Die russische Polizei ist hart gegen eine Konferenz von Oppositionellen in der Hauptstadt Moskau vorgegangen und hat rund 200 Teilnehmer festgenommen. Das berichteten am Wochenende übereinstimmend Moskaus Innenministerium und Bürgerrechtler. Abgeführt und in Gefangenentransporter gesteckt wurden bei der Razzia am Samstagvormittag unter anderen die prominenten Politiker Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin, Andrej Piwowarow und Jewgeni Roisman. Erst nach Stunden kamen sie wieder frei. Ihnen drohen nun Geldstrafen. Es hatte eigentlich die erste größere regierungskritische Veranstaltung seit den Massenprotesten für die Freilassung des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny zu Jahresbeginn werden sollen. Zwei Tage lang wollten aus ganz Russland angereiste Politiker in einem Hotel im Nordosten Moskaus - nicht nur, aber auch mit Blick auf die Dumawahl im September - Wahlkampfstrategien erarbeiten. Nach nicht einmal 30 Minuten wurden sie gestoppt. Die ersten Redner hatten auf dem Podium gerade erklärt, dass man als Oppositioneller in Russland keine Angst haben dürfe, wenn man politischen Wandel wünsche, da betraten zahlreiche Polizisten den Saal und führten die Menschen nach und nach ab. „Schande, Schande“, riefen Umstehende. Den Moskauer Kommunalpolitiker Jaschin rissen Sicherheitskräfte mitten in einem Interview vor laufender Kamera grob von hinten weg. Auch mehrere Journalisten wurden in dem Veranstaltungsraum zeitweise festgehalten.
Kritik kam auch aus dem Ausland am Vorgehen der russischen Polizei
Die Polizisten begründeten ihr Vorgehen mit der Tätigkeit einer „in Russland unerwünschten Organisation“. Gemeint war offenbar die Organisation „Offenes Russland“ des im Westen lebenden früheren russischen Ölmanagers Michail Chodorkowski, für die sich sowohl Kara-Mursa als auch Piwowarow engagieren und die in Russland vor einigen Jahren als „unerwünscht“ erklärt wurde. Unabhängige russische Medien wiesen allerdings darauf hin, dass hinter dem Treffen das nicht verbotene Projekt „Vereinigte Demokraten“ stehe. Später hieß es dann von der Polizei, die Veranstaltungsteilnehmer hätten gegen Corona-Schutzauflagen verstoßen. Die Organisatoren werteten die Festnahmen als Einschüchterungsversuch der Behörden. Kara-Mursa sprach nach seiner Freilassung von einer „Repressionsmaschine“, die in Russland wirke und die mittlerweile ein Eigenleben entwickelt habe. Auch aus dem Ausland kam Kritik am Vorgehen der russischen Polizei: Kara-Mursa und die anderen seien aus „zweifelhaften Gründen“ festgenommen worden, schrieb US-Außenminister Antony Blinken auf Twitter. „Wir fordern das Ende der Verfolgung unabhängiger Stimmen.“ Die russische Opposition beklagt schwere Verstöße der Sicherheitsbehörden gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit. In der Vergangenheit scheiterten immer wieder Versuche Andersdenkender, sich zu versammeln und zu organisieren. In diesem Fall kritisierten unabhängige Medien und Aktivisten vor allem, dass es sich bei vielen der Festgenommenen um Abgeordnete kommunaler Parlamente - also um gewählte Volksvertreter - handelte.
Angst „vor unabhängiger Politik und vor kluger Abstimmung“
Unter dem Motto „Kommunales Russland“ hatten die verschiedenen Parteien angehörenden Politiker sich in Moskau vernetzen wollen, um so langfristig das Machtmonopol der Kremlpartei „Geeintes Russland“ zu brechen. Einige Medien interpretierten das als Schulterschluss der Bewegung Chodorkowskis mit Unterstützern des Kremlgegners Nawalny. Letztere werben immer wieder für das Prinzip der „klugen Abstimmung“ bei Wahlen: Wähler sollen demnach für beliebige Kandidaten stimmen - nur nicht für die der Kremlpartei.
Nawalnys Team äußerte sich dann auch umgehend zu den Festnahmen in Moskau: Das harte Vorgehen der Polizei zeige die Angst des russischen Präsidenten Wladimir Putin „vor unabhängiger Politik und vor kluger Abstimmung“, hieß es. Nawalnys Mitarbeiterin Ljubow Sobol sprach von „faschistischen“ Methoden. Die Unterstützer des 44 Jahre alten inhaftierten Oppositionsführers beklagten außerdem, dass sie weiterhin nicht wüssten, wo er derzeit festgehalten werde.
Am Freitag hatten Nawalnys Anwälte erklärt, dass ihr Mandant aus einem Untersuchungsgefängnis im Gebiet Wladimir rund 100 Kilometer östlich von Moskau fortgebracht worden sei. Seitdem fehle jedes Lebenszeichen von ihm. Die Anhänger des Oppositionellen vermuteten, dass er nun in eines der gefürchteten Straflager gebracht worden sein könnte.
Anfang Februar hatte ihn ein Moskauer Gericht in einem im Westen heftig kritisierten Urteil zur Verbüßung einer früher verhängten mehrjährigen Haftstrafe im Lager verurteilt, bislang wurde er aber weiter in Untersuchungsgefängnissen festgehalten. Die russische Justiz wirft Nawalny vor, gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen zu haben, während er sich in Deutschland von einem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte. Die EU verhängte wegen der Vergiftung und wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Sanktionen gegen ranghohe russische Staatsfunktionäre.