von Ali Özkök
Erst im November 2020 hat der Publizist und langjährige frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer sein „Team Todenhöfer“ ins Leben gerufen. Im September wird die Partei erstmals zur Bundestagswahl kandidieren.
Mit TRT Deutsch sprach der Parteigründer über seine Ziele im Wahlkampf, über die Afghanistan-Krise, über Fehler des Westens in der Außenpolitik und über seine frühere Partei und deren Kanzlerkandidaten Armin Laschet.
In Umfragen wird das Team Todenhöfer noch nicht gesondert ausgewiesen. Was ist Ihr bisheriger Eindruck vom Wahlkampf Ihrer Partei? Und wo würden Sie Ihr Minimalziel für den Wahlabend ansetzen?
Wir sind viel auf der Straße zum Straßenwahlkampf. Nicht nur in München, sondern in Düsseldorf, Lübeck, Dresden, überall. Und sprechen Menschen an. Da haben wir eine Kurzfassung des Programms dabei. Und wir fragen, ob wir die Menschen kurz stören dürfen und da gibt es Leute, die haben keine Zeit. Aber die, die stehen bleiben, ich sag mal die Hälfte, und denen wir drei, vier, fünf Minuten ein paar Punkte erklären können, da haben wir eine für mich völlig ungewöhnliche Zustimmung erfahren. Ich bin völlig verblüfft gewesen. Teilweise Leute, die sagen, es wäre „mein Programm“, „Genauso ist es“, „So sehe ich das auch“.
Das heißt, die Zustimmung, und das sind zehn Punkte, die ich da vortrage, die Zustimmung zu dem Programm ist sehr groß. Allerdings ist die Kenntnis über die Existenz unserer Partei noch nicht groß genug. Das heißt, wir sind noch zu unbekannt, was ganz stark mit Corona zusammenhängt, dass es keine Veranstaltungen gibt. Wir wollen jetzt noch einmal vor der Wahl einen Parteitag machen in einer deutschen Großstadt und kriegen keinen Raum. Es ist Wahlkampf in diesen Zeiten, also ist es ein bisschen schwierig. Die großen Parteien sind schon bekannt. Sie müssen sich nicht mehr bekannt machen. Und die sind jeden Abend im Fernsehen, schon deswegen, weil sie über die Gebühren des Fernsehens entscheiden.
Die Ereignisse in Afghanistan haben die Außenpolitik noch einmal in den Fokus des Wahlkampfs rücken lassen. Sie haben sich seit Beginn des Engagements der NATO wiederholt kritisch über den Einsatz geäußert. Sehen Sie sich durch die nunmehrigen Entwicklungen in Ihrem Argwohn bestätigt?
Ja, natürlich, und zwar nicht nur in dem Argwohn. Der Krieg war unberechtigt. Also ich will jetzt nicht die ganze Kriegsgeschichte noch einmal erzählen, aber ich möchte darauf hinweisen, dass bei den Attentätern im World Trade Center und am Pentagon kein einziger Afghane dabei war. Und begründet wurde das damit, dass es einen aus vielen Ländern ausgewiesenen Terroristen bin Laden gab, der aus dem Sudan, aus Pakistan, aus seinem eigenen Land Saudi-Arabien ausgewiesen worden war, der dort politisches Asyl hatte. Aber Tag und Nacht war sein Haus von Taliban umstellt und er hatte ein Verbot, sich politisch zu betätigen. Das hat er in einem Interview mit dem bekannten amerikanischen Terrorexperten Peter Bergen erzählt. Ich weiß also nicht, welche Rolle er gespielt hat. Ich weiß, dass Terrorexperten nicht wissen, welche Rolle er gespielt hat. Vielleicht war er das Symbol dieser Terroristen, was auch immer. Aber deswegen Afghanistan zu bombardieren und in den Boden zu hämmern mit amerikanischen Bomben und Raketen, das ist aus meiner Sicht völlig unberechtigt. Wenn sie wirklich die Hintermänner, die die Macht über Al-Kaida hatten, hätten bombardieren wollen, dann hätten sie Saudi-Arabien angreifen müssen. Sie hätten sogar theoretisch an Deutschland denken können, denn der Plan für die Überfälle wurde in Hamburg ausgeheckt von Atta. Afghanistan war der Letzte, auf den man kommen könnte, den man angreifen sollte, aber Afghanistan war strategisch ein toller Stützpunkt für die Amerikaner, der schon immer als Wunsch-Stützpunkt in ihren Schubladen gelegen hatte, und so hat man Afghanistan angegriffen.
