Heute, am 29. März, startet in Istanbul eine neue Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland, deren Delegationen einander zuletzt in Belarus trafen oder digital konferierten. Die türkischen Gastgeber sollen sich vor Beginn der Verhandlungen jeweils mit den Delegationen beraten, sagte Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Zuletzt hatten die beiden Außenminister Sergey Lawrow und Dimitry Kuleba am 10. März in Antalya miteinander gesprochen. Das Treffen ging ohne greifbare Ergebnisse, etwa der Schaffung humanitärer Korridore, zu Ende. Aber zumindest hatten Russen und Ukrainer auf Ministerebene endlich wieder direkte Gespräche geführt.
Antalya im Spiegel der Weltpolitik
Am Rande des Antalya Diplomatie Forums ADF vor zwei Wochen wurde eines klar: Echte Diplomatie geht über Besuchsrituale hinaus, bei denen wohlbekannte Positionen medial referiert werden. Es geht um Vertrauen und Zeit. Als das ADF Mitte Juni des Vorjahrs auf Initiative des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu erstmals stattfand, hatte in Genf eben erst der Gipfel der Präsidenten Joe Biden und Vladimir Putin stattgefunden. Es herrschte eine leise Aufbruchsstimmung, denn offenbar war diese erste Begegnung der beiden Staatschefs von guter Arbeitsatmosphäre geprägt.
Nur neun Monate später ist die Weltlage eine andere. Seit 24. Februar tobt in der Ukraine ein offener Krieg. Zuvor hatte die NATO in Afghanistan ihr Debakel erlebt, denn am 15. August hatten Talibanmilizen binnen weniger Stunden Kabul übernommen. Nach Monaten der Eskalation, wechselseitigen Provokationen und viel Sprachlosigkeit waren russische Truppen in die Ukraine einmarschiert. Wie ein beklemmender Schatten lag dieser Krieg über dem zweiten ADF, welches die Mitarbeiter des türkischen Außenministeriums wieder mit viel Professionalität, Engagement und Gespür für die großen Anliegen unserer Zeit ausrichteten. Zwischen dem 11. und 13. März war Antalya neuerlich Treffpunkt einer verkleinerten Ausgabe der Vereinten Nationen, die sich nicht in langen Monologen verloren, sondern miteinander in Austausch traten und neue Ideen zuließen.
Antalya ist indes auch der Arbeitsplatz oder Nebenwohnsitz von Zehntausenden russischen und ukrainischen Bürgern, welche die Türkei oft als Sommertouristen entdeckt hatten. Das Ausbleiben der Gäste nach den mageren Jahren der Pandemie wirft die Gewerbetreibenden der Region in neue Unsicherheiten. Kaum sonst wo spürte ich zuletzt eine derart ehrliche und überall präsente Sehnsucht nach dem Ende des Krieges wie hier. Niemand wird dämonisiert, das Blutvergießen möge nur ein Ende finden, so der allgemeine Wunsch, der alle in Antalya bewegt, egal, ob im Konferenzzentrum oder in den kleinen Geschäften.
Global diplomatisch
Der Radius der türkischen Diplomatie wurde am ADF neuerlich spürbar, denn der afrikanische Kontinent war mit beeindruckenden Persönlichkeiten ebenso präsent wie auch die NATO-Frage, nicht nur rund um den Ukraine Konflikt, detailliert von Spitzenvertretern diskutiert wurde. Die Teilnehmerliste, die Regierungsdelegationen von Afghanistan über den arabischen Nahen Osten bis nach Südosteuropa hinein umfasste, spiegelte wider, wie es dem türkischen Außenminister und seinem Stab gelungen ist, der Türkei einen festen Platz auf der diplomatischen Bühne zu sichern. Dies gilt regional wie eben auch global. Denn mit ihrem dichten Netz an Botschaften und Konsulaten rangiert die Türkei unter den führenden diplomatischen Mächten wie USA, China und Frankreich und Russland.
Ein derart dichtes Netz an Vertretungsbehörden mit Substanz und gelebter Diplomatie zu erfüllen, ist als Erfolg zu verbuchen. In diesem Sinne versteht sich die Türkei nicht nur als Investor, Kultur oder politischer Akteur, sondern gerade mit Blick auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine als Vermittler. Denn Geografie und Geschichte verbinden diese drei Staaten über das Schwarze Meer. Konfrontation, aber auch Kooperation haben diese Nachbarschaft über Jahrhunderte bestimmt.
Ehrenhafter Ausweg für alle
Von Aufrufen zu einer Feuerpause ist seit Kriegsbeginn zu hören, doch Erdoğan formuliert es viel klarer, wenn er immer wieder von einem „ehrenhaften Ausweg“ spricht. Genau darum geht es: Ideen und Wege zu finden, allen Beteiligten einen Ausweg anzubieten, von Maximalforderungen abzurücken, die Verletzungen auszublenden, die Interessen ihrer Staaten zur Konvergenz zu bringen. Darin besteht das diplomatische Handwerk, das im Lauf des 20. Jahrhunderts verloren gegangen ist. Denn um selbiges zu erlernen und zu meistern, bedarf es vor allem der Diskretion und der Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen. Hierfür ist wiederum Zeit erforderlich, aber auch Talent.
Einander Zeit zu widmen, ist nicht nur in der Diplomatie eine wesentliche Gunst, die Menschen einander erweisen können. Und das Gesicht zu wahren, ist ein wesentliches Momentum in allen Lebenslagen, um aus einem Dilemma wieder herauszukommen. Diplomatie hat viel mit Menschenkenntnis und daher auch mit Interesse am Menschen zu tun. Meinen ehemaligen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu achte und schätze ich unter anderem genau aus diesem Grund.