Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) macht am Mittwoch die Regimetruppen von Syriens Diktator Baschar al-Assad für drei Giftgasangriffe auf einen Ort im Nordwesten des Bürgerkriegslandes vor drei Jahren verantwortlich.
OPCW-Ermittler kommen in einem veröffentlichen Bericht zu dem Schluss, dass die syrische Luftwaffe Ende März 2017 bei Bombardierungen des Ortes Al-Lataminah Sarin- und Chlorgas einsetzte. Sie gehen davon aus, dass derartige Angriffe nur auf Befehl höherer Ränge des syrischen Militärkommandos ausgeführt werden konnten.
Es ist der erste Bericht einer OPCW-Ermittlungskommission, die anders als bei früheren Untersuchungen auch die Schuldigen benennen soll. Dieses Mandat hatten die Ermittler gegen den heftigen Widerstand von Diktator Baschar al-Assad und Russlands erhalten. Die beiden Verbündeten weisen jede Verantwortung der Regierung in Damaskus für Giftgasangriffe zurück.
Die Ermittler befragten Zeugen, analysierten Proben und Überreste, die an den Orten der Vorfälle gesammelt wurden. Außerdem überprüften sie die Symptome der Opfer und des medizinischen Personals, untersuchten Bilder und konsultierten Experten, erklärte die OPCW.
Bundesaußenminister Heiko Maas wertete den Bericht als wichtigen Schritt zur Aufklärung dieser „scheußlichen Verbrechen“. Ein so eklatanter Völkerrechtsbruch dürfe nicht ungestraft bleiben, erklärte der SPD-Politiker in Berlin. Die internationale Staatengemeinschaft müsse umgehend reagieren und dafür sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Bundesregierung werde sich hierfür im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und bei der OPCW mit Nachdruck einsetzen, betonte Maas.
Hadi Al Khatib, Gründer und Direktor von „Syria Archive“, sagte laut dem „Guardian“: „Jetzt, da der Bericht ausdrücklich auf die syrische Regierung als Täter dieser Angriffe hingewiesen hat, ist eine starke Zusammenarbeit zwischen den Staaten notwendig, um sicherzustellen, dass diese Gräueltaten nicht ungestraft bleiben.“
Luftwaffe des Assad-Regimes warf Giftgas-Bomben ab
US-Außenminister Mike Pompeo erklärte, die USA teilten die Schlussfolgerungen der OPCW-Ermittler. In der Mitteilung hieß es weiter, dass die Vereinigten Staaten den Einsatz chemischer Waffen verurteilten und die syrische Führung aufforderten, die Entwicklung, Lagerung und den Einsatz dieser Waffen unverzüglich einzustellen, hieß es weiter.
Al-Lataminah wird mittlerweile von Regimeanhängern kontrolliert, gehörte 2017 aber zu dem bis heute umkämpften Rebellengebiet um die Stadt Idlib im Nordwesten des Bürgerkriegslandes. Nach Erkenntnissen der OPCW warf die Luftwaffe des Assad-Regimes an drei Tagen Ende März 2017 Bomben mit Giftgas über dem Ort ab. Getroffen wurde unter anderem ein Krankenhaus. Insgesamt starben drei Menschen, rund 100 wurden verletzt, wie es in dem mehr als 80-seitigen Bericht heißt.
Die Angriffe sorgten damals international nur für wenig Schlagzeilen. Die Ermittlungen bestätigten Recherchen der investigativen Internetseite „Bellingcat“, an denen die Deutsche Presse-Agentur beteiligt war.
345 Giftgas-Einsätze in Syrien
Die OPCW-Ermittler wollen sich in weiteren Berichten auch mit anderen Giftgasangriffen in Syrien beschäftigen und Schuldige benennen. So wollen sie den verheerenden Einsatz von Chlorgas am 7. April 2018 in dem Ort Duma östlich der Hauptstadt Damaskus untersuchen, bei dem mehr als 40 Menschen ums Leben kamen.
Eine Faktenfindungskommission der OPCW war bereits im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis gekommen, dass in Duma mit hoher Wahrscheinlichkeit Chlorgas eingesetzt wurde. Das Regime bestreitet das und sprach von einer „Inszenierung“. Einen Schuldigen nannten die Ermittler nicht, da sie dafür damals anders als heute kein Mandat besaßen. Recherchen unter anderem von „Bellingcat“ und der „New York Times“ sahen aber auch bei der Bombardierung Dumas das Assad-Regime am Werk.
Ebenso wie die USA, beschuldigten Großbritannien und Frankreich Regimeeinheiten, chemische Waffen in Duma eingesetzt zu haben.
Die Führung unter Baschar al-Assad ist bereits mehrfach für Angriffe mit Chemiewaffen verantwortlich gemacht worden. So schlussfolgerte ein gemeinsames Untersuchungsteam der UN und der OPCW im Oktober 2017, die Luftwaffe des Assad-Regimes stecke hinter einem verheerenden Angriff auf den Ort Chan Schaichun im April zuvor, bei dem mehr als 80 Menschen getötet worden waren.
Das Berliner Global Public Policy Institute (GPPi) stellte in dieser Woche eine Datenbank zu 345 Giftgas-Einsätzen in dem Bürgerkriegsland ins Netz. In 98 Prozent der Fälle sei die Regierung verantwortlich gewesen, sagte Theresa Lütkefend, eine der Verantwortlichen des von Deutschland mitfinanzierten Projekts. Kein Angriff habe der bewaffneten Opposition zugeschrieben werden können. Für die restlichen zwei Prozent der Angriffe seit 2012 macht das Institut die Terrormiliz Daesh verantwortlich.