Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck ist gegen ein AfD-Verbotsverfahren. Auf die Frage, ob er dafür sei, ein solches anzustrengen, sagte der 84-Jährige den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Nein, überhaupt nicht. Mein Bauchgefühl würde der Partei das Verbot herzlich gönnen. Als Demokrat, der die offene Gesellschaft schätzt, regt es mich total auf, dass wir der Partei über die Parteienfinanzierung auch noch Mittel zuweisen müssen. Aber in der Politik darf man nicht nur fühlen.“
Gauck zeigte sich überzeugt, dass man mit einem Verbotsverfahren die Wählerschaft der Partei nicht abschaffen würde. „Vielmehr würden wir noch mehr Wut und noch mehr Radikalität erzeugen – und das wäre politisch schädlich.“ Nach Ansicht Gaucks würden verunsicherte konservative Bürger, die die AfD wählten, bei einem Verbot der Partei den Staat als Feind erleben.
Wichtige Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler bezweifelten zudem die Sinnhaftigkeit und den Erfolg eines Gangs nach Karlsruhe. „Wir sollten deshalb weniger auf staatliche Eingriffe setzen, sondern unsere eigenen Fähigkeiten, die Demokratie zu verteidigen, stärken“, sagte Gauck.
Grünen-Vorsitzender Nouripour für Verbotsverfahren
Grünen-Chef Omid Nouripour zeigte sich indes offen für ein AfD-Verbotsverfahren. „Alleine das, was an öffentlicher Beweislast gegen die AfD vorliegt, ist erdrückend groß. Eine wehrhafte Demokratie kann ihrer eigenen Zersetzung durch Antidemokraten nicht folgenlos zuschauen“, sagte er der „Welt“.
Er sei erst skeptisch gewesen, gerade mit Blick auf das Verfassungsgerichtsurteil zum NPD-Verbot, sagte Nouripour. Im Jahr 2017 hatte der Zweite Senat in Karlsruhe ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) abgelehnt, weil es keine Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele gebe.
Nouripour verwies auf die Vorgänge im Thüringer Landtag in der vergangenen Woche. Dort hatten ein Streit und eine teils chaotische erste Sitzung bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Besonders in der Kritik stand das Agieren des AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler. Der Fall landete vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates, der ein Machtwort sprach und Treutler klare Grenzen setzte. „Sobald die AfD auch nur ein bisschen Macht in den Händen hält, ist sie wild entschlossen, diese Macht gegen sämtliche demokratische Gepflogenheiten zu missbrauchen“, sagte der Grünen-Vorsitzende.
Ein Parteienverbot kann von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Der AfD müsste in dem Verfahren nachgewiesen werden, dass sie aggressiv kämpferisch gegen die Verfassung vorgeht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall.