Armenische Freischärler in Ostanatolien (AA)
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Der 24. April wird in Armenien selbst, in der armenischen Diaspora und in Staaten wie Frankreich als angeblicher „Genozid“-Gedenktag begangen. Für Armeniens Regierung und Lobbygruppen aus der Diaspora bietet der Jahrestag regelmäßig Anlass, die Türkei mit heftigen Vorwürfen zu bedenken. Die türkische Regierung weist diese Anschuldigungen im Zusammenhang mit den Ereignissen in den Weltkriegsjahren 1915 und 1916 kategorisch zurück.

Die Türkei werde „weiterhin die Wahrheit gegen diejenigen verteidigen, die Verleumdungen unterstützen“, kommentierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dieses in diesem Jahr erneut vorgebrachte Ansinnen am Donnerstag.

Bricht Biden mit der bisherigen Praxis sämtlicher US-Präsidenten?

Präsident Erdoğans Bemerkungen erfolgten vor dem Hintergrund, dass sich in diesem Jahr auch der neue US-Präsident Joe Biden auf das Narrativ Armeniens einlassen könnte. Biden soll Medienberichten zufolge die Anerkennung der Ereignisse von 1915 als „Völkermord“ planen.

Die Vereinigten Staaten und ihre Präsidenten haben es bislang konsequent vermieden, das Wort „Genozid“ zu verwenden. Als Präsidentschaftskandidat hatte Biden im Vorjahr hingegen geäußert, im Falle seiner Wahl zum Präsidenten dem Druck armenischer Lobbygruppen nachzugeben. Damals äußerte er: „Ich verspreche, eine Resolution zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern zu unterstützen und werde die universellen Menschenrechte zu einer Top-Priorität für meine Regierung machen.“

Die Türkei wehre sich gegen die „einseitige Darstellung dieser Tragödie als Völkermord einer Gruppe gegen eine andere“, kommentierte das türkische Außenministerium den Sachverhalt ähnlich wie bereits in den Jahren zuvor. Nach Ansicht der Türkei wird die Armenier-Frage in zynischer Weise instrumentalisiert, um einseitigen politischen Druck auf den eigenen Nato-Partner aufzubauen. Ein solcher Schritt würde die Beziehungen zur Türkei weiter verschlechtern, betont das Außenministerium in Ankara. Man werde diese Begriffsbildung auch weiterhin nicht akzeptieren.

Anders als Armenien, das mit seiner Kampagne die Weltgemeinschaft vor vollendete Tatsachen stellen möchte und dabei kritische Fragen untersagt, will die Türkei im Sinne der Wahrheitsfindung das letzte Wort den Historikern und nicht den Politikern überlassen.

Ankara hat wiederholt den Einsatz einer gemeinsamen Kommission aus Historikern aus der Türkei und Armenien sowie internationalen Experten zur Untersuchung der Frage vorgeschlagen.

Dabei gehe es der Türkei nicht um eine „Leugnung“ irgendeines Leids oder tatsächlich begangener Untaten, wie von offizieller armenischer Seite gerne behauptet wird. Man wehre sich nur gegen einseitige und selektive Darstellungen. „Die letzten Jahre des Osmanischen Reiches waren eine tragische Zeit für die Menschen, die das Reich bildeten. Türken, Armenier und viele andere haben unermesslich gelitten“, bezieht das Außenamt der Türkischen Republik Stellung.

Im Dienste Russlands: Armenier starten Guerillakrieg in Ostanatolien

Die Türkei vertritt bezüglich der Ereignisse von 1915 den Standpunkt, dass Armenier in Ostanatolien ums Leben kamen, nachdem sich einige von ihnen auf die Seite der einfallenden Russen gestellt und in Form bewaffneter Aufstände revoltiert hatten. Eine spätere Umsiedlung von Armeniern führte zu weiteren Opfern. Dabei verweist die Türkei auf verfügbare Archivdokumente und die akademische Forschung - mit dem Hinweis auf die Dynamik der Großmachtrivalitäten in Europa Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.

Im Widerspruch zum gängigen Narrativ einer angeblich wehrlos dahingemetzelten unschuldigen Zivilbevölkerung zeichnen Frontberichte ein gänzlich divergierendes Bild von der Realität. Tatsächlich organisierten sich armenische Milizen und Freischärler in einer Allianz mit der russischen Zarenarmee während des Ersten Weltkrieges gegen das Osmanische Reich. Diese Allianz wollte durch einen Feldzug weite Landstriche Ostanatoliens militärisch unter ihren Einfluss bringen.

