Mit Armin Laschet als Kanzlerkandidat fährt die Union bei der Bundestagswahl 2021 das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein und sieht darin einen Wählerauftrag, Bundeskanzler zu werden. Gleiches widerfährt ihrer Schwesterpartei in Bayern unter Markus Söder, in dem viele einen besseren Kandidaten sahen. Ihm fällt in der Wahlnacht nicht mehr ein, um den Absturz schönzureden, als darauf zu verweisen, dass aber doch die Ergebnisse bei den Kommunal- und Europawahlen gar nicht so schlecht gewesen seien.
Die Staatsparteien CDU/CSU ringen erkennbar damit, sich an eine neue politische Landschaft, veränderte Realitäten und ihre neue Rolle anzupassen. Lediglich der sächsische Ministerpräsident Kretschmer von der CDU erklärte öffentlich, er könne nach dem Verlust von rund 9 Prozentpunkten und einem Ergebnis von 24,1% kein Mandat für die Kanzlerschaft der Union erkennen. Laschet, von dem nicht einmal 20% der CDU-Wähler sagten, dass er der Grund für ihre Wahlentscheidung war, will aber auch als Zweitplatzierter weiterkämpfen. Das Grundgesetz erlaubt die Möglichkeit, dass auch ein Wahlverlierer Kanzler wird, denn gewählt wird das Parlament, nicht die Person des Regierungschefs. Entscheidend ist nur, ob sich im Bundestag Mehrheiten finden. In der deutschen Geschichte gab es bereits Fälle, in denen nicht die Partei mit den meisten Stimmen den Kanzler stellte. Darauf hofft Armin Laschet, für den es auch eine persönliche Frage des politischen Überlebens ist. Anders als 2017, als der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale von der heilenden Wirkung einer Oppositionsrolle öffentlich träumte, um die SPD von dort wieder zu alter Stärke zu führen, sieht die CDU nichts Positives darin, in die Opposition zu gehen. Deswegen wird Laschet alles versuchen, Liberale und Grüne mit Versprechungen zu ködern, um sie zu einer Dreierkoalition in den Landesfarben von Jamaika zu bewegen. Rechnerisch ist das möglich. Machtpolitisch würde es bedeuten, dass eine geschrumpfte Union zwar den Kanzler stellt, dafür aber ihren Markenkern aufgibt und sich darauf einstellen muss, von den Partnern dominiert zu werden. Merkel wurde im Laufe ihrer Amtszeit größer als ihre Partei. Eine solche Aussicht ist für Laschet illusorisch.
Phönix aus der Asche
Am Tag nach seinem Wahlsieg wird Olaf Scholz als Held gefeiert. Ihm ist es zu verdanken, dass die SPD nach zeitweiligem Umfragetief von 14% den Vorsprung auf die Union ins Ziel rettete. Aber auch 25,7% sind kein triumphaler Erfolg und kein eindeutiges Mandat des Wahlvolks, dass Scholz nun Kanzler werden muss. Denn das Ergebnis bedeutet im Umkehrschluss, dass drei Viertel der Wähler die SPD nicht unterstützt haben. Es ist dennoch ein bemerkenswerter Erfolg, wenn man bedenkt, dass Scholz ein Kanzlerkandidat der Mitte ist, der eigentlich nicht zu seiner linken Basis und Parteiführung passt. Wie Laschet muss nun Scholz abwarten, worauf sich Liberale und Grüne verständigen. Er muss ein besseres Angebot machen als sein Konkurrent. Und auch wenn er ein erfolgreiches Ergebnis verhandelt, ist er noch nicht am Ziel. Denn er muss es seiner Fraktion und den Parteimitgliedern verkaufen, die im Wahlkampf für die SPD erstaunlich geschlossen hinter ihrem Kandidaten standen. Beides birgt die Chance des Scheiterns. Dabei hilft es Scholz, dass die Alternative einer rot-rot-grünen Koalition rechnerisch vom Tisch ist. Am Ziel ist er aber noch lange nicht.
