Nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie plädiert Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, Europa mehr Macht in Gesundheitsfragen zu übertragen. Falls nötig müssten dafür auch die EU-Verträge geändert werden, sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch in einer Online-Diskussion der Europäischen Volkspartei zur Zukunft Europas. „Ich glaube, dass Europa im Bereich Gesundheit mehr Kompetenzen braucht“, sagte Merkel. „Wahrscheinlich muss man dazu auch die Verträge ändern. Ich war immer offen für Vertragsänderungen, wenn sie einen Sinn machen. Das ist kein Selbstzweck.“ Die Kanzlerin verteidigte zugleich nochmals die Beschaffung von Corona-Impfstoff über Brüssel. Sicher seien auch Fehler gemacht worden, aber: „Also, es ist echt nicht alles schief gelaufen“, sagte Merkel.
Konferenz zur Zukunft Europas
Die Kanzlerin äußerte sich auch in einem Gespräch mit dem CSU-Europapolitiker Manfred Weber im Vorfeld der Konferenz zur Zukunft Europas am 9. Mai. Weber plädierte für weitergehende Reformen, um die EU schneller, effizienter und bürgerfreundlicher zu machen. Immer, wenn die EU-Staaten einstimmig entscheiden müssten - wie in der Außen- und der Steuerpolitik -, „dort versagt Europa“, sagte Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. „Ich bin nicht mehr bereit, dass ich da auf den langsamsten warte.“ In einem Interview hatte Weber zuvor bereits dafür plädiert, das Amt eines „wirklichen EU-Außenministers“ zu schaffen und die beiden Präsidentenämter an der EU-Spitze - Kommissionspräsident und Ratspräsident - zu vereinen. „Europa braucht ein Gesicht in der Welt und muss mit einer Stimme sprechen“, meinte Weber. Hier zeigte sich Merkel jedoch viel zurückhaltender. Auch die Änderung der EU-Verträge erfordere Einstimmigkeit der Mitgliedsstaaten - diese hätten das Verfahren in der Hand. Um öfter mit Mehrheit statt einstimmig in der Außenpolitik entscheiden zu können, „muss man nachdenken, was man tun könnte“.
Grünen geht Merkels Europapolitik nicht weit genug
Sie verwies auf ihren Vorschlag eines kleinen, rasch handlungsfähigen EU-Sicherheitsrats. „Aber da muss man sicherlich mit Augenmaß vorgehen, sonst führt das sehr schnell dazu, dass man Europa auseinander sprengt“, sagte Merkel. Nötig sei Fingerspitzengefühl.
Die Konferenz zur Zukunft Europas soll bis Anfang 2022 EU-Reformpläne ausarbeiten. Merkel plädierte dafür, die Bürger dabei nach konkreten Themen zu fragen, etwa der Gesundheitsversorgung. „Es sollte nicht so abgehoben sein, sondern durchaus konkret.“
Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund reagierte mit Kritik. „Auch auf den letzten Metern ihre Karriere schafft es die Bundeskanzlerin nicht, dem Projekt Europa einen Schub in die Zukunft zu geben“, sagte Freund. „Ihre ‚realistische und langsame EU-Politik mit Augenmaß' heißt eben auch, dass sie bei der Integration Europas seit anderthalb Jahrzehnten auf der Bremse steht.“