von Till C. Waldauer
Ins Visier von Antisemitismus-Vorwürfen ist Österreichs in der Vorwoche vereidigter neuer Innenminister Gerhard Karner geraten. In einem Offenen Brief fordern Vertreter einer jüdischen Hochschulorganisation und einige Prominente aus Politik und Kultur den Rücktritt des Ministers, nachdem „Der Spiegel“ Aussagen Karners ausgegraben hatte, die dieser im Vorfeld der Landtagswahl 2008 in Niederösterreich getätigt hatte.
Mit klassischen antisemitischen Assoziationen gespielt?
Karner hatte der SPÖ damals vorgeworfen, „mit Herren aus Amerika und Israel gegen das Land“ zu arbeiten und als „Klimavergifter“ zu agieren. Gemünzt waren diese offenbar auf die Rolle des später in Israel selbst wegen des Verdachts von Wirtschaftsdelikten unter Hausarrest gestellten Politikberaters Tal Silberstein.
Dieser war seit 2001 für die SPÖ-Politiker Michael Häupl, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern in beratender Funktion tätig. Im Jahr 2017 hatte Silberstein gegen Honorarzahlungen aus der SPÖ „Dirty Campaigning“ gegen den später siegreichen ÖVP-Kandidaten Sebastian Kurz betrieben, ehe die Zusammenarbeit infolge der Festnahme in Israel beendet wurde.
Die Verfasser des Offenen Briefes fühlten sich jedoch durch die Aussage an Vorstellungen einer „jüdischen Weltverschwörung“ inklusive des bereits im Mittelalter verbreiteten antisemitischen Topos vom „jüdischen Brunnenvergifter“ erinnert.
In Österreich gab es auch nach der Befreiung vom Nationalsozialismus über Jahrzehnte hinweg ein erhebliches Antisemitismusproblem in sämtlichen politischen Lagern. Der ÖVP wurde dabei unter anderem 1986 vorgeworfen, bewusst mit Ressentiments dieser Art gespielt zu haben, als ihr Bundespräsidentschaftskandidat Dr. Kurt Waldheim von jüdischen Organisationen wegen unvollständiger Angaben über seine Mitwirkung in nationalsozialistischen Verbänden kritisiert wurde.
Minister würde damalige Aussagen „heute nicht mehr tätigen“
Karner selbst betont, dass seine Aussagen „niemals in diese Richtung intendiert“ gewesen seien. Gegenüber der APA wies er jedwedes antisemitische Gedankengut „aufs Schärfste und sehr entschieden“ zurück. Der Kampf gegen Antisemitismus und jede Form des Extremismus sei ihm „seit Jahrzehnten ein zutiefst persönliches Anliegen und wird sich auch in meiner Arbeit als Innenminister fortsetzen“, so Karner weiter.
Bereits an seinem erstem Tag im Amt habe Karner ein Telefongespräch mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, geführt und ein Treffen vereinbart, dass noch in dieser Woche stattfinden soll.
Deutsch habe die Aussagen Karners von 2008 ebenfalls zur Sprache gebracht, woraufhin Karner dargelegt habe, dass er diese, zudem sie „offenbar missverständlich aufgefasst werden können“, nicht mehr tätigen würde. Hauptsächlich werde es im Kennenlerngespräch jedoch um Herausforderung im Zusammenhang mit dem Schutz jüdischer Infrastruktur gehen.
Dollfuß-Museum soll „inhaltlich überarbeitet“ werden
Der neue österreichische Innenminister, der dem ins Kanzleramt gewechselten Karl Nehammer folgen wird, wurde bereits kurz nach seinem Amtsantritt vor allem aus der politischen Linken wegen des Dollfuß-Museums in Texingtal kritisiert, wo Karner Bürgermeister ist. Das Museum, das im Geburtshaus des 1934 bei einem Putschversuch von Nationalsozialisten ermordeten Kanzlers angesiedelt ist, lasse eine „ordentliche Auseinandersetzung“ mit diesem vermissen.
Dollfuß hatte 1933 eine Situation der Selbstausschaltung des Parlaments infolge des Rücktritts aller Nationalratspräsidenten genutzt, um fortan autoritär zu regieren und den austrofaschistischen sogenannten Ständestaat aufzubauen. Auf diese Weise wollte Dollfuß einerseits marxistische Bestrebungen ausschalten und andererseits die österreichische Eigenständigkeit gegenüber den Annexionsgelüsten des Hitler-Regimes in Deutschland sichern. Außenpolitisch erhielt er dabei nur von Mussolinis Italien nennenswerte Unterstützung.
Viele Konservative sehen in Dollfuß immer noch einen „Heldenkanzler“, der seinen Kampf gegen totalitäre Bestrebungen von links und rechts mit dem eigenen Leben bezahlte. Zudem war Österreich auch für viele in Deutschland verfolgte Juden bis zum „Anschluss“ 1938 Zufluchtsort. Einige österreichische Juden übten im Ständestaat sogar wichtige politische Funktionen aus. Gegner werfen Dollfuß hingegen vor, eine Diktatur errichtet und Arbeiterproteste gewaltsam niedergeschlagen zu haben. Karner kündigte an, dass das Museum 2022 „inhaltlich überarbeitet“ werden soll.