Archivbild. 09.08.2021, Berlin: Tino Chrupalla, AfD-Parteivorsitzender, nimmt an einer Pressekonferenz teil. (dpa)
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von Till C. Waldauer

Am kommenden Wochenende wird die rechtspopulistische AfD ihren im Herbst des Vorjahres wegen der Corona-Lage verschobenen Bundesparteitag im sächsischen Riesa abhalten – und das in einer Situation, in der sich auch unter Delegierten und Funktionären langsam Krisenstimmung breitmacht. Seit 2021 hat die Partei bei allen Landtagswahlen und der Bundestagswahl Stimmenverluste hinnehmen müssen – sowohl im Westen als auch im Osten. In Schleswig-Holstein flog sie sogar aus dem Landtag.

Bis Sonntagabend galten Thüringen und Sachsen als die verhältnismäßig stabilsten Landesverbände. Doch bei den Bürgermeister- und Landratswahlen blieb die Partei auch in Sachsen deutlich unter ihren Erwartungen. In keinem einzigen Landkreis kam die AfD auch nur in die Nähe eines Landratspostens – selbst Sebastian Wippel, der in der Stadt Görlitz 2019 in die Stichwahl um das Amt des OB gekommen war, liegt bereits nach dem ersten Wahlgang mehr als zehn Prozent hinter dem führenden CDU-Kandidaten.

Nur 14,2 Prozent in der „Pegida-Hauptstadt“

Auch in den anderen als Hoffnungsgebiet ausgegebenen Landkreisen wie Bautzen oder Mittelsachsen blieben die AfD-Kandidaten chancenlos. Im Vogtlandkreis liegt der frühere DSU-Langzeitchef Roberto Rink fast 20 Prozent zurück, im Erzgebirgskreis verhinderte die Konkurrenzkandidatur der rechtsextremen „Freien Sachsen“ eine mögliche relative Mehrheit für AfD-Starter Torsten Gahler nach der ersten Runde.

Bei den Wahlen zu Oberbürgermeistern oder Bürgermeistern konnte die AfD dort, wo sie angetreten war, ebenfalls mit keinem Kandidaten nennenswerte Erfolge feiern. Besonders bitter ist die Lage für den Europaabgeordneten Maximilian Krah, der sich um den Posten des OB in der Landeshauptstadt Dresden beworben hatte.

Seine lediglich 14,2 Prozent, mit denen er auf dem vierten Platz landete, stellen nicht nur eine Belastung für eine mögliche Bundesvorstands-Kandidatur dar. Sein am Sonntagabend verkündeter Entschluss, trotz der aussichtslosen Lage auch im zweiten Wahlgang im Rennen bleiben zu wollen, wird auch im eigenen Lager scharf kritisiert. Der Grund: Ein Verbleib im zweiten Wahlgang könnte dazu führen, dass seine Stimmen dem bürgerlichen Amtsinhaber Dirk Hilbert fehlen und eine grüne Oberbürgermeisterin in Sachsens Landeshauptstadt möglich machen.

Verluste der AfD deuteten sich auch in Ostdeutschland an

Dass die AfD auch in Ostdeutschland zunehmend an Boden verliert, hatte sich angedeutet. Im Vorjahr büßte die Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 50.000 Zweitstimmen und 3,5 Prozentpunkte gegenüber 2016 ein. In Mecklenburg-Vorpommern verlor sie im Herbst etwa 15.000 Stimmen und vier Prozent. Nur der Umstand, dass am selben Tag die Bundestagswahlen stattfanden und die Wahlbeteiligung noch höher war, dürfte einen noch größeren Stimmenverlust verhindert haben.

Bei der Bundestagswahl freuten sich Teile der Partei zwar darüber, in Thüringen und Sachsen stärkste Partei geworden zu sein. Aber auch dort lag dies in Sachsen in erster Linie daran, dass die Verluste der CDU deutlich höher waren als die der Rechtspopulisten. Einen tatsächlichen Stimmengewinn hatte die AfD lediglich in Thüringen mit einem Plus von knapp 10.000 Stimmen und 1,3 Prozent.

Das lauteste Alarmsignal brachte jedoch die Oberbürgermeisterwahl am 24. April in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg. Der von der AfD nominierte – zuvor wegen antisemitischer Aussagen aus der Partei ausgeschlossene – Kandidat Frank Pasemann kam in ersten Durchgang lediglich auf fünf Prozent.

Wie weit wird Höcke sich nach vorn wagen?

