Im sonst so vereint erscheinenden Betriebsrat von Volkswagen deutet sich ein möglicher Konflikt über den Kurs der neuen Vorsitzenden Daniela Cavallo an. Wenige Monate vor den nächsten Wahlen für die Belegschaftsvertretung im Frühjahr 2022 will eine Gruppe gegen die tonangebende Fraktion der IG Metall antreten. Die Gründer der Liste „Wir für Euch“ wandten sich am Mittwoch auch an die VW-Hauptaktionäre der Familien Porsche/Piëch sowie an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). In einem Brief äußerten sie scharfe Kritik an der Haltung der Betriebsratsführung. Außerdem gab es - eher ungewöhnlich - lobende Worte für den ebenso umstrittenen Konzernchef Herbert Diess.
In dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorlag, greifen die Betriebsräte Norbert Lem und Michael Maginski die Spitze der Arbeitnehmerbank um Cavallo scharf an. Man wolle die Großeigentümer „aus gegebenem Anlass“ darauf aufmerksam machen, dass man den „rufschädigenden und aktienkursbeeinflussenden Irrweg des aktuellen Betriebsrates nicht mehr mittragen“ könne. Demnach werde der Eindruck erweckt, die Kolleginnen und Kollegen stünden überwiegend nicht mehr hinter Diess - das sei „in weiten Teilen negativ konstruiert“.
Lem sagte der dpa, offensichtlich wollten gewisse Kreise den VW-Chef so rasch wie möglich abgelöst sehen. „Aber der Rückhalt für Diess ist auch bei vielen Mitarbeitern durchaus hoch, und viele finden seinen Kurs richtig.“ Die Kritik an ihm werde allzu pauschal dargestellt.
Nach Spekulation über Stellenabbau Diess unter Beschuss
Diess ist vonseiten der Betriebsratsführung erneut unter Beschuss, seitdem er im September über umfangreichen Stellenabbau spekulierte. Besonders verärgert gab sich Cavallo allerdings darüber, dass der Vorstandsvorsitzende schon zuvor - an der Belegschaftsvertretung vorbei - Sparvorschläge von anderen Managern eingeholt haben soll.
In einer Betriebsversammlung, die Diess zunächst nicht besuchen wollte, attackierte sie ihn gerade vor Zehntausenden Beschäftigten. Auch SPD-Regierungschef Weil, der für das Land Niedersachsen die Kapitalseite im Aufsichtsrat mit vertritt, aber tendenziell mit den Arbeitnehmern abstimmt, deutete seine Unzufriedenheit an. Es gebe bei Volkswagen eine große „Verunsicherung, die überall um sich greift“.
Laut den „Wir für Euch“-Gründern soll der Betriebsrat auch unter Cavallos Vorgänger Bernd Osterloh indes nicht immer so klar für die Belange des VW-Stammwerks eingetreten sein, wie er das öffentlich darstellte. So sei in der Auseinandersetzung über ein Elektromodell für den Hauptsitz nicht allein das Management Schuld daran gewesen, dass etwa die ID-Baureihe zunächst im sächsischen Zwickau angesiedelt wurde. Die Entscheidung gegen ein E-Auto für Wolfsburg sei letztlich „durch den Betriebsrat getroffen worden“, behaupten Lem und Maginski.
Aus der aktuell amtierenden Mitarbeitervertretung hieß es, dieser Vorwurf sei nicht zu halten. Es habe sich damals primär um die Frage gedreht, ob VW seine ersten E-Fahrzeuge im Volumensegment überhaupt in Deutschland starten lassen könne. Zwickau sei ein Kompromiss gewesen, für den sich der Betriebsrat klar eingesetzt habe.
2026 soll in Wolfsburg das zentrale Elektro-Projekt Trinity anlaufen - voraussichtlich in einer neuen Fabrik. In ihrer Rede bei der letzten Betriebsversammlung betonte Cavallo: „Wir hatten ein Elektromodell für Wolfsburg vereinbart, dann sollten die E-Modelle jedoch an einem Standort, nämlich in Bratislava, gebündelt werden. Damit die Arbeitsplätze in Deutschland bleiben, haben wir als Betriebsrat durchgesetzt, dass die Produktion in Zwickau konzentriert wird.“
Neue Betriebsratswahl steht an
Im Frühling werden bei VW neue Betriebsräte gewählt. Die IG Metall dominiert traditionell, derzeit stellt sie 66 der 75 Mandatsträger. Daneben gibt es zwei kleinere Gruppen und einen Einzelkandidaten. Der Organisationsgrad der Gewerkschaft im Unternehmen ist sehr hoch. Zudem sitzt sie an entscheidenden Schaltstellen im VW-Aufsichtsrat.
Diess hatte nach einem früheren Machtkampf mit dem Betriebsrat im vorigen Jahr erklärt, „verkrustete Strukturen“ bei VW aufbrechen zu wollen. Er sei fest überzeugt, „dass uns die Transformation gelingen wird. Trotz der starken Unternehmenskultur von Volkswagen.“ Nach dem Antritt Cavallos im vergangenen Mai entspannte sich der Ton zwischenzeitlich etwas - bis zur erneuten Eskalation im September.
Die IG-Metall-Fraktion im Betriebsrat hat in der Vorbereitung der Wahlen drei Personen ausgeschlossen. Zu ihnen gehört Lem. Als Grund wurde angegeben, er habe sich nicht zur neuen Nominierung geäußert. Fraktionssprecher Jürgen Hildebrandt sah dies als Pflichtverletzung: „Die Chance, sich vor den Kolleginnen und Kollegen zu erklären, ließen alle drei ungenutzt. Ohne diese Ehrlichkeit und Offenheit gibt es keine Basis für eine weitere Zusammenarbeit.“
24 Nov. 2021
dpa
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