03.03.2022, Bayern, Essenbach: Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk (AKW) Isar 2. (dpa)
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Längere Laufzeiten für die noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland sind für das Wirtschafts- sowie Umweltministerium vom Tisch. Die beiden Häuser hatten mit Blick auf den Ukraine-Krieg und für den Fall eines Ausfalls russischer Energielieferungen geprüft, ob die Kraftwerke weiter genutzt werden sollten. Das Ergebnis: Längere Laufzeiten seien weder sinnvoll noch vertretbar, sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Dienstag. „Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen.“
In einem gemeinsamen Prüfvermerk des Wirtschafts- und Umweltministeriums heißt es: „Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken ist eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen.“ Eine Verlängerung könnte nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Lösung des Problems leisten, und dies zu sehr hohen wirtschaftlichen Kosten. Der Staat müsste in großem Umfang Risiken übernehmen. Dies stehe in keinem Verhältnis.
Lemke sagte, auch aus Sicherheitsgründen wäre die Laufzeit-Verlängerung für eine Hochrisikotechnologie nicht verantwortbar. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sagte im RTL/ntv „Frühstart“ auf die Frage, ob längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke vom Tisch seien: „Das würde ich sagen: ja.“ Für den nächsten Winter würden längere Laufzeiten nicht helfen: „Und für den langfristigen Bereich nur dann, wenn wir bereit sind, massive Sicherheitsabstriche zu machen.“
Bayern forderte Laufzeitverlängerung
Zuvor hatte etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert, zur Sicherheit der Energieversorgung angesichts des Kriegs in der Ukraine die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern. Der beschleunigte Atomausstieg wurde 2011 gesetzlich beschlossen. Als letzte Meiler abgeschaltet werden nach dem Atomgesetz spätestens am 31. Dezember die Kraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2.
Der Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König, sagte: „Wir erleben gerade, wie ein Krieg mit konventionellen Waffen gegen Atomanlagen die zivile Nutzung der Kernenergie in eine bislang kaum vorstellbare Risikolage für Mensch und Umwelt bringen kann.“ Das Abschalten der Reaktoren und damit die Mengenbegrenzung der Abfälle hätten den Weg zu einem sicheren Endlager geebnet und die nukleare Sicherheit in Deutschland erheblich verbessert: „Eine Laufzeitverlängerung für wenige Reaktoren mit sehr begrenztem Anteil der Stromversorgung würde dies gefährden.“
Dem Vermerk der Bundesministerin zufolge wären für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke eine Änderung des Atomgesetzes notwendig und eine Zuteilung neuer Strommengen. Eine Verlängerung würde im Winter 2022/2023 aber keine zusätzlichen Strommengen bringen, sondern frühestens ab Herbst 2023 nach erneuter Befüllung mit neu hergestellten Brennstäben.
Betreiber weisen auf logistische Probleme hin
Auf dieses Problem wiesen auch die Betreiber hin. Eine Sprecherin von PreussenElektra, einer Eon-Tochterfirma und Betreiberin des Atomkraftwerks Isar 2, sagte der „Rheinischen Post“, frische Brennelemente könnten erst in gut 1,5 Jahren zur Verfügung stehen. Zudem müssten sich die Konzerne dann wohl neue Uran-Lieferanten suchen. „In den letzten Betriebsjahren unserer Kraftwerke haben wir das für die Brennelemente benötigte Uran aus Kasachstan und Russland sowie in geringen Mengen aus Kanada bezogen.“
Im Vermerk der Ministerien heißt es weiter, die verbliebenen Kernkraftwerke leisteten einen „begrenzten Beitrag“ zur Stromversorgung. Vielmehr müsse es jetzt darum gehen, die Importabhängigkeit von Russland zu verringern und den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, so die Ministerien. Die Bundesregierung treffe bereits seit Wochen intensive Vorkehrungen, damit die Gasspeicher gefüllt und Reserven an Kohle angelegt werden.
„Wir brauchen keine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, um die Energieversorgung zu sichern“, sagte die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Atomkraftwerke liefern ausschließlich Strom, derzeit etwa sechs Prozent der gesamten Strommenge. Diesen Anteil können wir problemlos mit erneuerbaren Energien herstellen.“ Eine Verlängerung der Laufzeiten würde das Sicherheitsrisiko erhöhen, mehr Atommüll verursachen, und es würde mehr Uran - auch aus Russland - benötigt.

dpa