähnlichkeiten gibt es zwischen der Nakba von 1948 und dem heutigen Krieg?

„Die Kriegsverbrechen, die Israel heute begeht, sind die gleichen wie 1948, und wir sehen, dass sich die Muster von Barbarei und Grausamkeit wiederholen“, bestätigt Sallam aus ihrem Haus in Jordanien. Ihre Familie, selbst Opfer der ersten Nakba, wurde gezwungen, ihr Haus in Ramla, das heute zu Israel gehört, zu verlassen. Sie erhält Nachrichten von Menschen, die die Szenen aus dem Gazastreifen auf ihren Bildschirmen in den Nachrichten und sozialen Medien verfolgen. Diese sagen ihr, dass es dieselben schockierenden Bilder sind, die sie schon zuvor im Film Farha gesehen haben, der in einem nicht näher benannten palästinensischen Dorf während der Nakba spielt.

Säuglinge, die man verhungern und sterben lässt, Kinder, die kaltblütig umgebracht werden, die Ermordung wehrloser Familien, der Diebstahl von Schmuck und Eigentum, die Auslöschung von Dörfern und die erst kürzlich erfolgte Aufforderung per Megafon, das Gebiet in Richtung „sichere Zonen“ zu verlassen. Es ist dasselbe wie 1948, nur viel schlimmer!“ Dr. Ghada Karmi, Mitbegründerin des Europäischen Zentrums für Palästinastudien an der Universität Exeter und Überlebende der Nakba, war erst acht Jahre alt, als sie gezwungen wurde, ihr Elternhaus im wohlhabenden Katamon-Viertel in Westjerusalem zu verlassen.

Gaza-Krieg (AA)

Ihr vor 1948 „freundliches und ruhiges’“ Viertel wurde von zionistischen „Scharfschützen und Milizen“ besetzt. Die Familie gehörte zu den 70 Prozent der Palästinenser, denen der neue Staat Israel verbot, jemals in ihre Heimat zurückzukehren. „Ich erinnere mich, dass überall Angst herrschte, und es ist dieselbe Angst, die ich heute in den Gesichtern der Kinder in Gaza sehe“, sagte sie gegenüber TRT World. Man geht davon aus, dass seit Beginn des Krieges mindestens 8.000 Kinder ums Leben gekommen sind, aber viele weitere könnten noch unter den Trümmern eingeschlossen sein, und andere, die überlebt haben, stehen oft ohne überlebende Familienangehörige da.

Sallam sagt, einer der Gründe, warum sie in ihrem Film die Geschichte der Nakba durch die Augen eines 14-jährigen Mädchens erzählen wollte, sei gewesen, zu zeigen, wie palästinensische Kinder ihrer Kindheit beraubt, verfolgt und ermordet wurden. „Es ist eigentlich nur die Geschichte eines Kindes, das die Nakba überlebt hat. Wenn man sich nun die Geschichte Gazas vor Augen hält, müsste ein Kind fünf Kriege überleben, um 18 Jahre alt zu werden.“

Ist das, was wir jetzt erleben, schlimmer als die Nakba?

„Ja, wenn man das Ausmaß der Verluste an Menschenleben, der Vertreibung und der Zerstörung betrachtet“, sagt Karmi. Sie erinnert sich daran, wie die jüdische paramilitärische Gruppe Haganah das Semiramis-Hotel in ihrer Kindheit bombardierte, das direkt an der Straße gegenüber ihrem Haus lag, wobei mindestens 20 Menschen, darunter ein Kind, getötet wurden. „Ich erinnere mich auch, dass einige unserer Fenster durch die Explosion zerbarsten, aber was jetzt passiert, ist unvergleichlich.“ Seit Beginn der israelischen Bombardierung des Gazastreifens am 7. Oktober wurden mehr als 313.000 Gebäude zerstört, darunter Schulen, Krankenhäuser und Wohnhäuser.

Derweil setzt Israel seit der Invasion des Gazastreifens die systematische Aushungerung als Mittel zur Unterwerfung der Bevölkerung ein. Diese Strategie umfasst ebenso die Bombardierung und Zerstörung von Bäckereien, Fabriken, Lebensmittelläden, Wasserstationen sowie die Unterbrechung der Energieversorgung. „Alles ist in jeder Hinsicht schlimmer – die beispiellosen Aushungerungsmethoden, die gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens angewandt werden, die steigende Zahl der Todesopfer, die Zahl der Vertriebenen, die nirgendwo hingehen können, und das in einem so kleinen geografischen Gebiet“, unterstreicht Karmi und fügt hinzu:

„Die zusätzliche Tragödie besteht darin, dass 70 Prozent der Bewohner des Gazastreifens aufgrund der Nakba von 1948 bereits zuvor aus einem anderen Teil des historischen Palästinas vertrieben wurden und nun erneut mit dieser Situation konfrontiert sind.“

Palästinenser errichten Zelte in der Nähe der ägyptischen Grenze (DPA)

Warum sind die Palästinenser 1948 in die Nachbarländer geflohen, sagen aber dieses Mal, dass sie nicht gehen werden?

