Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft am Freitag mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu bilateralen Gesprächen zusammen. Unter anderem nimmt sie an der Einweihung des neuen Campus der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul teil.
Im Anschluss an das Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos reist die Bundeskanzlerin laut Angaben des Regierungssprechers Steffen Seibert in die türkische Metropolstadt Istanbul. Ganz oben auf der Agenda des bilateralen Austauschs befindet sich die europäische Flüchtlingspolitik. Dabei stehen die Konflikte in Syrien, vor allem das Schicksal der Oppositionshochburg Idlib, und Libyen im Fokus. In beiden Konfliktregionen ist die Türkei als bedeutender Akteur involviert.
Deutsche Medien nehmen an, dass sich die türkisch-deutschen Beziehungen um eine neue Syrien-Konferenz drehen könnten, die dazu beitragen soll, das Bürgerkriegsland zu befrieden. Eine solche Konferenz wurde für Februar angedacht.
Hintergrund für die Gespräche über das Flüchtlingsabkommen dürften steigende Flüchtlingszahlen sein. Seit dem Flüchtlingsabkommen im März 2016 ist die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die sich auf dem Weg nach Europa machen, deutlich abgeflaut. In den letzten Monaten verzeichnete die EU jedoch deutlich höhere Ankunftszahlen von Flüchtlingen auf den Ägäis-Inseln Griechenlands. Im Gegenzug für die türkische Unterstützung in der Flüchtlingsfrage verpflichtete sich die EU zu Hilfsgeldern, der Visa-Erleichterung für türkische Bürger und die Modernisierung der Zollunion.
Çavuşoğlu: EU umgeht Flüchtlingsabkommen
Vor dem Treffen zwischen Merkel und Erdoğan kritisierte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu im Interview mit der „Bild“ am Donnerstag die ambivalente Haltung der EU gegenüber Ankara. Demnach habe sich die Europäische Union nicht an die im Flüchtlingsabkommen zugesagten finanziellen Zuwendungen gehalten. Der türkische Diplomat hinterfragte:
„Wir halten uns an das Abkommen und nehmen alle Flüchtlinge zurück, die zurückgeschickt werden. Was ist mit der EU?“
Laut dem geschlossenen Flüchtlingsabkommen hätte die EU ab 2016 bis zu sechs Milliarden Euro an die Türkei für ihre humanitäre Initiative überweisen müssen, was sie nicht tat. Der türkische Außenminister sagte:
„Jetzt haben wir 2020, und wir haben noch immer nicht die ersten drei Milliarden Euro vollständig erhalten.“
Auch in Hinsicht auf die versprochene Erweiterung der Zollunion fand Mevlüt Çavusoğlu im Gespräch mit der Bild klare Worte: „Es gab keine Erweiterung der Zollunion und auch kein neues Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen. Schon allein aus den Gründen hätten wir unsere Grenzen öffnen können. Wir hätten das Recht dazu, aber wir haben es nicht gemacht.“
Merkel unterstützt Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen
Vor der offiziellen Begrüßung durch den Präsidenten der Türkischen Republik begleitet Merkel ein Treffen von deutschen und türkischen Wirtschaftsvertretern. Unter diesem Vorzeichen kann der Arbeitsbesuch von Merkel als positives Zeichen bewertet werden.
Gegenüber TRT Deutsch kommentierte der Geschäftsführer der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer (AHK Türkei), Dr. Thilo Pahl, das anstehende Wirtschaftstreffen:
„Das Potenzial ist noch nicht voll ausgeschöpft. Die Politiker beider Länder sollten weiter im Gespräch über wirtschaftliche Themen bleiben. Die Zollunion mit der EU braucht eine Pflege von beiden Seiten. Dann gibt es auch Chancen für eine Weiterentwicklung - zum Vorteil Deutschlands und der Türkei.“
Neuer Uni-Campus stärkt Bildungsaustausch
Im Anschluss an die Wirtschaftskonsultationen wird Kanzlerin Merkel das türkische Staatsoberhaupt bei der Einweihungszeremonie eines neuen Campus der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul begleiten. Der Rektor der Universität, Prof. Dr. Halil Akkanat, erklärte auf Anfrage von TRT Deutsch:
„Unsere Universität hat sich zum Ziel gesetzt, die Erfahrungen der beiden Gesellschaften zu vereinbaren, um eine wahre Bildungs- und Forschungsanstalt zu sein. Von nun an wird sich die gegenseitige Unterstützung weiterentwickeln.“
„Die Eröffnung zeigt wie wichtig der Bildungs- und Forschungsaustausch der beiden Länder miteinander ist“, sagte Akkanat und fügte hinzu: „Dieser Austausch wird die sozioökonomischen und technischen Beziehungen verstärken.“
„Sei es in unserem Land oder in Deutschland, jegliche Investitionen sollten Bedürfnisse und Vorteile vor Augen halten“, mahnte der Rektor der Türkisch-Deutschen Universität. In Hinblick auf die jüngste Debatte in Deutschland über die mögliche Eröffnung von türkischen Schulen in der Bundesrepublik meint Akkanat: „Schulen, Universitäten, Bildungs- und Forschungseinrichtungen in Deutschland werden beiden Ländern zu Gute kommen.“
Der neue Universitätscampus der TDU, die im Jahre 2010 gegründet wurde, um die akademischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland zu stärken, wurde auf einer Fläche von 120.000 Quadratmetern errichtet.