von Usman Masood
Heute gehört der tägliche Kaffee mit seinem unverwechselbaren Aroma und seiner die Lebensgeister weckenden Wirkung zur Standardversorgung in Büros, Werkstätten und Haushalten. Dass er überhaupt seinen Weg aus den Weiten des Jemen und Äthiopiens fand, ist allerdings den Sufis zu verdanken. Mehr noch: Kaffeebohnen trugen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlicher Weise dazu bei, Geschichte zu schreiben.
Dies lag vor allem an der Kaffeehauskultur. In Europa verbindet man vor allem Wien mit diesem Begriff. Die ersten Kaffeehäuser, auch als „Kahvehane“ bekannt, gab es jedoch schon Jahrhunderte zuvor. Sie dienten nicht nur dem Genuss des Getränks, sondern fungierten auch als fruchtbarer Boden für Ideen, manchmal sogar für Verschwörungen.
Im Jahr 1555 eröffnete in Istanbul das erste Kaffeehaus, bis 1570 wuchs deren Zahl auf 600 an. Man sprach von einer geradezu „magisch“ anmutenden Ausbreitung der Kaffeekultur. Schon damals schrieb man dem Aroma des Getränks zu, dass sich Menschen dazu motiviert fühlten, nachzudenken, zu reflektieren und zu hinterfragen.
Verbot aus Angst vor „häufigem Feuer“
Die Kaffeehäuser luden zum Sozialisieren ein, und Menschen verbrachten dort Zeit miteinander – umso mehr, als die Alternative in Form der Tavernen in einer muslimischen Gesellschaft weniger angesehen war. In den Kaffeehäusern spielten Musiker auf, lasen Dichter aus ihren Werken, Menschen trafen sich zum Spiel und zum Plaudern, einige trafen sich dort aber auch, um Verschwörungen auszuhecken.
Unter anderem waren es die Janitscharen, die das Kaffeehaus als Treffpunkt für sich entdeckten. Im 14. Jahrhundert wurde diese Eliteeinheit als Leibgarde zum Schutz des Sultans gegründet. Sie entwickelte aber zunehmend ein Eigenleben und wurde am Ende sogar zu einer potenziellen Gefahr für den Sultan selbst.
Sultan Murad IV., der von 1623 bis 1640 regierte, verbot 1633 sogar die Kaffeehäuser – offiziell aus feuerpolizeilichen Erwägungen wegen erhöhter Brandgefahr. Das „Feuer“, das der Sultan fürchtete, schien jedoch eher metaphorischer Natur zu sein. Der Bruder Murads IV., Osman II., wurde von den Janitscharen während einer Rebellion hingerichtet.
Der Sultan soll die Kaffeehäuser als mögliche Kristallisationspunkte weiterer Revolten betrachtet haben. Andere Quellen sehen eher religiöse Erwägungen hinter der Entscheidung: Der Herrscher soll demnach Anstoß am Müßiggang und an der Genusssucht genommen haben, die er dort beheimatet wähnte.
Klandestiner Treffpunkt verschwörerischer Janitscharen
Die Maßnahmen waren radikal: Nicht nur die Kaffeehäuser wurden im gesamten Reich verboten und bestehende zerstört, auch der bloße Besitz von Kaffee und sogar Tabak konnte mit dem Tod bestraft werden.
Selbst nach dem Tod Murads IV. dauerte es noch mehr als ein Jahrzehnt, bis die Gesetze wieder gelockert wurden. Dann war die Kaffeehauskultur jedoch schnell zurück und blühte über mehrere Jahrzehnte hinweg auf. Allerdings waren dort auch wieder die Janitscharen präsent. Deshalb sah sich auch der reformorientierte Sultan Mahmud II., der das Korps auflöste, gezwungen, parallel dazu auch die Kaffeehäuser wieder zu schließen. Immerhin wurden mittlerweile viele von ihnen von Janitscharen betrieben und diente diesen als Einkommensquelle. Man befürchtete, dass sich die zum innenpolitischen Problem gewordene Einheit über die Kaffeehaus-Infrastruktur reorganisieren könnte.
Erst als die Gefahr durch die Janitscharen gebannt war, konnten auch die Kaffeehäuser wieder ihren Platz im öffentlichen Raum einnehmen. Mittlerweile hatte der Staat dazugelernt und versuchte nun seinerseits, sich die dort entstandene soziale Kultur zunutze zu machen.
