10.04.2021, Sachsen, Dresden: Björn Höcke von der AfD gibt in der Dresdener Messehalle beim Bundesparteitag der AfD Interviews. Ein Thema ist der Beschluss des Wahlprogramms für die Bundestagswahl. (dpa)
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Für den Bundessprecher der AfD, Jörg Meuthen, wird die Luft in der Partei nach dem Bundesparteitag am Wochenende in Dresden zunehmend dünner. Zwar hat Meuthen im Parteivorstand noch eine Mehrheit. Die Delegierten haben ihm und sogar dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, bis dahin noch als Troubleshooter gefragt, auf dem zweitägigen Treffen jedoch die Grenzen ihres Einflusses aufgezeigt.

Eine Corona-Resolution, die fast 1:1 die Narrative von Demonstranten gegen die Pandemiemaßnahmen übernimmt, war vor allem ein Schuss vor den Bug von Meuthen. Dieser hatte sich auf einem Parteitag im Vorjahr deutlich von der Rhetorik sogenannter „Querdenker“
distanziert.

Gauland hatte sich wiederum persönlich dafür eingesetzt, auf die Aufnahme der Forderung nach einem Austritt aus der EU ins Bundestagswahlprogramm zu verzichten. Ohne
Erfolg: Mit großer Mehrheit stimmte die Versammlung für ein Ja zum „Dexit“.

In ihrem vor zwei Jahren verabschiedeten Programm für die Europawahl formulierten die AfD-Mitglieder ihre Haltung zu einem möglichen EU-Austritt noch vorsichtiger. Damals hieß es: „Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht in angemessener Zeit verwirklichen lassen, halten wir einen Austritt Deutschlands oder eine geordnete Auflösung der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig.“ Ein „Dexit“ wäre aus damaliger Sicht der AfD allerdings erst nach einer Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands möglich. Mittlerweile hält man einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die „Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ für „notwendig“.

Ob das der Partei nutzen wird, die in aktuellen Umfragen unter ihrem Wahlergebnis von 2017 liegt, bleibt abzuwarten. Vor vier Jahren war die AfD mit 12,6 Prozent der Stimmen erstmals in den Bundestag eingezogen. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verlor die Partei jeweils ein Drittel ihrer Stimmen. In ostdeutschen Bundesländern weisen Umfragen jedoch weiterhin hohen Zuspruch aus.

Auffällig war die aktive Rolle, die der Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke während der zweitägigen Veranstaltung in Dresden gespielt hat. Höcke, der sich bei früheren Parteitagen nur sporadisch zu Wort gemeldet hatte, warb für mehrere Anträge des rechtsnationalen Parteiflügels – mit einigem Erfolg.

Mehr Einschränkungen für Einwanderer, Muslime und Geflüchtete

Das dürfte auch den Verfassungsschutz interessieren. Der Inlandsgeheimdienst hat den von Höcke 2015 gegründeten und 2020 auf Druck des Parteivorstandes formal aufgelösten „Flügel“ der AfD als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Wie groß der Einfluss dieser Strömung auf den Kurs der Gesamtpartei ist, ist eine relevante Frage, wenn es um die anstehende Entscheidung geht, ob auch die gesamte AfD künftig mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden soll.

Bis dato galt in der AfD Kanada als Vorbild für eine kontrollierte Einwanderungspolitik. Höcke lobte in Dresden jedoch die restriktive Einwanderungspolitik von Japan, das bedingt durch seine Insellage kaum Einwanderung erlebt. Allerdings hat das Land im Gegenzug mit Überalterung und wirtschaftlicher Stagnation zu kämpfen.

Höcke erklärte auf dem Parteitag: „Wir sind kein Einwanderungsland, wir sind eine gewachsene Nation – genau wie Japan (...). Wenn wir nicht den japanischen Weg gehen als Deutschland und Europa, dann werden wir in Deutschland und Europa eine kulturelle Kernschmelze erleben.“ Man sollte „mehr Japan wagen“.

Abgelehnt wird auch „jeglicher Familiennachzug für Flüchtlinge“. Der Parteitag beschloss diese Aufnahme der Forderung in das Wahlprogramm, nachdem sich Höcke dafür stark gemacht hatte. Auf den Hinweis, dies verstoße gegen geltendes Recht, sagt Höcke, es gehe darum, „ein politisches Zeichen zu setzen“. Die AfD will zudem die Rückkehr zu Grenzkontrollen, einhergehend mit „physischen Barrieren“ wie Grenzzäunen an den deutschen Staatsgrenzen.

Auch mit der vom Grundgesetz geschützten Glaubens- und Gewissensfreiheit hat die AfD mehr als acht Jahre nach ihrer Gründung noch keinen Frieden geschlossen. So sollen Minarette und Muezzinrufe nach dem Willen der AfD verboten werden. Die Partei will zudem ein generelles Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst sowie für Lehrerinnen und Schülerinnen an öffentlichen Schulen.

Gegen „jedweden, auch indirekten, Zwang“

Mehr Laissez-Faire will die Rechtspartei hingegen in einem anderen Bereich zulassen - nämlich dem Umgang mit der Corona-Pandemie. Die meisten AfD-Delegierten, aber nicht alle, halten sich während des Parteitags durchgehend an die vom Gesundheitsamt vorgegebenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Auf dem Podium verweigerte der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland aus diesem Grund sogar die von einem Bundesvorstandsmitglied angestrebte Begrüßung per Handschlag. Das Dresdner Ordnungsamt hatte die Einhaltung der Auflagen überwacht und für den Fall einer Missachtung Konsequenzen angekündigt. Die Veranstaltung ging jedoch ohne Einschreiten vonseiten der Behörde über die Bühne.

Was die Mehrheit der Parteitagsdelegierten über Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie denkt, kam am Ende jedoch im Wahlprogramm zum Ausdruck. Über das Thema Maskenpflicht und Corona wurde besonders lange debattiert. Letztendlich wurde eine „Corona-Resolution“ beschlossen. Darin fordert die Partei „jedweden, auch indirekten, Zwang zur Durchführung von Tests, Impfungen, unter anderem durch Einführung sogenannter Schnelltest-Apps und des grünen Impfpasses, sowie Benachteiligungen für Maskenbefreite zu unterlassen“. Die AfD war im Vorfeld dafür kritisiert worden, trotz steigender Infektionszahlen einen Präsenzparteitag mit hunderten Teilnehmern zu veranstalten. Parteichef Meuthen hatte diesen Schritt unter Hinweis auf das Hygienekonzept der Partei ausdrücklich verteidigt.

Während sich Meuthen in seiner Eröffnungsrede auf den Wahlkampf konzentrierte, teilt der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla gegen seinen eigenen Kollegen an der Parteispitze aus. Er kritisierte Meuthen für dessen Brandrede auf dem Bundesparteitag im vergangenen November. Meuthen hatte in Kalkar gefordert, auf Verbalradikalismus und extreme Positionen zu verzichten. In diesem Zusammenhang hatte er insbesondere die Rhetorik von „Querdenken“-Demonstranten als Negativbeispiel genannt. Auch ein Parteivorsitzender dürfe seine Gedanken öffentlich aussprechen, sagte Chrupalla, aber „bestimmte Dinge sollten intern und nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden“. Während Meuthen von „Strömungen“ in der Partei sprach, forderte Chrupalla: „Schluss mit dem Lager-Denken!“

Ganz am Ende des Parteitages griff Höcke den Bundesvorstand sogar frontal an. Während er zunächst eine „neue Harmonie in der Partei“ und „einen Geist, der sich allen Spaltungstendenzen widersetzt“, konstatiert hatte, sagte er später in Richtung Vorstand: „Viele Mitglieder an der Basis haben das Gefühl, dass Ihr zu viel Energie in den Entzug von Mitgliederrechten, zu viel Energie in die Absetzung von verdienten Mitstreitern steckt, zu viel Energie in machtpolitische Spiele investiert.“ Diese Parteiausschlussverfahren richteten sich vor allem gegen Angehörige der äußersten Rechten innerhalb der Partei.

Noch keine Spitzenkandidaten bestimmt

Die Delegierten entschieden, noch keine Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu bestimmen. Eine Mehrheit gab es lediglich für den Vorschlag, mit einem Spitzenduo in den Wahlkampf zu ziehen. Die Wahl dieses Zweierteams wird aber noch nicht auf dem Parteitag erfolgen. Stattdessen sollen zu einem späteren Zeitpunkt die Mitglieder der Partei entscheiden. Fraktionschefin Alice Weidel, die bei der Bundestagswahl 2017 gemeinsam mit Alexander Gauland das Spitzenteam gebildet hatte, ließ offen, ob sie dann dafür antreten will. Parteichef Tino Chrupalla und die hessische Abgeordnete Joana Cotar erklärten dagegen beide, sie stünden dafür zur Verfügung.

Einig waren sich viele Redner auf dem Parteitag, dass Uneinigkeit der AfD im Wahlkampf nur schaden kann. Deshalb plädierten sie wie der sächsische AfD-Chef Jörg Urban dafür, innerparteiliche Konflikte unter der Decke zu halten. „Lasst uns von Dresden aus ein Signal der Geschlossenheit und des Aufbruchs vermitteln“, rief Urban den Delegierten fast schon beschwörend zu. In manchen Parteitagsreden waren allerdings versteckte Seitenhiebe zu erkennen, die den Eindruck erwecken, dass nach der Wahl wohl intern abgerechnet werden solle – spätestens bei der geplanten Neuwahl des Bundesvorstandes Ende November.

Erster Parteitag mit Demonstranten, am zweiten Tag herrscht Ruhe

Draußen vor der Tür machten zu Beginn des Parteitages etwa 150 Demonstranten lautstark klar, was sie von AfD insgesamt halten – mit Sprechchören und Plakaten. Auf dem Weg vom Parkplatz zur Messehalle mussten die Delegierten direkt an der Menge vorbei. Es war zum Teil wie ein kleiner verbaler Spießrutenlauf. Rosa von Striesen, Sprecherin eines Protest-Bündnisses mehrerer Initiativen, hält den Slogan der AfD-Wahlkampagne „Deutschland. Aber normal“ für einen ideologischen Offenbarungseid der Partei. Das sei „der Versuch, Hass und Hetze weiter zu normalisieren“, sagt sie.

Am zweiten Tag protestierte niemand mehr vor der Halle. Anders als in Städten wie Berlin oder Köln hat die AfD in Dresden – der Hochburg der islam- und ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung – auch viele Anhänger. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte die AfD in Sachsen mit 27 Prozent der Stimmen sogar noch vor der erfolgsverwöhnten CDU (26,9 Prozent) gelegen.

Agenturen