„Als die Palästinenser 1948 das Land verließen, waren sie sich der Konsequenzen dessen, was folgen würde, nicht bewusst“, so Mahjoob Zweiri, Professor für Zeitgeschichte und Direktor des Gulf Studies Center an der Universität Katar. Damals wurden etwa 750.000 Palästinenser, die zur Flucht gezwungen waren, von Jordanien, Libanon, Syrien und Ägypten aufgenommen. Sallam ergänzt: „Es konnte sich niemand aussuchen, wohin er gehen wollte, sie entkamen nur knapp dem Tod.“

Ihre Großeltern und ihr Vater, damals ein sechs Monate altes Baby, strandeten in Jordanien, in der Hoffnung, zurückkehren zu können. „Sie nahmen ihre Schlüssel mit und ließen alles zurück, weil sie glaubten, dass sie in ein paar Wochen zurückkehren würden.“ Doch das Haus der Familie in Ramla wurde vom israelischen Staat beschlagnahmt und an jüdische Siedler übertragen. Wie bei tausenden anderen hängt die Familie noch immer ihre Hausschlüssel an die Wand und wartet auf den Tag, an dem sie zurückkehren kann.

„Damals spielten die arabischen Staaten eine sehr wichtige Rolle bei der Aufnahme von Flüchtlingen, sie waren wirklich großzügig, aber die Palästinenser handeln jetzt im Bewusstsein, dass sie nirgendwo mehr hingehen können, sobald sie ihre Heimat verlassen“, führt Karmi aus. Anfang November hatte Israel die Palästinenser aufgefordert, ihre Häuser im nördlichen Gazastreifen zu verlassen. Mindestens 100.000 taten dies und nahmen mit, was sie tragen konnten. Aber Tausende blieben, weil sie keine andere Wahl hatten. „Angesichts der anhaltenden Bombardierungen und des Hungers fliehen die Menschen, das ist eine natürliche Reaktion, denn die Menschen können nur ein bestimmtes Maß an Leid ertragen“, so Karmi weiter.

Aber sowohl Ägypten als auch Jordanien haben klar erklärt, dass sie keine weiteren palästinensischen Flüchtlinge mehr aufnehmen werden. „Im Jahr 1948 erklärten die arabischen Staaten gerade ihre Unabhängigkeit und waren gerade erst ein paar Jahre alt. Jetzt haben sie ihre eigenen sozioökonomischen Probleme, mit denen sie fertig werden müssen, und dieses Mal sehen sie die Aufnahme von Flüchtlingen nicht als ihre Verantwortung an“, so Zweiri. „Schauen Sie sich nur die Vertreibung innerhalb des Gazastreifens selbst an, es sind 1,9 Millionen Menschen“, fügt er hinzu. Diejenigen, die in ihre Häuser im Norden des Gazastreifens zurückkehren wollten, konnten nicht einmal während des kurzen Waffenstillstands dorthin zurückkehren.

Gaza-Krieg: UN-Vollversammlung fordert Waffenstillstand (AA)

„Es ist nicht wie beim letzten Mal, sie wissen, wenn sie Palästina verlassen, dürfen sie nicht zurückkehren.“ Karmis eigene Familie zog nach London, wo ihr Vater für den arabischen Dienst der BBC arbeitete. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter in den ersten fünf Jahren dort nichts kaufen wollte, was auf Dauer angelegt war, etwa einen Kühlschrank. „Sie war davon überzeugt, dass wir nicht lange bleiben würden.“

Warum hat die Welt zugelassen, dass die Situation so eskaliert ist?

„Das ist eine sehr, sehr zentrale Frage. Ohne die aktive Unterstützung und die Straffreiheit, die von den westlichen Staaten gewährt wird, könnte Israel all das nicht tun“, sagt Karmi. Israel gehört nach wie vor zu den größten Empfängern von US-Militärhilfe – zwischen 1946 und 2023 hat das Land rund 130 Milliarden Dollar erhalten. In einem kürzlich durchgesickerten Dokument werden die Munitionstypen aufgelistet, die zur Unterstützung von Israels unerbittlichem Flächenbombardement geliefert wurden. „Sobald die USA jetzt sagen würden: 'Gut, das reicht, keine Waffen mehr, kein Geld mehr' – sie (Israel) würden sofort aufhören.“ Früher war es Großbritannien, das der zionistischen Bewegung in den 1940er Jahren militärische Unterstützung in Form von Schutz und Waffen gewährte.

Karmi erklärt, was diese Nakba noch schlimmer mache, seien die arabischen Staaten, „die tatenlos zusehen, und Israel freie Hand gewähren.“ Sie sagt, dass selbst Gesten wie der Rückruf von Botschaftern symbolischen Wert hätten und ein gewisses Maß an Unterstützung zeigen würden – „die Botschaft ist klar, die Palästinenser sind auf sich allein gestellt.“