Für viele nicht-ethnisch Deutsche wird die Wahl keine großen Veränderungen bewirken. Sie werden auch weiterhin in der deutschen Politik signifikant unterrepräsentiert bleiben. Viele haben aber gar nicht erst das Recht, an der Wahl teilzunehmen.
Deutschland als Einwanderungsland
Ein Viertel aller Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund. In Westdeutschland liegt der Anteil bei circa 30 Prozent. In größeren Städten ist dieser Anteil tendenziell höher.
Dies ist keine neue Entwicklung. Migranten sind nicht nur fester Bestandteil Deutschlands. Sie waren maßgeblich am Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt. Bereits kurz nach Gründung der Bundesrepublik kamen die ersten sogenannten „Gastarbeiter“. Erst kürzlich sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier richtigerweise, dass die vielen Menschen aus der Türkei viel dazu beigetragen haben, dass Deutschland heute „gesellschaftlich offener und vielfältiger, wirtschaftlich stärker und wohlhabender“ sei.
„Wir sind ein Land mit Migrationshintergrund,” proklamierte Steinmeier. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft tut sich teilweise immer noch schwer damit, diese Realität anzuerkennen. Sie zu leugnen, wäre im Jahr 2021 aber realitätsfern. Doch was tut Deutschland, um die Demographie in der politischen Repräsentation umzusetzen?
Mangel an politischer Diversität
Die kulturelle Diversität Deutschlands wird in der Politik nicht widergespiegelt.
Der Bundestag, der im demokratischen System der Bundesrepublik die Bevölkerung repräsentiert, ist hauptsächlich ethnisch deutsch und weiß. Im aktuellen Bundestag haben nur 8 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund. Darunter sind einige Europäer und Spätaussiedler.
Über Menschen, die einen biographischen Bezug zum Ausland haben, wird in Medien und Politik viel gesprochen. Offiziell gibt es für sie in Deutschland viele statistische Kategorien. Man spricht über Ausländer, Migranten, Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund oder ohne Migrationserfahrung, mit eigener Migrationserfahrung, Spätaussiedler, Eingebürgerte, als Deutsche Geborene, Deutsche ausländischer Eltern und so weiter. Man wird in Kategorien gesammelt, doch die Erfahrungen dieser Menschen sind oftmals uninteressant und finden in der Politik wenig Gehör. Wenn überhaupt, dann werden Flüchtlinge und Asylsuchende als politisches Thema problematisiert.
Statt Inklusion werden seit Jahrzehnten Konzepte von Assimilierung und gelungener Integration in eine weiterhin schwer zu definierende „deutsche Leitkultur” glorifiziert. Inklusion in das politische Leben findet dennoch kaum statt. Dies ist ersichtlich an den Wahlplakaten der SpitzenkandidatInnen, die dieser Tage die multikulturellen Städte Deutschlands prägen.
Wer darf wählen?
Noch weiter ausgeschlossen sind diejenigen, die gar nicht erst deutsche Staatsbürger sind. In den meisten Ländern der Welt dürfen nur Staatsbürger an parlamentarischen Wahlen teilnehmen. Deutschland stellt hier keine Ausnahme dar.
Diese Situation führt aber dazu, dass Millionen Menschen, die in Deutschland leben, arbeiten und Steuern zahlen, nicht über ihre eigene Zukunft im Land mitentscheiden dürfen.
Die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und die alte Staatsbürgerschaft abzugeben, ist nicht jedem gleich möglich. Deutschland erlaubt nur in wenigen Fällen die doppelte Staatsbürgerschaft. Zum Beispiel dürfen Staatsbürger anderer EU-Länder ihren zweiten Pass behalten. Dies gilt jedoch nicht für Menschen außerhalb der EU wie z.B. türkische Staatsbürger, die die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe in Deutschland darstellen. EU-Bürger, die keine deutsche Staatsbürgerschaft, aber einen festen Wohnsitz in Deutschland haben, dürfen an Kommunalwahlen und an Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen, jedoch nicht an Bundestagswahlen.
So darf bei den anstehenden Wahlen in einigen Orten knapp ein Drittel der Bevölkerung nicht mitbestimmen.
Tiefer deutscher Rassismus
Doch sind diese ernsten Fragen der Repräsentation kein Thema im Wahlkampf. Auch bleibt der Rassismus, der den deutschen Alltag plagt, als Problem im Wahlkampf eher unberührt.
Zwar genießt Deutschland international Ansehen als liberale und tolerante Demokratie.
Der Bundespräsident machte kürzlich deutlich: „Fremdenhass ist Menschenhass. Und diesen Hass werden wir in Deutschland niemals dulden!“ Doch spiegelt diese Idealvorstellung nicht die Realität der vielen Menschen in Deutschland wider, die den Qualen des strukturellen Rassismus alltäglich ausgesetzt sind. Vielleicht wäre es überhaupt an der Zeit, Menschen nicht als „Fremde“ zu bezeichnen. Die Realität kann durch solche idealistischen Bekundungen vielleicht schöngeredet werden.
Rassismus ist jedoch im Land und dessen Geschichte tief verankert. Die heutige Realität des andauernden Rassismus in Deutschland lässt sich nicht von der brutalen deutschen Vergangenheit abtrennen. Auch wenn es heute vielen Deutschen leichtfällt, sich von der Vergangenheit zu distanzieren, so prägen doch Antisemitismus, Rassentheorien und Völkermorde die moderne deutsche Geschichte. Die Ankunft der ersten sogenannten Gastarbeiter fand nur wenige Jahre nach dem Holocaust statt.
Eine politische Gesellschaft, die die demographische Realität adäquater repräsentiert, würde eventuell eine intensivere Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte erfordern.
Der Status quo bleibt erhalten
Der Wahlkampf signalisiert, dass der Status quo in der Bundesrepublik erhalten bleibt. Revolutionär wird die neue Regierung nicht, vor allem nicht für Menschen nicht-ethnisch deutscher Herkunft. Unabhängig davon, welche Parteien die neue Regierung bilden werden, signifikante inhaltliche Veränderungen wird es wohl kaum geben. Ein wichtiger Bestandteil der Bevölkerung wird unterrepräsentiert bleiben, während Millionen von Ausländern nicht mitentscheiden dürfen. Während der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund weiter steigt, bleibt das Problem der Repräsentation weiter offen.