Deutschland im Schatten des Ukraine-Krieges / Photo: DPA (dpa)
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Im dritten Jahr des Ukraine-Russland-Krieges stellt sich unweigerlich die Frage, welches außenstehende Land am stärksten von diesem Krieg beeinflusst wurde. Die Antwort darauf lautet zweifellos Deutschland – und das mit gutem Grund. Seit den frühen 2000er Jahren hat Deutschland als eine Art „Händlerstaat“ seine Außenpolitik maßgeblich auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet – besonders auf ein exportorientiertes Wachstumsmodell. Ein zentraler Faktor für die Aufrechterhaltung dieses Modells war zweifelsohne die kostengünstige Energie aus Russland.

Nach dem Ausbruch des Krieges im Februar 2022 und dem Wegfall der günstigen russischen Energiequellen fand sich Deutschland inmitten einer gravierenden Energiekrise wieder. Diese Krise löste nicht nur einen wirtschaftlichen Abschwung aus, der das Land zwei Jahre in Folge in eine Rezession führte, sondern öffnete auch die Tür zu weiteren politischen Krisen. Schließlich mündete die Entwicklung in den Zerfall der „Ampelkoalition“. Die Wiederwahl Donald Trumps in den USA verschärft die Lage zusätzlich. Sie ruft Sicherheitsbedenken hervor und weckt die Angst, ohne Schutzschirm der USA mit Russland konfrontiert zu sein.

Energiekrise in Deutschland

Deutschland, das mehr als die Hälfte seiner Energie aus Russland bezogen hatte, zögerte lange, mit seinen Beziehungen zu Moskau zu brechen und Sanktionen gegen das Land zu verhängen. Die potenziellen wirtschaftlichen Konsequenzen einer solchen Entscheidung, besonders für die eigene Wirtschaft, führten dazu, dass Deutschland den westlichen Forderungen zunächst Widerstand leistete.

Schließlich entschied sich Deutschland jedoch, die Ukraine zu unterstützen und eine Position gegen Russland einzunehmen. Die erwartete Energiekrise ließ nicht lange auf sich warten. Die steigenden Energiekosten führten vor allem in der Automobilindustrie und in der Schwerindustries zu drastischen Einschnitten, darunter die Verkleinerung großer Unternehmen und sogar die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland.

Von Privathaushalten bis hin zu kleinen Gewerbebetrieben spürten alle Schichten der deutschen Gesellschaft die Auswirkungen der gestiegenen Energiekosten. Als Folge dieser Entwicklungen, bei denen die Energiekrise eine zentrale Rolle spielte, fiel Deutschland zwei Jahre in Folge in eine Rezession.

Die Auswirkungen des im Februar 2022 ausgebrochenen Russland-Ukraine-Krieges spürte Deutschland nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Bereich der Sicherheit. Der anhaltende Kriegsverlauf ohne Aussicht auf ein Ende warfen neue Fragen auf – etwa im Bereich der Wehrfähigkeit im Kriegsfall. Die Bundesregierung sowie ein Großteil der Opposition sind sich hierbei einig: Die Bundeswehr ist nicht kriegsbereit.

Helfen sollte ein Modernisierungsprogramm mit einem Hilfspaket in Höhe von 100 Milliarden Euro. Doch in der Praxis reichte die Maßnahme nicht aus, um die Mängel zu decken. Berichte, wonach die kritischen Munitionsvorräte Deutschlands in einem möglichen Krieg innerhalb von zwei Tagen erschöpft wären, verstärkten die Bedenken. Hinzu kamen die Informationen, dass Russland im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges deutlich mehr Waffen produziert und in der Lage ist, dreimal so viel kritische Munition herzustellen wie der gesamte westliche Block – einschließlich der USA

Steht Europa Russland allein gegenüber?

Der künftige US-Präsident Trump hatte während seiner ersten Amtszeit wiederholt die europäischen NATO-Verbündeten beschuldigt, unter dem US-amerikanischen Sicherheitsschirm Schutz zu suchen, ohne dafür zu zahlen. Er drohte zudem damit, die militärische Präsenz der USA in Europa zurückzuziehen.

Die Wiederwahl Trumps zum US-Präsidenten fand in Europa großen Widerhall. Am Morgen danach zerbrach Kanzler Olaf Scholz die Regierungskoalition. Einer der Hauptgründe dafür war die Frage, ob das durch die finanziellen Hilfen für die Ukraine entstandene Haushaltsdefizit durch Kürzungen im Sozialbereich oder durch neue Schulden ausgeglichen werden sollte.

Kurz nach dem Aus der Koalition führte Kanzler Scholz erstmals seit zwei Jahren ein Telefonat mit Putin. Wenige Wochen später fand ein Treffen zwischen Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Polen statt, bei dem der Russland-Ukraine-Krieg das Hauptthema war – ein Treffen, an dem die USA nicht beteiligt waren.

Am 2. Dezember unternahm Scholz schließlich seine zweite Reise in die Ukraine seit Beginn des Krieges. Mit einem Unterstützungspaket von 650 Millionen Euro für militärische Ausrüstung setzte er ein deutliches Zeichen: einerseits gegenüber Russland und andererseits indirekt gegenüber Trump, der angedeutet hatte, die Unterstützung für die Ukraine zurückzufahren. Scholz zeigte damit, dass Deutschland weiterhin fest an der Seite der Ukraine stehen werde.

All diese Entwicklungen können als Zeichen dafür gewertet werden, dass sich Deutschland und Europa auf Szenarien vorbereiten, in denen sie einer russischen Bedrohung ohne die Unterstützung der USA begegnen müssen.

Obwohl Deutschland und andere europäische Länder nach wie vor über erhebliche wirtschaftliche Ressourcen verfügen, sind sie weit davon entfernt, strategische Ziele wie die Aufrüstung, die Modernisierung ihrer Armeen und die Vorbereitung auf einen möglichen Krieg kurzfristig umzusetzen.

Türkiye könnte in den Fokus rücken

Die neue Situation in Europa könnte zu einer Neubewertung der seit dem Kalten Krieg etablierten und gefestigten Bündnisbeziehungen führen. Europa reagierte unter dem Schutzschirm der US-amerikanischen Sicherheitsgarantie als einheitlicher Block auf verschiedene Krisen, besonders auf sicherheitspolitische Herausforderungen. Diese Geschlossenheit des Westens ging jedoch teils mit der Verhandlungsposition Ankaras am diplomatischen Tisch konträr. Sollten die USA künftig eine isolationistische Politik verfolgen, werden Deutschland und Europa ihre Beziehungen mit Türkiye neu ausrichten müssen.

In Rüstungsfragen könnte Türkiye dabei helfen, die Armeen Europas zu modernisieren, vor allem im Bereich der Drohnen-Technik. Deren Effektivität zeigt sich im türkischen Anti-Terror-Kampf, aber auch bei Ländern wie der Ukraine und Aserbaidschan, die Drohnen von türkischen Rüstungsunternehmen erfolgreich einsetzten und dadurch einen strategischen Vorteil erlangten.

Aus dieser Perspektive betrachtet, könnte sich eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Rüstung auch positiv auf außenpolitische Fragen zwischen Türkiye und der EU auswirken. Die nächsten Monate oder Jahre werden Aufschluss darüber geben, wohin sich Deutschland und Europa bewegen werden.

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