Angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine hat die Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz, Inge Paulini, an das weiterhin bestehende Risiko für die dort angesiedelten Atomkraftwerke erinnert. Insbesondere die Situation am größten ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja gebe „immer wieder Anlass zur Besorgnis“, sagte Paulini am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Ein besonderes Risiko stellten dabei die Kampfhandlungen, die Stromversorgung sowie die Arbeitsbedingungen der Angestellten dar. Es müsse alles dafür getan werden, die Kühlung aller sicherheitsrelevanten Systeme sicherzustellen, appellierte Paulini. „Kerntechnische Einrichtungen sollten keinesfalls in kriegerische Auseinandersetzungen hineingezogen werden.“
Russische Truppen hatten das Atomkraftwerk Saporischschja Anfang März 2022 besetzt. Seitdem sind kriegsbedingt die meisten Leitungen ausgefallen, die die frontnahe Anlage mit Strom versorgen. Ein Team der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA ist ständig vor Ort, um die Lage in dem weitgehend stillgelegten Kraftwerk zu beobachten. Die Fachleute berichten immer wieder über militärische Aktivitäten in der Nähe.
Das Bundesamt für Strahlenschutz beobachtet die Lage seit Ausbruch des Krieges im Frühjahr 2022 sehr genau - und informiert auch über mögliche Auswirkungen eines nuklearen Zwischenfalls für Deutschland. Die Behörde schätzt diese nach wie vor als begrenzt ein. Die Notfallmaßnahmen würden sich voraussichtlich auf die Landwirtschaft und die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte beschränken, erklärte das Amt dazu auf dpa-Anfrage. Sollte es in Saporischschja etwa zu einem Zwischenfall mit Kernschmelze kommen, sei nicht zu erwarten, dass weitergehende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland - wie beispielsweise die Ausgabe von Jodtabletten - notwendig wären.
Forderung nach stärkerem Bewusstsein für Zivil- und Katastrophenschutz
Bundesamt-Präsidentin Paulini hält ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung des Zivil- und Katastrophenschutzes hierzulande dennoch für unabdingbar. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sei „das Risiko einer Straftat im Umgang mit radioaktiven Stoffen oder gar eines Nuklearwaffenangriffs“ wahrscheinlicher geworden, sagte Paulini.
Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf das bundesweite Messnetz für Radioaktivität, das an diesem Dienstag 50 Jahre alt wird. Die rund 1700 Sonden, die sich über das gesamte Bundesgebiet verteilen, überwachten die radioaktive Strahlung in der Umwelt „rund um die Uhr“, erklärte Paulini. Überschreitet der gemessene Pegel an einer Messstelle einen bestimmten Schwellenwert, gehe automatisch eine Meldung an die Rufbereitschaft des Bundesamts, das die Werte dann genauer prüfe. Paulini würdigte dieses System als „Zugewinn an Sicherheit für alle“.
Die erste Sonde ging 1974 im oberbayerischen Holzkirchen in Betrieb. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der schwelenden Gefahr eines Atomkriegs sollte ein System zur automatisierten Erfassung radioaktiver Strahlung entstehen. Das Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986 sorgte für die bislang relevantesten Ausschläge im Messsystem.
In den kommenden Jahren werde das Messnetz technisch so weiterentwickelt, dass es auch gegen Einflüsse von außen, wie etwa Cyber-Attacken, widerstandsfähiger werde, erklärte Paulini. Außerdem solle es künftig in den Ballungsräumen mehr Sonden geben.
Über die Weiterentwicklung des Messnetzes und dessen Bedeutung werden an diesem Dienstag und Mittwoch Fachleute und Vertreter der staatlichen Behörden bei einem Festakt in Berlin diskutieren.