Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat alle Mitgliedsländer aufgerufen, den internationalen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und andere Verantwortliche wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg zu achten. Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag sei rechtsverbindlich, sagte Borrell am Donnerstag in der jordanischen Hauptstadt Amman. Alle EU-Staaten seien als Vertragsparteien „verpflichtet, die Gerichtsentscheidung umzusetzen“.
Der IStGH hatte zuvor Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen sowie gegen den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant und den Militärchef der palästinensischen Widerstandsorganisation Hamas, Mohammed Deif. Der Strafgerichtshof wirft ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg vor.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat den zugrunde liegenden Haftantrag des Chefanklägers Karim Khan vom Mai als „absurd und schändlich“ verurteilt. Er machte damit deutlich, ihn nicht vollstrecken zu wollen, sollte Netanjahu nach Ungarn reisen. Orban pflegt enge Beziehungen zum israelischen Regierungschef. Neben Ungarn gelten Tschechien und Österreich in der EU als stärkste Unterstützer Israels, noch vor Deutschland.
Die Regierung der Niederlande teilte hingegen mit, dass die Haftbefehle in ihrem Land vollstreckt würden. Die Bundesregierung äußerte sich zunächst nicht, sie befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits unterstützt sie Israel in seinem Krieg gegen Gaza unter dem Vorwand des „Rechts auf Selbstverteidigung“ nach dem Vergeltungsanschlag der Hamas vor gut einem Jahr, andererseits plädiert sie stets für ein robustes internationales Rechtssystem mit verbindlichen Regeln.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, hatte am 20. Mai wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mutmaßlicher Kriegsverbrechen Haftbefehle gegen Netanjahu, seinen damaligen Verteidigungsminister Gallant sowie gegen drei Anführer der Hamas beantragt. Deif ist der letzte noch lebende Hamas-Vertreter, für den Khan einen Haftbefehl beantragte. Yahya Sinwar, Hamas-Führer im Gazastreifen, und der politische Chef der Hamas, Ismail Hanija, wurden in den vergangenen Monaten von Israel getötet.
Der IStGH hat keine eigene Polizei, um seine Haftbefehle durchzusetzen, und ist deshalb auf die Kooperation der 124 Mitgliedstaaten angewiesen. Sie sind theoretisch verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sobald sie sich in ihrem Staatsgebiet aufhalten.