Und dann hat man falsche Gründe vorgebracht und hat gesagt, man will den Schulmädchen den Schulbesuch wieder ermöglichen und man hat mit ähnlichen Märchen argumentiert. Und man hat – Sie werden vielleicht sagen, das sind die Argumente eines Politikers, der Wahlkampf macht – kontinuierlich im amerikanischen Kongress und im Deutschen Bundestag die Bevölkerung belogen. Und dafür gibt es Beweise. Etwa die sogenannten Afghanistan Papers, die die „Washington Post“ 2013 veröffentlicht hat, aus denen hervorgeht, dass alle Zahlen, alle Fakten nachträglich verändert worden sind, um ein besseres Bild dieses Krieges darzustellen.
Es war alles gelogen, was im Deutschen Bundestag jedes Jahr bei der Debatte gesagt wurde. Und dann kommt der zweite Punkt: Außer der Ungerechtigkeit dieses Krieges, den Lügen kommt eben noch dazu, dass wir hier offenbar völlig unfähige Politiker haben. Wie man 14 Tage vor dem Einmarsch in Kabul noch die These vertreten kann, das gehe noch Monate oder vielleicht sogar Jahre - da muss man schon ein ziemlicher Volltrottel sein, um so daneben zu liegen. Und daraus habe ich die These abgeleitet: Wir werden offenbar von Volltrotteln regiert. So kann man nicht daneben liegen, so darf man nicht daneben liegen.
Kommen wir kurz zur Innenpolitik noch mal zurück, Herr Todenhöfer. Die AfD hat mit ihrem Wahlkampf gegen die Corona-Maßnahmen und gegen die Impfung bislang in diesem Jahr wenig Glück gehabt und bei allen Wahlen zum Teil deutlich verloren. Wird sie in letzter Minute doch noch mit einer Rückkehr zu einer aggressiven Anti-Islam-Linie von den Ereignissen in Afghanistan profitieren können?
Ja, das ist ja der Hauptvorwurf, den auch ich der AfD mache. Ich kritisiere in der Regel nicht AfD-Wähler, sondern die AfD als Partei, die im Grunde genommen mit Islamfeindlichkeit Propaganda macht und das ist eine ganz schlimme, und ich gehe davon aus, das werden sie machen im Zusammenhang mit Afghanistan und mit den Taliban. Die Taliban sind ja nun wirklich nicht die freundlichsten Zeitgenossen. Es sind Krieger in Sandalen und Motorrädern, die gerade eine Weltmacht vertrieben haben mit Flugzeugen und Raketen. Sie entsprechen nicht unserem kulturellen Verständnis. Da kann man leicht Propaganda machen. Es gibt auch Gründe, warum man die Taliban heftig kritisieren kann, vor allem wegen ihrer damaligen Regierungszeit und wegen ihres Verhältnisses zu Frauen und der Rolle, die sie Frauen zugedacht haben. Da haben die Kritiker recht. Aber es ist keine Kritik am Islam oder keine berechtigte Kritik am Islam.
Bei den Taliban gibt es Gemäßigte und Radikale, wie der sozialdemokratische Ministerpräsident Kurt Beck mal gesagt hat. Und es ist so. Ich habe selbst mit Gemäßigten gesprochen, ich weiß auch, dass es Radikale gibt. Ich habe mit dem Geheimdienstchef von Pakistan, einem ganz berühmten Mann, Hamid Gul, gesprochen. Mehrfach. Bei einem dieser Gespräche, es war das letzte, bevor er starb, habe ich ihn gefragt: Wie kann es sein, dass Sie immer wieder verständnisvolle Worte für Bombenattentate finden, bei denen auch Zivilpersonen sterben, vor allem durch die pakistanischen Taliban? Es gibt ja afghanische Taliban und pakistanische Taliban. Und dann sagte er: „Was Sie im Westen alle nicht verstehen, ist: Als der Islam zu uns, zu den Paschtunen kam, hatten wir unsere eigene patriarchalische Kultur und wir haben nie darauf verzichtet. Wir haben nie erklärt, dass wir unsere patriarchalische, sie würden vielleicht jetzt sagen Steinzeitkultur, aufgeben. Wir haben gesagt, wir behalten die bei, wir übernehmen den Koran, wir nehmen den Islam, aber Teile, die zentralen Teile unseres patriarchalischen Denkens, geben wir nicht auf. Und das verstehen viele nicht, dass vieles, was in der Welt geschieht, nicht mit der Religion zu tun hat, sondern mit den patriarchalischen Verhältnissen, die schon lange vorher vorhanden waren und die übrigens auch in christlichen Ländern vorhanden sind. Zum Beispiel gibt es Ehrenmorde auch in Venezuela und die haben mit dem Christentum nichts zu tun. Und diese Erlaubnis, dieses Denken, dass man Ehrenmorde machen dürfe, was man natürlich nicht darf, stammt aus patriarchalischen Zeiten, bevor das Christentum in Venezuela eine Rolle spielte.“ Und ähnliches gilt nach Aussagen dieses Geheimdienstchefs, der zu den bekanntesten Akteuren in den Kriegen gegen die Sowjets gehörte und wahrscheinlich auch später gegen die Amerikaner, auch in anderen Kontexten: Vergesst nicht, es gibt nicht nur die islamische Kultur, sondern es gab eine Kultur vorher und die kennt Ihr nicht.