Königsmacher FDP und Grüne
Die FDP konnte sich mit 11,5% leicht verbessern, was ihren selbstbewussten Partei- und Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner noch selbstbewusster auftreten lässt. Anders als bei allen anderen Parteien macht die Fokussierung auf seine Person die Koalitionsverhandlungen insofern leichter, als er nicht groß zwischen konkurrierenden Flügeln und Personen vermitteln muss. Lediglich sein Ego könnte wie 2017 ein Problem sein, als er im letzten Moment die Reißleine zog und sich aus der fast fertigen Koalition verabschiedete. Das wird diesmal nicht passieren. Aber es wird interessant, ob ihm sein Ehrgeiz erlaubt, dem Grünen Habeck den Vortritt im Finanzministerium zu lassen, um damit eine SPD-geführte Koalition zu verhindern.
Von allen Parteien legten die Grünen gegenüber 2017 mit 5,9% am meisten zu. Ihr Endergebnis von 14,8% ist aber dennoch enttäuschend nach der Euphorie im Anschluss an die Nominierung von Baerbock als Kanzlerkandidatin. Damals lagen die Grünen in Umfragen für kurze Zeit bei 27%. Daran gemessen ist das Ergebnis eine harte Landung. Aber die Grünen sind keine Staats- sondern eine Reformpartei. Sie sind für mehr und rascheren Wandel angetreten als die vormaligen Volksparteien. Deren Wähler sind deutlich älter und fürchten sich mehr vor Wandel, weil er gegen die natürliche Ordnung der Dinge ist und ihren Status gefährdet. Die Grünen werden die Koalitionsverhandlungen nutzen, um CDU und SPD vor sich herzutreiben. Scholz und Laschet werden weitgehende Zugeständnisse bei Posten und Reformen machen, um Bundeskanzler zu werden. Die neue Regierungskonstellation einer Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP oder gar einer Viererkoalition aus CDU, CSU, Grünen und FDP wirkt nicht nur bunter, sie enthält auch jede Menge Sprengstoff für Konflikte und Selbstblockaden. Das wird sich in den Verhandlungen zeigen und nach der Wahl des schwächsten Kanzlers in der Geschichte der Bundesrepublik fortsetzen.
Eine neue politische Landschaft in Deutschland
Die einstmals dominanten Volksparteien, die gelegentlich ihre Juniorpartner so dominiert und marginalisiert haben, dass sie es nach der Regierungsbeteiligung nicht mehr in den Bundestag geschafft haben, sie sind nun zu Bedingungsnehmern geworden.
Das zeigte sich am Wahlabend unter anderem in der Forderung der Grünen, dass Koalitionsverhandlungen unter Gleichen stattzufinden haben und nicht unter dem Vorsitz des potenziellen Kanzlers. Die deutsche Parteienlandschaft ist erkennbar und mutmaßlich auf Dauer eine andere geworden. Volksparteien sind Geschichte. Es gibt nur noch kleine und mittelgroße Parteien, die sich bewusst sind, dass in Deutschland Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Dadurch sind sie inhaltlich ähnlicher geworden und werben um Menschen, die keine feste politische Heimat mehr haben. Das lässt darauf hoffen, dass inhaltliche Unterschiede leichter überbrückbar sind, denn die potenziellen Koalitionäre stehen sich nicht polarisiert gegenüber, auch wenn es in ihrer Rhetorik oft so klingt. Es bleiben aber auch viele Risiken, nicht zuletzt der menschliche Faktor in der Politik.
Nicht nur Deutschland ist zu wünschen, dass eine stabile Regierung zügig den Reformstau angeht, der sich in den Merkeljahren angesammelt hat. Ihr „Fahren auf Sicht“ war gut bei der Bewältigung zahlreicher Krisen. Für anderes war es zu zögerlich und der falsche Politikstil. Nun müssen Klimawandel, Digitalisierung, Finanzreform und vieles mehr auf europäischer Ebene und global angegangen werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Akteure ihrer Verantwortung bewusst sind.