Einleitung
Nach dem Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention rückt das Thema Femizid wieder in den Fokus von Medien und Politik. Obwohl es ein globales und gesamtgesellschaftliches Phänomen ist und selbst in Staaten auftritt, die die Istanbul-Konvention zum Teil ratifiziert haben, wird man das Gefühl nicht los, als kämen Femizide nur in bestimmten Ländern und Kulturen vor. Dabei reicht schon ein kurzer Blick in die Kriminalstatistik der europäischen Länder, um zu erkennen, dass Frauen auch hier Opfer von häuslicher Gewalt, Bedrohungen und Nötigungen durch ihren (Ex-)Partner werden. Auch in Deutschland ist dies ein dringliches, aber unterschätztes Problem. Allein dieses Jahr wurden 45 Frauen von ihren (Ex-)Partnern ermordet.
Sind Femizide ein kulturelles Problem?
Femizide beschreiben tödliche geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen. Von insgesamt 87.000 getöteten Frauen weltweit im Jahr 2017 wurden 60.000 von ihrem Partner, ehemaligem Partner oder einem Familienmitglied getötet.
Entgegen verbreiteten Vorstellungen findet diese Gewalt nicht ausschließlich an weit entfernten Orten oder nur durch fremde Täter statt, sondern regelmäßig auch hier in Deutschland. Die Täter können sehr unterschiedlich sein, sie lassen sich nicht etwa einem bestimmten Milieu oder spezifischen Bevölkerungsgruppen zuordnen. Die Taten verbindet, dass sie patriarchale Normen, insbesondere männliche Besitz- oder Herrschaftsansprüche, aktualisieren. Diese Definition grenzt klar ein, dass man zwischen den Femiziden nicht unterscheiden kann, auch wenn in einigen Medien je nach Täter von „Ehrenmord“ oder „Familiendrama“ die Rede ist. Man schiebt das Problem auf andere Kulturen oder Menschengruppen und ignoriert die Tatsache, dass laut Bundeskriminalamt 2/3 der männlichen Täter deutsche Staatsbürger sind.
Femizide in Deutschland und Europa
Statistisch gesehen versucht täglich ein Mann in Deutschland, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag findet ein solches Verbrechen tatsächlich statt. Angesichts zunehmender Fälle in den vergangenen Jahren werden die milden Strafen für die Täter kritisiert. Das Bundeskriminalamt registrierte 2019 ca. 142.000 Fälle von Partnerschaftsgewalt in Deutschland, mehr als 80 % der Betroffenen waren Frauen. Im gleichen Jahr wurden 301 Frauen meist von ihren (Ex-)Partnern ermordet, weitere 542 überlebten Tötungsversuche. 7300 Frauen wurden Opfer von Vergewaltigungen.
Auch in Europa ist die Zahl der Femizide trotz neuer Strafgesetze nach wie vor besorgniserregend. Laut einer UN-Studie wurden im Jahr 2017 in Europa mindestens 3.000 Frauen von ihren Partnern oder Familienangehörigen getötet. Ein soziales Problem, das wenig Aufmerksamkeit bekommt.
Mediale Sprache verharmlosend
Gab es dazu Sondersendungen im deutschen Fernsehen oder war man doch hauptsächlich mit internationalen Krisenherden beschäftigt, während hierzulande Gewalttaten gegen Frauen ignoriert, ausgeblendet und teilweise kulturalisiert wurden? Die mediale Sprache in der Berichterstattung ist sehr verharmlosend, beklagen Frauenrechtsgruppen zu Recht. Häufig werden die Taten entweder dramatisiert oder romantisiert, indem von "Eifersuchts-" oder "Liebesdramen" und "Familientragödien" geschrieben wird. Die Tat wird damit zu einer Privatsache und eher zu einem singulären Ereignis als zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem gemacht. Nachdem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Rücktritt aus der Istanbul-Konvention angekündigt hat, wurde das Thema Femizid also doch zu einem Problem der Gesamtgesellschaft – nur eben weit weg von uns. Mit dieser selektiven Wahrnehmung und kulturellen Zuschreibung verdrängt man das Problem hierzulande, trägt jedoch nicht konsequent zur Lösung bei. Ein stiller Tod von Frauen in Europa.
Juristische Betrachtung von Femiziden
Welche juristischen Instrumente ermöglichen die Bekämpfung von Femiziden? Die ersten Schritte in diese Richtung wurden 1979 mit Unterzeichnung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) gemacht.
Im Jahr 2011 verabschiedete der Europarat die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Deutschland hat die Konvention erst 2017 ratifiziert. Doch wie werden Femizide von deutschen Gerichten bewertet? Um die Antwort vorwegzunehmen: Selten als Mord, öfter als Totschlag, wobei letzterer eine Strafmilderung zur Folge hat, weil man davon ausgeht, dass der Täter aus Affekt gehandelt habe. Erfahren die Familien der Opfer bei solchen richterlichen Beschlüssen Gerechtigkeit?
Artikel 43 der Istanbul-Konvention fordert die Anwendung des Strafrechts auf von der Konvention erfasste Taten unabhängig von der Täter-Opfer-Beziehung. Artikel 46(a) fordert notwendige Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei der Strafzumessung als erschwerend berücksichtigt werden kann, wenn die Tatbegehung durch den (Ex-)Partner erfolgte. Dass auch Deutschland Nachholbedarf bei der Bestrafung von Tätern hat, zeigt die Forderung des Deutschen Juristinnenbundes von 2019: Tötungsdelikte auf Grund der Trennung oder Trennungsabsicht der Partnerin (Trennungstötungen) sollen effektiv verfolgt und angemessen bestraft werden. Es sollen alle geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, damit die Verharmlosung als „Familiendrama“ und das befremdliche Verständnis für die Täter sich nicht weiter auf die zutreffende Einordnung als manifeste geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Effektivität der Strafverfolgung auswirken können. Eine mögliche Strafverschärfung wegen der Tatbegehung durch den (Ex-)Partner ist in jedem Einzelfall zu prüfen.
Nüchternes Resümee
Überall in der Welt entstanden in den vergangenen Jahren Bewegungen gegen psychische, physische und sexualisierte Gewalt gegen Frauen. In Deutschland ist der Aufschrei beim Thema Femizid bislang vergleichsweise leise. Dabei sind auch bei uns die Zahlen so dramatisch hoch, dass eine Leugnung oder Verschiebung des Problems auf andere Länder oder Kulturen unmöglich ist. Man kann bei der Istanbul-Konvention geteilter Meinung sein und doch bei den Fällen auch in Europa ernüchternd feststellen, dass eine Umsetzung von Konventionen Frauen nicht zwangsläufig schützt. Allein in Deutschland fehlen 14.000 Plätze in Frauenhäusern.
Und patriarchale Denkmuster, die in jeder Gesellschaft existieren, kann man selbst mit den schärfsten Gesetzen nicht aus der Welt schaffen. Dazu braucht es u.a. Bildung, Aufklärung, Sensibilisierung und Präventionsprojekte, bei denen die gesamte Gesellschaft mitgedacht und involviert wird. Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind, aus Frauenhass, Frauenverachtung oder männlichem Dominanzstreben. Die Bundesregierung muss Femizide als Ausdruck einer strukturell verankerten Abwertung und Diskriminierung von Frauen klar benennen, ihre genaue Anzahl erfassen, sie erforschen und verhindern. Die Linke fordert eine Beobachtungsstelle für Femizide, bessere Finanzierung von Frauenhäusern, entsprechende Anpassung der Rechtsprechung sowie obligatorische Fortbildungen für Polizei und Justiz.