Im Wahlkampfprogramm sprechen Sie von besseren Beziehungen und Wandel durch Annäherung gegenüber Russland und der Türkei. Wie könnte sich das in Bezug auf die Türkei konkret gestalten, Herr Todenhöfer? Das ist ein weites Feld. Entscheidend ist, dass man das will. Wir haben der Türkei einen EU-Beitritt versprochen vor Jahrzehnten. Und haben sie dann immer wieder ausmanövriert und ausgetrickst und es findet eine richtige Kampagne sowohl gegen Russland als auch gegen die Türkei statt. Und dabei wird vergessen, dass die Türkei für uns ganz am Rande ein ganz wichtiger Nato-Partner ist. Strategisch, geostrategisch ein ganz wichtiger Nato-Partner, der uns eine ganze Front hält, und es wird einfach so getan, als sei das normal und das war immer so und müsse immer so bleiben. Und das Zweite ist die Rolle, die die Türkei in der Flüchtlingsfrage spielt. Ich weiß nicht, ob die Zahlen sich jetzt in den letzten Monaten geändert haben, aber in der Türkei gibt es in Flüchtlingslagern 3,7 Millionen Syrer, etwas in dieser Größenordnung. Das ist ein Problem, das die Türken für uns lösen. Und das ist ein Problem, das auch für die Türken schwer zu lösen ist. Auch in der Türkei gibt es Proteste gegen Flüchtlinge und gegen das Geld, was es kostet und die Probleme, die das schafft. Das wird alles verdrängt. Und ich sage, wir sollten zu diesem Partner, der militärisch eine große Rolle spielt, der in der Flüchtlingsfrage eine große Rolle spielt und der historisch auch immer eine große deutschfreundliche Rolle gespielt hat, unser Verhältnis überdenken und wir sollten eine strategische Partnerschaft daraus entwickeln. Und strategische Partnerschaft Schritt für Schritt heißt nicht, dass man bei allem sagt „Toll, wie er das macht und toll, wie er mit politischen Gegnern und Journalisten umgeht“, sondern dass man im beiderseitigen Gespräch nach Lösungen sucht. Und das ist ein Wandel durch Annäherung. Wandel durch Beschimpfung funktioniert nicht. Ihre frühere Partei, die CDU, ist den Umfragen zufolge auf nur noch knapp über 20 Prozent abgestürzt. Ist es angemessen, Armin Laschet dafür zum Sündenbock zu stempeln? Oder sitzt das Problem deutlich tiefer? Ich kenne Armin Laschet persönlich. Ich habe ihn als sympathischen Mann kennengelernt, als klugen, sympathischen Mann. Ich kritisiere seine Politik. Grundsätzlich, Außenpolitik, Wirtschaft sowie ganz viele Punkte könnte ich nennen. Das Problem der CDU heißt nicht Armin Laschet, Armin Laschet ist die typische CDU. Eben nicht mehr bereit zu großen Schritt nach vorne. Die CDU hat mal Deutschland wiederaufgebaut, das Wirtschaftswunder geschaffen, die soziale Marktwirtschaft eingeführt, das heißt, sie hat das als eine kühne Partei in den Anfangsjahren. Und aus dieser kühnen Partei ist eine verschlafene, müde, ganz wenig innovative Partei geworden, die dann solche Kandidaten hat wie Armin Laschet. Armin Laschet ist typisch für die CDU: sympathisch, aber viel zu wenig innovativ. Und dann ist für ihn natürlich schwierig, dieser Dauerkrieg, dass er sich ständig umdrehen muss, ob ihm der Söder nicht gerade wieder in den Rücken tritt. Von den drei Kandidaten Laschet, Baerbock und Scholz ist er bestimmt nicht der Schlechteste. Aber wir haben einen besseren. Vielen Dank für das Gespräch!