Sultan Abdülmecid I., der von 1839 bis 1861 regierte, baute seinen Inlands-Geheimdienstapparat aus, indem er seine Informanten in die Kaffeehäuser schickte, um dort zu erkunden, was dort im übertragenen Sinne „gebraut“ wurde. Aus dem Hinterzimmer, in dem Verschwörungen ausgeheckt wurden, wurde eine Infrastruktur, die es der Hohen Pforte ermöglichte, das Ohr am Volk zu haben und dem Puls der Öffentlichkeit zu folgen.
Geheimdienstagenten erkundeten in den Cafés die Stimmung
Die Präsenz der Geheimdienste und das Aufkommen der Printmedien hatten zur Folge, dass in den Kaffeehäusern Neuigkeiten ausgetauscht, Meinungen diskutiert oder Satiren vorgetragen wurden. Vorleser informierten Menschen, die des Lesens nicht mächtig waren, über die aktuellen Neuigkeiten.
In diesem Entwicklungsstadium trat das Kaffeehaus auch seinen Weg in den Westen an. Dort galt es schon bald als „Groschenuniversität“, wo in einer Atmosphäre des Genusses eines aromatischen Heißgetränks Wissen, Neuigkeiten, Meinungen, Kultur und Bildung ausgetauscht wurden. In Wien waren es die bereits im 18. Jahrhundert etablierten Billardhallen, aus denen mit Fortdauer des 19. Jahrhunderts Kaffeehäuser im traditionellen Sinne wurden.
Heute gibt es kaum noch jemanden, der im Kaffeehaus Geschichten erzählt oder nicht Lesekundigen die Nachrichten vorliest – auch in der Türkei nicht. Das Kaffeehaus selbst als Ort des Smalltalks zum Tee oder Kaffee hat sich jedoch seine Beliebtheit bewahrt und wird sie nach Ende der Corona-Krise in vollem Umfang wiedererlangen.
In Istanbul spielen neben zahlreichen privaten Cafés auch vom Staat betriebene sogenannte Kiraathane eine Rolle. Der Begriff steht für „Ort des Lernens“, und diesem Auftrag werden die Einrichtungen gerecht, indem sie mit der Möglichkeit der Zusammenkunft bei Kaffee und Kuchen auch Bibliotheken und Bildungsangebote verbinden.
Die Tradition der Kiraathane und die Rolle der Sufis
Die Tradition der Kiraathane ist unterdessen noch deutlich älter als die der herkömmlichen Kaffeehäuser. Sie geht auf Süleyman den Prächtigen zurück, der von 1520 bis 1566 regierte und erste Kaffeehaus-ähnliche Treffpunkte mit Büchern ausstattete. Neben den Kahvesi, so der Name für die traditionellen türkischen Kaffeehäuser, die sogar als „immaterielles Kulturerbe“ von der UNESCO anerkannt wurden, gibt es in der Türkei etwa 500 Cafés im Stile der modernen Systemgastronomie, wie man sie von Starbucks oder McCafé kennt. Damit belegt die Türkei Platz 2 in Europa hinter dem Vereinigten Königreich.
Unter jungen Menschen sind diese Einrichtungen beliebt, Kaffee-Puristen befürchten die Unterminierung der traditionellen Kaffeekultur und die Degradierung des kulturell bedeutungsvollen Getränks zu einem Fast-Food-Artikel. Dennoch ist der „Mokka“ immer noch die beliebteste Form, in der Kaffee in der Türkei getrunken wird. Der Name leitet sich von der gleichnamigen Stadt im Jemen ab, von der aus der Siegeszug der Kaffeebohne um die Welt seinen Ausgang genommen haben soll.
Einen wesentlichen Anteil an diesem hatte Erzählungen zufolge der Sufi-Scheich und Poet Abu Bakar al-Aydarus, der sogar Oden über das Getränk verfasst haben soll. Er soll insbesondere seinen Schülern den Genuss von Kaffee empfohlen haben. Das in Trance versetzende Aroma und die Fähigkeit von Kaffee, Kopf und Herz gleichermaßen zu wecken, soll auch das Dhikr erleichtert haben – eine intensiv betriebene, spirituelle Übung, die Sufi-Orden zusätzlich zu den Pflichtgebeten durchführen, um die Vergegenwärtigung Gottes zu bewirken. Die Praxis der Sufis soll am Ende eine Schlüsselrolle dabei gespielt haben, den Kaffee als Getränk in der breiteren Bevölkerung der islamischen Welt zu popularisieren.