Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Zahlreiche Blumen und Kerzen liegen nahe dem Weihnachtsmarkt vor der Johanniskirche in Gedenken an die Opfer. Auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist ein Autofahrer in eine Menschengruppe gefahren. / Photo: DPA (dpa)
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Am Freitagabend hat sich in der ostdeutschen Stadt Magdeburg ein schwerer Anschlag ereignet, bei dem ein Mann mit einem Fahrzeug in eine Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt raste. Mindestens fünf Menschen, darunter ein Kind, verloren bei der Tat ihr Leben. Über 200 weitere Personen wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Der mutmaßliche Täter war offenbar ein Islam-Gegner.

Die Polizei nahm den Verdächtigen, einen 50-jährigen Mann aus Saudi-Arabien, noch am Tatort fest. Laut Behörden gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass der Verdächtige Taleb A. in der Vergangenheit als religiöser Fanatiker in Erscheinung getreten ist. Ganz im Gegenteil: Bei dem noch am Abend festgenommenen Tatverdächtigen handelt es sich um einen als „Islam-Kritiker“ und „Islam-Gegner“ bekannten Mann.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bezeichnet sich der mutmaßliche Täter, der seit 2006 in Deutschland lebt, selbst als „Ex-Muslim“. Medienberichten zufolge hatte er eine gewisse Bekanntheit innerhalb der saudischen Exilgemeinschaft und wurde häufig als Kontaktperson für Asylsuchende wahrgenommen. Seit 2016 verfügte er über den Status eines politischen Flüchtlings. Beiträge, die er jüngst in sozialen Netzwerken geteilt haben soll, lassen laut Recherchen von WDR und NDR allerdings darauf schließen, dass er sich bedroht fühlte und eine angeblich wachsende Einflussnahme des Islam auf Deutschland befürchtete.

Tatverdächtiger war AfD-Anhänger

Weitere Recherchen zeigen, dass der Verdächtige im Internet mehrfach islamkritische und islamfeindliche Aussagen veröffentlicht hat. Auch zeigte er Sympathien für die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD), indem er deren Beiträge teilte und positiv kommentierte. Zudem verbreitete der mutmaßliche Attentäter zuletzt Inhalte von Rechten und Verschwörungsideologen – und bekundete seine Unterstützung für die AfD. Laut Recherchen des Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gab er im Jahr 2019 der „Frankfurter Allgemeine“ ein Interview. Dort soll er unter anderem den Grund seines Asylantrags in Deutschland erörtert haben.

Es folgen aber weitere Informationen. Bereits im Juni 2016 soll A. auf der Plattform X erklärt haben: „Ich und AfD bekämpfen den gleichen Feind, um Deutschland zu schützen.“ Dieser Feind sei der Islam. Er habe Pläne angekündigt, Kontakt mit der AfD zur Gründung einer „Ex-Muslim Academy“ aufzunehmen. Im Juni 2024 verbreitete A. einen Beitrag der AfD-Parteichefin Alice Weidel über den Messeranschlag von Mannheim, bei der ein Polizeibeamter getötet worden war. A. kommentierte dies mit den hasserfüllten Worten: „Meiner Meinung nach ist die Polizei der echte Treiber des Islamismus in Deutschland.“ Des Weiteren behauptete er, die Polizei habe schmutzige Taktiken gegen ihn und andere Islamkritiker „angewendet“. Zudem schrieb er: „Die Linken sind verrückt. Wir brauchen AfD, um die Polizei vor sich zu schützen.“ A. teilte auch Inhalte von Querdenkern, Verschwörungsideologen, Führungskader der rechtsradikalen „Identitären Bewegung“ und weiterer Rechtsextremisten.

Rechtsextreme instrumentalisieren Tat für Hetze gegen Muslime

In den ersten Stunden nach dem schrecklichen Anschlag – als noch keine Informationen zum Täter vorlagen – instrumentalisierten islamfeindliche Kreise, Social-Media-Aktivisten, rechtspopulistische Parteimitglieder und Medien die Tat für ihre Fremdenfeindlichkeit. Viele Kommentare in den sozialen Netzwerken richteten sich gegen die Flüchtlingspolitik der Ampel-Regierung und der Vorgängerregierung unter Angela Merkel. Hasskommentare gegenüber Muslimen verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. In den Kommentarzeilen der Kondolenz- und Beileidmitteilungen einiger türkischer und islamischer Organisationen wurden rechtsextreme Hasskommentare hinterlassen. Der Islam und die Muslime in Deutschland wurden für die abscheuliche Tat verantwortlich gemacht. Eine rechtspopulistische Zeitung, die einen prominenten Chefredakteur hat und in letzter Zeit gerade unter Rechtsextremen und Neo-Nazis große Reichweite erlangt, titelte: „Arabischer Terrorist rast in Magdeburg in Weihnachtsmarkt“. Der Post verschwand nach einigen Stunden von der Seite, nachdem bekannt wurde, dass der Todesfahrer selbst eine islamfeindliche Gesinnung hat.

Gefahr von Muslimfeindlichkeit nicht unterschätzen

Besonders alarmierend ist die offensichtliche Motivation des Täters: Recherchen deuten darauf hin, dass hier ein islamfeindliches Motiv vorliegt. Der Magdeburg-Anschlag verdeutlicht, wie gefährlich Muslimfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft geworden sind.

Seit dem rassistischen Mord an Marwa El-Sherbini 2009 in Dresden, den darauf folgenden Anschlägen des Terroristen Anders Behring Breivik 2011 in Norwegen, den Moschee-Anschlägen im neuseeländischen Christchurch 2019 oder dem Hanau-Anschlag 2020 wissen wir, dass diese Form des Terrors jeden treffen kann. Deshalb müssen Islamhass und Muslimfeindlichkeit bereits im Vorfeld, also präventiv, kontrolliert und geahndet werden. Islamfeindliche Ideologien verbreiten nicht nur Vorurteile, sondern können in ihrer extremsten Form zu Gewalt, Tod und Terror führen.

Muslimfeindliche Ansichten sind kein Randphänomen mehr. Sie finden zunehmend Resonanz in politischen und medialen Diskursen, oft subtil getarnt als „Kritik am Islam“. Dabei geht es selten um sachliche Auseinandersetzungen, sondern vielmehr um die gezielte Ausgrenzung und Diffamierung von Muslimen. Solche Narrative entmenschlichen eine gesamte Bevölkerungsgruppe und schaffen einen Nährboden für Hass und Gewalt, sodass sich rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien ausbreiten können.

Als Gesellschaft gegen jede Form von Extremismus

Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft geschlossen gegen jede Form von Extremismus auftreten – sei es religiöser, politischer oder ideologischer Art. Jeder Angriff, ganz gleich aus welchen Motiven auch immer, zielt letztlich auf die Grundpfeiler unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts ab. Terror ist eine Bedrohung für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Glauben oder ihrer Lebensweise.

Gerade jetzt vor Heiligabend und den bevorstehenden Bundestagswahlen müssen wir konstatieren: Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Nur eine klare Haltung gegen Menschenfeindlichkeit, Hass und Diskriminierung jeglicher Art kann in unserem Land Frieden fördern. Und auch Islamfeindlichkeit und Muslimhass, die oft als „Islamkritik“ präsentiert werden, müssen endlich näher in den Fokus rücken. Der Anschlag von Magdeburg sollte uns nicht nur in Trauer vereinen, sondern auch in unserem Willen, für eine friedliche und solidarische Gesellschaft einzutreten, in der Zwietracht und Terror keinen Platz haben.

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