Auf dem bevorstehenden Bundesparteitag könnte es nun zu einem Showdown zwischen Vertretern unterschiedlicher Strömungen in der Partei kommen – und in weiterer Folge entweder zu einem weiteren Patt oder zu einer klaren Richtungsentscheidung mit Massenaustritten aufseiten der Unterlegenen.

Anhänger des aufgelösten „Flügels“, der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird, wittern erstmals die Chance, ihr Aushängeschild, den Thüringer Landtags-Fraktionschef Björn Höcke, im Bundesvorstand zu verankern. Einen Testballon soll dessen Antrag darstellen, die AfD künftig nur noch von einer Person führen zu lassen statt von einer Doppelspitze.

Sollte dieser eine ausreichend hohe Unterstützung finden, wäre davon auszugehen, dass Höcke erstmals für einen Posten im Bundesvorstand kandidiert. Dies hatte er aus strategischen Gründen bislang vermieden, weil die mitgliederstärkeren West-Landesverbände eine deutliche Mehrheit der Delegierten stellen. Eine gescheiterte Kandidatur – wie jene des früheren Höcke-Vertrauten André Poggenburg im Jahr 2017 – hätte den Mythos Höcke innerhalb der Partei beschädigt. Deshalb bewarb dieser sich bislang nie auf einem Parteitag für Bundesfunktionen.

Parteisprecher Chrupalla unter Druck

Gleichzeitig wollen jene Kräfte in der Partei, die sich um eine Akzeptanz der Partei im westdeutschen Bürgertum und eine Annäherung an Union und FDP bemühen, nicht nur den „Flügel“ in die Schranken weisen, sondern auch den nach dem Parteiaustritt von Jörg Meuthen einzig verbliebenen Bundessprecher Tino Chrupalla entmachten.

Zu diesen gehören der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter und der Europaabgeordnete Nicolaus Fest. Zu den wesentlichen Anliegen der Genannten würde eine 180-Grad-Wende in der Außenpolitik gehören: An die Stelle der eher russlandfreundlichen Positionen der meisten heutigen führenden AfD-Politiker sollten ihnen zufolge ein Bruch mit Moskau und eine uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine treten. Auf diese Weise verspricht man sich ein Ende der politischen Ausgrenzung im westlich orientierten Bürgertum.

Wenig gemäßigte Töne von „Gemäßigten“

Die Selbststilisierung von Kleinwächter und Fest zu „Gemäßigten“ ändert jedoch nichts an ihrer Affinität zu antimuslimischem Rassismus und ihrem Fremdenhass. Kleinwächter verwendet in sozialen Medien für Geflüchtete den in rechtsextremen Kreisen verbreiteten höhnischen Ausdruck „Goldstücke“. Ebenso sieht er sich dort mehrfach genötigt, zu unterstreichen, dass aus seiner Sicht „der Islam nicht zu Deutschland gehört“, und fordert ein Kopftuchverbot bis zum 14. Lebensjahr.

Fest pflegt seinen Hass auf den Islam seit Jahr und Tag sogar noch deutlicher zu artikulieren. Im Jahr 2014 polterte er in „Bild“, dieser sei ein „Integrationshindernis“ und Muslime zeigten eine „totschlagbereite Verachtung“ für Frauen und Homosexuelle. Zwei Jahre später hatte er seine Rhetorik noch weiter radikalisiert und bezeichnete den Islam als „eine totalitäre Bewegung, die mit dem Nationalsozialismus vergleichbar und nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar“ sei. Im März 2017 gab er gegenüber dem Tagesspiegel an, dass er nicht nur einige, sondern alle Moscheen schließen lassen wolle.

Der vermeintlich „gemäßigte“ und „bürgerliche“ Fest bezeichnete zudem infolge der Anwerbeabkommen eingewanderte Arbeiter als „Gesindel“. Am Tag des Todes des Präsidenten des Europäischen Parlaments David Sassoli im Januar 2022 kommentierte er in einem internen Gruppenchat: „Endlich ist dieses Dreckschwein weg.“

Ob Töne wie diese künftig wieder mehr Wähler von der AfD überzeugen können, ist ungewiss. Selbst in Sachsen, wo sie lange Zeit ihre besten Ergebnisse erzielen konnte, lässt der Zuspruch nach. Dass konservative Kräfte, die ohne rassistische und aggressive Rhetorik auskommen, Erfolg haben können, zeigte hingegen die Wiederwahl des aus der CDU ausgetretenen Oberbürgermeisters von Freital, Uwe Rumberg, der als Kandidat der „Konservativen Mitte“ mit 60,8 Prozent in seinem Amt bestätigt wurde.

TRT Deutsch