Im vergangenen Jahr war es der SPD nach einer monatelangen und mühsamen Findungsphase gelungen, ihre neue Doppelspitze zu bestimmen. Nun hat die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) überraschend ihren Rückzug angekündigt. Sie wird nicht nur ihren Parteivorsitz niederlegen, sondern auch auf die Kanzlerkandidatur verzichten.
Ungewiss bleibt unter diesen Umständen, wie es in den nächsten Monaten sowohl innerhalb der CDU als auch der GroKo weitergehen wird. Dass schon seit längerem die Stabilität der deutschen Volksparteien abnimmt, wird von Tag zu Tag immer deutlicher. SPD-Kreise kommentierten die gegenwärtige Lage dennoch in einem eher optimistischen Ton. Sie sind der Ansicht, dass die Suchphase innerhalb der CDU die Regierungsarbeit nicht beeinträchtigen wird. Der SPD-Ko-Vorsitzende Walter-Borjans meinte beispielsweise, dass die SPD davon ausgehe, dass man sich auf die Union verlassen könne und die GroKo daher ihre Arbeit fortsetzen werde. Doch ob die Noch-CDU-Chefin AKK genügend Zeit für die Regelung ihrer Nachfolge bekommt - und wie sehr diese momentan unvorhersehbare Zeitspanne die GroKo belasten könnte, steht offen.
Gründe für den Rückzug als CDU-Parteichefin
Der Grund für den doch überraschenden Rückzugsplan AKKs lässt sich letzten Endes auf wohlbekannte Faktoren wie schlechte Umfragewerte, kontroverse Äußerungen und umstrittene politische Anstöße zurückführen. AKK selbst gab an, dass das unklare Verhältnis der CDU zu der AfD und der Linken diesen Schritt veranlasst habe. Zudem ist es AKK zufolge auch unentbehrlich, dass der CDU-Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur in eine Hand gehörten. Unzählige Äußerungen im vergangenen Jahr erzeugten ein gänzlich zerstreutes Bild von der Partei. Unmittelbar nach dem Rückzug Angela Merkels als CDU-Parteichefin (2000-2018) übernahm AKK im Dezember 2018 das CDU-Amt als Parteivorsitzende, nachdem sie sich gegen Jens Spahn und Friedrich Merz durchgesetzt hatte. Im Juli 2019 wurde sie dann außerdem als Bundesverteidigungsministerin ernannt. Man ging davon aus, dass Merkel ihre Nachfolgerin in die Regierungsarbeit miteinbezieht – mit dem Ziel in absehbarer Zeit den Übergang ins Kanzleramt reibungslos abzuschließen. Doch mit dem Rückzug AKKs wird dies wohl nicht mehr der Fall sein, wohingegen AKK kürzlich bekannt gab, dass sie ihr Amt als Verteidigungsministerin trotzdem weiterführen werde.
Ungeachtet ihrer eigenen Aussagen werden die schlechten Wahlergebnisse in Thüringen, Brandenburg und Sachsen als Rücktrittsgründe aufgeworfen. Wobei andere auf eine Führungsschwäche hinweisen.Die umstrittene Wahl des sogenannten Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP), der mit Hilfe der AfD- und CDU-Stimmen gewählt worden war und damit einen Tabubruch markierte, hat letzten Endes zu der aktuellen Führungskrise in der CDU geführt. Die Führungsschwäche der Parteivorsitzenden wird vor allem auch in Bezug auf den sogenannten „Richtungsstreit“ innerhalb der CDU sehr deutlich. Es scheint, dass es AKK nicht gelungen ist, die Kluft zwischen den Parteilagern zu schließen. Die Unzufriedenheit machte sich insbesondere in rechtskonservativen Kreisen wie der „Werteunion“ bemerkbar.
Die mühsame Suche nach einer neuen CDU-Spitze
In der CDU wird zurzeit darüber diskutiert, wie die Suche nach geeigneten Kandidaten geregelt werden könnte. Problematisch wird das bevorstehende Vorhaben vor allem deshalb, weil sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch einiges bevorsteht – so wie die ab Juli beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Als beschwerlich wird der Plan zudem aus den Reihen der CSU bewertet, die bezüglich der gegenwärtigen „krisenhaften Situation“ offen zum „Handeln“ aufrufen. Wenn es nach Kramp-Karrenbauer geht, soll im bevorstehenden Sommer der Kanzlerkandidat bestimmt und anschließend erst im nächsten Bundesparteitag im Dezember der CDU-Vorsitz gewählt werden. Dies stößt jedoch auf Kritik innerhalb der Union. Deshalb wird erwägt, gegebenenfalls den Bundesparteitag vorzuziehen. Zwar wird weiterhin betont, dass Deutschland eine „stabile Regierung mit einer hoch angesehenen Bundeskanzlerin (Merkel)“ brauche, so CSU-Chef Markus Söder. Doch die Kanzlerkandidatenfrage solle strategisch gesehen erst nach der Übergabe des Parteivorsitzes stattfinden. Ob diese Option sich eventuell als relevant erweist, wird sich vor allem in den nächsten Wochen konkretisieren – falls dann feststehen sollte, wer sich als Kanzler- bzw. CDU-Vorsitzender zur Verfügung stellen wird.
