Das Bundesverfassungsgericht stoppt wegen einer Verfassungsbeschwerde vorläufig das deutsche Ratifizierungsgesetz zum Finanzierungssystem der EU bis zum Jahr 2027. Die Karlsruher Richter ordneten am Freitag an, dass der Bundespräsident das in Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz zunächst nicht ausfertigen darf. Dies gilt, bis der Zweite Senat über einen mit der Beschwerde verbundenen Eilantrag entschieden hat. Damit liegt auch der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufbaufonds vorerst auf Eis. (Az. 2 BvR 547/21) Das Geld soll dem wirtschaftlichen Aufbau in der EU nach der Pandemie dienen. Einen Teil gibt es als Zuschüsse, einen Teil als Darlehen. Dafür wollen die EU-Staaten gemeinsam Schulden aufnehmen. Vor allem dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde, die eine Professorengruppe um den früheren AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke unmittelbar nach dem Beschluss des Gesetzes im Bundesrat am Vormittag eingereicht hatte. Die Klage wird von mehr als 2200 Bürgern unterstützt, wie das „Bündnis Bürgerwille“ mitteilte.
Schuldenfinanzierung in dieser Höhe „ein krasser Vertragsbruch“
Die Kläger sind der Ansicht, dass eine gemeinschaftliche Verschuldung nicht zulässig ist. „Die EU ist vertraglich verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen“, erklärte der Vorsitzende des Bündnisses, Ravel Meeth. Eine Schuldenfinanzierung in dieser Höhe sei „ein krasser Vertragsbruch“. Meeth betonte, die Klage richte sich nicht gegen die Ausgaben an sich. Aber jeder Mitgliedstaat müsse die benötigten Mittel auf eigene Rechnung zur Verfügung stellen. Dass der Bundespräsident mit der Ausfertigung eines Gesetzes wartet, bis Karlsruhe entschieden hat, ist kein ungewöhnlicher Vorgang. Bei Vorhaben auf EU-Ebene würden sonst Fakten geschaffen, hinter die Deutschland kaum noch zurück kann. Üblicherweise läuft das aber einvernehmlich ab: Der Bundespräsident verzichtet auf Bitten des Gerichts auf die Unterzeichnung. Diesmal stoppten die Richter Frank-Walter Steinmeier mit einem sogenannten Hängebeschluss.
Alle 27 Staaten müssen Beschluss ratifizieren
Zu den Hintergründen äußerte sich ein Gerichtssprecher nicht. Er ließ auch offen, wann über den Eilantrag entschieden wird. Damit wollen die Kläger erreichen, dass das deutsche Ja noch länger gestoppt wird, nämlich bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde.
Die EU-Kommission kann mit der Aufnahme der Kredite und der Auszahlung erst beginnen, wenn alle 27 Staaten den Beschluss ratifiziert haben. Das Paket mit den Wiederaufbauhilfen war bereits im Sommer 2020 verabredet worden, ist aber noch nicht startklar. Derzeit arbeiten Deutschland und die übrigen EU-Staaten an Plänen, wohin das Geld fließen soll. Sie sollen bis Ende April vorliegen.
Insgesamt sollen der EU bis Ende 2027 rund 1,8 Billionen Euro zur Verfügung stehen. Der Bundestag hatte dem Ratifizierungsgesetz am Donnerstag zugestimmt.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte am Vormittag, er sei zuversichtlich, dass die Ratifizierung trotz angekündigter Verfassungsklagen zeitnah abgeschlossen werden könne. „Klar ist, die im Eigenmittelbeschluss geregelte Finanzierung steht auf einem stabilen verfassungs- und europarechtlichen Fundament.“
Der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Christian Petry, forderte eine schnelle Entscheidung der Verfassungsrichter. „Je länger diese Hängepartie besteht, desto schlechter für die Chancen auf eine wirtschaftliche Erholung der durch die Corona-Krise gebeutelten europäischen Volkswirtschaften.“
Auch die AfD-Fraktion hatte am Donnerstag angekündigt, wegen des Wiederaufbaufonds in Karlsruhe zu klagen, und zwar per Organklage gegen Bundesregierung und Bundestag. Sie teilte mit, dass sie trotz des Gerichtsbeschlusses noch einen eigenen Eilantrag einreichen will.