Um die osmanische Rückfront zu zersetzen, während russische Truppen zeitgleich vorrückten, griffen armenische Freischärler regelmäßig türkische Dörfer in Ostanatolien an. Einer dieser Milizionäre, der von Armenien als Held verklärt wurde, war Murad Khrimian, auch als Murad Hagopian bekannt. Mit Hit-and-Run-Angriffen spielte Hagopian bereits bei gewaltsamen Aufständen im Jahr 1904 in Sason, heute in der türkischen Provinz Batman gelegen, eine entscheidende Rolle. Im Jahr 1915 verschanzte sich Hagopian im Zuge des Weltkriegsgeschehens zunächst in der osmanischen Provinz Sivas, von wo aus er mit seiner Truppe immer wieder Angriffe startete.

Lokale armenische Bewohner, die seine Bestrebungen ablehnten, reagierten auf ihre Weise. Sie sollen im weiteren Verlauf die osmanischen Autoritäten über die Unterkunft von Hagopian informiert haben. 1916 floh dieser ins russische Lager nach Batumi und führte von dort aus erneut Kampfverbände in Erzincan in den Krieg – bis er schließlich 1918 bei Kämpfen in Baku starb.

Solche und zahlreiche weitere Operationen von armenischen Freischärlern, die von Russland, dem Kriegsgegner des Osmanischen Reiches, unterstützt wurden, bildeten das Hauptmotiv für eine Umsiedlung von Teilen der armenischen Bevölkerung.

Aussagen eines armenischen Ministerpräsidenten

Im Jahr 1923 räumte Howhannes Katschasnuni, der erste Ministerpräsident der im Mai 1918 gegründeten Demokratischen Republik Armenien, hinsichtlich der Beziehungen zum Osmanischen Reich eigene Fehler ein.

In seinem „Bericht zur Parteikonferenz 1923“ soll Katschasnuni berichtet haben: „Im Herbst 1914 organisierten sich armenische Freiwilligenverbände und kämpften gegen die Türken. [...] Wir hatten keinen Zweifel daran, dass der Krieg mit dem vollständigen Sieg der Alliierten enden würde; die Türkei würde besiegt und zerstückelt werden.“ In der aus dem Armenischen übersetzten russischen Publikation des Buches „Für die Daschnakzutjun gibt es nichts mehr zu tun“ soll Katschasnuni zudem geschrieben haben: „Als an unseren Grenzen Militäroperationen begannen, boten die Türken an, sich mit uns zu treffen, um Verhandlungen aufzunehmen. Wir haben ihren Vorschlag abgelehnt. Es war ein großer Fehler.“

Stattdessen sei der Entschluss zum Angriff auf die Integrität des Osmanischen Reiches schon vor dessen Kriegseintritt gefallen. In Katschasnunis Aufzeichnungen heißt es dazu: „Zu Beginn des Herbstes 1914, als die Türkei noch nicht in den Krieg eingetreten war, [...] begannen sich in Transkaukasien mit großer Begeisterung und vor allem mit viel Aufruhr armenische revolutionäre Einheiten zu bilden.“

Aufzeichnungen von Katschasnuni unterliegen in Armenien bis heute der Zensur

Bemerkenswert ist: Bereits seit April 1923 soll dieser Bericht in Armenien unter Verschluss gehalten werden. Auch die Veröffentlichung der literarisierten Version des Berichts sei in Armenien verboten – schließlich widerspricht das Werk in mehreren Bereichen dem gewünschten Narrativ. Katschasnuni fiel Stalins „Großem Terror“ zum Opfer und wurde 1938 getötet.

Die Phänomene der Vertreibung und Ermordung von Menschen während der Zeit des Ersten Weltkrieges und bereits zuvor im Osmanischen Reich und in angrenzenden Ländern dürfen nach Ansicht türkischer Historiker nicht auf eine Minderheit reduziert werden. Auch Millionen von osmanischen Muslimen kamen im Kaukasus und auf dem Balkan von 1865 bis 1922 ums Leben.

Nichtsdestotrotz unterstrich Präsident Erdoğan bereits im Jahr 2020: „Ich erinnere mich mit Respekt an die osmanischen Armenier, die unter den schwierigen Bedingungen des Ersten Weltkriegs ihr Leben verloren haben, der den Menschen überall auf der Welt unermessliches Leid gebracht hat."

TRT Deutsch