Die russische Ankündigung, die Kampfhandlungen bei Kiew zu drosseln, ist in der Ukraine und im Westen mit Skepsis aufgenommen worden. „Diese Signale übertönen nicht die Explosionen russischer Geschosse“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Nacht zum Mittwoch. Das US-Verteidigungsministerium sieht die russische Ankündigung als taktisches Manöver und warnt vor einer neuen Militäroffensive in anderen Landesteilen.
Pentagon-Sprecher John Kirby sagte, es sei bislang nur zu beobachten, dass sich „eine sehr kleine Zahl“ russischer Truppen nördlich von Kiew von der ukrainischen Hauptstadt wegbewege. „Wir sind nicht bereit, die russische Begründung zu glauben, dass es ein Abzug ist.“ Es sei möglich, dass die Soldaten dort nur abgezogen würden, um in einem anderen Teil der Ukraine, etwa der umkämpften östlichen Donbass-Region, eingesetzt zu werden. „Wir glauben, dass es sich um eine Repositionierung handelt, nicht um einen Abzug, und dass wir alle vorbereitet sein sollten, eine größere Offensive gegen andere Teile der Ukraine zu erwarten.“
Auch Kiew sieht russischen Truppenabzug nur als Umgruppierung
Die ukrainische Militärführung betrachtet den Abzug russischer Truppen aus den Fronten nördlich von Kiew ebenfalls nur als Umgruppierung. Der „sogenannte Truppenabzug“ sei eher eine Rotation von Einheiten, mit der die ukrainische Militärführung getäuscht werden solle, erklärte der ukrainische Generalstab in der Nacht zum Mittwoch. Das russische Militär habe einige Einheiten aus der Umgebung von Kiew und Tschernihiw abgezogen, hieß es in dem Lagebericht weiter.
US-Ministerium: „Bedrohung für Kiew ist nicht vorbei“
Russland könne Kiew weiter aus der Ferne mit Raketen beschießen, warnte Kirby. „Die Bedrohung für Kiew ist nicht vorbei.“ Nach neuen Friedensgesprächen mit der Ukraine hatte Russland am Dienstag zugesagt, seine Kampfhandlungen bei Kiew und Tschernihiw deutlich zurückzufahren. Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin sagte nach einem Treffen in Istanbul, seine Regierung wolle so Vertrauen aufbauen und weitere Verhandlungen ermöglichen.
London sieht russische Offensive bei Kiew als gescheitert an
Die britische Militäraufklärung betrachtet die russische Offensive zur Einkesselung der ukrainischen Hauptstadt Kiew als gescheitert, wie aus einem Update des Verteidigungsministeriums hervorgeht. Zudem lasse die russische Ankündigung, den militärischen Druck auf Kiew zu senken, darauf schließen, dass Russland seine Initiative in der Region verloren habe. Britische Militärexperten hielten es nun für „höchst wahrscheinlich“, dass Russland seine Kampfkraft aus dem Norden der Ukraine in den Südosten verlege. Dort solle jetzt die Offensive in der Region Luhansk und Donezk verstärkt werden.
Selenskyj: Streitkräfte einzige Garantie für Überleben
„Die Verteidigung der Ukraine ist unsere Aufgabe Nummer eins, alles andere wird davon abgeleitet“, betonte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Nur auf dieser Grundlage könne mit Russland weiter verhandelt werden. „Der Feind befindet sich weiterhin auf unserem Gebiet.“ Realität sei, dass die ukrainischen Städte weiter belagert und beschossen würden. Daher seien die ukrainischen Streitkräfte „die einzige Garantie für unser Überleben“, sagte Selenskyj. „Ukrainer sind nicht naiv.“
USA verlegen weitere Kampfflugzeuge und Soldaten nach Osteuropa
Die US-Streitkräfte verlegen angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine weitere Kampfflugzeuge, Transportmaschinen und Soldaten nach Osteuropa. Eine Einheit von rund 200 Marineinfanteristen aus den USA sei nach einem Manöver in Norwegen nach Litauen verlegt worden, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby. Zudem würden aus den USA zehn Kampfflugzeuge vom Typ „F/A-18 Hornet“ und „ein paar“ Transportmaschinen vom Typ „C-130 Hercules“ mit rund 200 dazugehörigen Soldaten nach Osteuropa gebracht.
UN: Humanitäre Krise in Ukraine „Katastrophe auf Katastrophe“
Die humanitäre Krise in der Ukraine als Folge des russischen Angriffskriegs ist nach Ansicht des Chefs des UN-Welternährungsprogramms, David Beasley, „eine Katastrophe auf einer Katastrophe“. Bereits vor dem Krieg habe es beispielsweise im Jemen oder an einigen Orten Afrikas schlimme Hunger-Krisen gegeben, wo man nur mit großen Mühen ausreichend helfen habe können, sagte Beasley am Dienstag dem UN-Sicherheitsrat in New York. Nun sei die Krise in der Ukraine noch dazugekommen. Das Land sei innerhalb weniger Wochen „vom Brotkorb zu Brot-Schlangen“ verändert worden.
US-Ministerium: Amerikaner könnten in Russland festgehalten werden
In einer ungewöhnlich harten Reisewarnung hat das US-Außenministerium alle Amerikaner darauf hingewiesen, dass sie bei Reisen in Russland von den dortigen Sicherheitsbehörden festgesetzt werden könnten. Angesichts der russischen Invasion in die Ukraine sei „das Potenzial für Belästigung von US-Bürgern“ durch russische Sicherheitsdienste gestiegen, ebenso wie das gezielte Heraussondern und Festsetzen von US-Bürgern, teilte das Ministerium in der Reisewarnung mit. „Alle US-Bürger, die in Russland wohnen oder reisen, sollten das Land umgehend verlassen“, hieß es.
Das wird am Mittwoch wichtig
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will bei einem Spitzentreffen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften an diesem Mittwoch vor allem praktische Fragen der Arbeitsmarktintegration ukrainischer Flüchtlinge lösen. Die „Wirtschaftsweisen“ dürften ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr angesichts der Folgen des Ukraine-Kriegs deutlich senken. Der russische Außenminister Sergej Lawrow traf in China zu Gesprächen unter anderem über den Krieg in der Ukraine ein.
30 März 2022
dpa
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