Ob bis dahin eine Art „CDU-Troika“, wie man es aus der SPD-Vergangenheit kennt, eine realistische Option für die CDU wäre, ist eher zu bezweifeln. Der Gedanke, dass sich das „Trio aus Nordrhein-Westfalen“, bestehend aus den möglichen Kanzlerkandidaten Armin Laschet, Friedrich Merz und Jens Spahn, untereinander einig wird, ist ebenfalls sehr unwahrscheinlich.
In Anbetracht der momentanen Situation stellt sich die Frage, wie die Suche nach einem Kanzlerkandidaten konkret aussehen und wer als Kandidat zur Verfügung stehen wird. Zudem bleibt ungeklärt, welche Auswirkungen dieser Prozess für die GroKo haben wird.
Neben Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet, der als Vertreter des liberalen CDU-Flügels wahrgenommen wird, stehen die Chancen für Bundesgesundheitsminister Spahn, der als Vertreter für einen „Generationswechsel“ bewertet wird, besonders gut. Auch für den ehemaligen CDU/CSU-Bundesfraktionsvorsitzenden Merz (2000-2002), der mittlerweile als Vertreter des Wirtschaftsflügels gilt und bereits sowohl gegen Merkel als auch gegen AKK erfolglos angetreten ist (2002 und 2018), sieht es diesmal besser aus. Bezüglich der Kanzlerkandidatenfrage könnte gegebenenfalls auch mit CSU-Chef Söder gerechnet werden, der zwar momentan nicht an eine Kandidatur denkt, aber dennoch weiterhin in Betracht gezogen werden könnte.
Mögliche Herausforderungen und Gefahren für die CDU als Volkspartei der Mitte
Obwohl es momentan noch nicht feststeht, welche Namen sich offiziell für eine Kandidatur bewerben werden, ist bereits jetzt von einigen wohlbekannten Herausforderungen die Rede, denen sich der neue CDU-Chef dann stellen müsste. Zunächst wird unausweichlich zu klären sein, wie das Verhältnis der CDU zur AfD und zur Linken genau aussehen soll. Das Thüringen-Debakel, dass letzten Endes auch zur aktuellen Führungskrise in der CDU führte, birgt die Sorge, dass es zu weiteren Normalisierungsansätzen im Sinne von „Kooperationen“ kommen könnte. Dem müssten sich alle Kandidaten konsequent widersetzen.
Zudem wird der neue Vorsitz womöglich der Erwartung ausgesetzt sein, die CDU als Ganzes zu repräsentieren, den Flügelstreit zu beenden und dementsprechend eine kollektive Verantwortung zu übernehmen. Die Integration der Parteiflügel trotz äußerst unterschiedlicher Auffassungen und Erwartungen wird auch diesmal die wohl größte Hürde darstellen. Weitere Herausforderungen sind die negativen Umfragewerte der CDU sowie die Frage nach einem neuen Grundsatzprogramm, das demnächst abgeschlossen werden soll.
Fraglich ist, ob es eine klare Abgrenzung zu rechtspopulistischen Strömungen geben wird. Dass einige Kandidaten sich hierbei äußerst schwer tun werden, scheint nicht unwahrscheinlich. In diesem Zusammenhang spielt der Aufruf Laschets, an dem Mitte-Kurs der Kanzlerin festzuhalten, eine besondere Rolle.
Die CDU als Volkspartei sollte in der Mitte des Parteienspektrums bleiben. Daran sollte auch trotz provokativen Bestrebungen der AfD festgehalten werden, welche die CDU in zwei Lager zu teilen versucht. Laut dem neuen Ko-Vorsitzenden der AfD, Tino Chrupalla, besteht die CDU einerseits aus Konservativen, die an demokratischen Grundsätzen festhielten und mit der AfD kooperieren wollten - und andererseits aus Sympathisanten sowie Vertretern einer links-grünen Ideologie. Ähnlichen Provokationen seitens der AfD hat die CDU mit einer zügigen Rückkehr zur Sachpolitik gegenzuhalten.
Andernfalls sollte es nicht überraschen, wenn auch nach dem bevorstehenden CDU-Parteitag und der Suchphase keine Ruhe einkehrt.