Beschimpfungen, Schmierereien, Angriffe gegen Juden in Deutschland: 2738 antisemitische Vorfälle haben Meldestellen des Netzwerks Rias im vergangenen Jahr erfasst. Darunter waren 63 Angriffe und sechs Fälle extremer Gewalt. Den Jahresbericht 2021 präsentierte Rias-Vorstand Benjamin Steinitz am Dienstag in Berlin. Wichtige Treiber aus seiner Sicht: die Corona-Pandemie mit ihren antijüdischen Verschwörungserzählungen und der Nahost-Konflikt mit Israel-Kritik.
Rias steht für Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus. Betroffene können sich an acht Meldestellen des Netzwerks wenden. Anders als in der Kriminalstatistik werden so auch nicht strafbare antisemitische Vorfälle erfasst. 2020 hatte Rias noch 1909 solcher Fälle registriert - aber mit weniger Meldestellen. Dass die Zahl nun auf die Dreitausendermarke zusteuere, sei erschreckend, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Aber „gleichzeitig ist jeder der gemeldeten Vorfälle auch ein Schritt zur Verkleinerung des Dunkelfelds“.
Etwa die Hälfte aller erfassten Vorfälle - 54 Prozent - ließen sich laut Rias keiner klaren Weltanschauung zuordnen. Wo dies möglich war, waren Rechtsextremisten mit 17 Prozent die größte Gruppe. Insgesamt wurden 964 Täterinnen und Täter registriert.
An jedem sechsten Tag ein antisemitischer Angriff
Zu Fällen „extremer Gewalt“ zählt Rias zum Beispiel den Angriff auf einen jüdischen Teilnehmer einer Mahnwache für Israel in Hamburg und einen Schuss auf ein jüdisches Gemeindehaus in Berlin. Statistisch gab es laut Rias an jedem sechsten Tag einen antisemitischen Angriff. Antisemitische Vorfälle insgesamt gab es jedoch rechnerisch mehr als sieben pro Tag.
Zum Beispiel wurde die Tür eines jüdischen Mieters in Berlin mit Eiern beworfen, wie es im Jahresbericht heißt. Auf das Klingelschild eines jüdischen Geschäfts wurde „HH“ geschmiert - die von Rechtsextremisten genutzte Abkürzung für „Heil Hitler“. In einem Restaurant in Heidelberg bedrohte ein Mann einen Gast mit Davidstern-Kette mit den Worten: „Ich bring Dich um! Ich bin Hitler.“
2021 seien insgesamt 964 Einzelpersonen von antisemitischen Vorfällen unmittelbar betroffen gewesen. Antisemitismus sei Alltag - ein Grundrauschen, wie es Marina Chernivsky von der Beratungsstelle Ofek für Opfer antisemitischer Gewalt und Diskriminierung nannte.
Pandemie und Nahost-Konflikt als Gelegenheit
Doch sieht Rias auch „Gelegenheitsstrukturen“ - Anlässe, bei denen es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen kommt. „Fast ein Drittel aller Rias bekannt gewordenen antisemitischen Vorfälle standen im Zusammenhang mit der Coronapandemie“, hält das Netzwerk fest. Dazu zählen Schmierereien, Verschwörungserzählungen zu angeblichen jüdischen Drahtziehern oder Profiteuren, aber auch Relativierungen der Shoa, etwa, wenn Impfgegner gelbe Sterne trugen.
Zweiter Anlass war die Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Konflikts im Mai 2021. Insgesamt ordnete Rias 26 Prozent der erfassten antisemitischen Vorfälle dem israelbezogenen Antisemitismus zu - mit 723 Fällen etwa doppelt so viel wie 2020.
29 Juni 2022
dpa
Ähnliche Nachrichten
Rechtsrock-Konzert in Neumünster von Polizei verhindert
Polizei verhindert Rechtsrock-Konzert in Neumünster: Nachdem rund 400 Teilnehmer aufgefordert wurden, das Gelände zu verlassen, griffen einige Rechtsradikale die Einsatzkräfte mit Stühlen und Bierdosen an. Bundespolizisten aus Hamburg rückten an.
14 Bundesländer passen Abschlussprüfungen nochmals an
Fast alle Bundesländern wollen laut einem Bericht die Abschlussprüfungen an den Schulen weiter erleichtern. Grund dafür ist der Unterrichtsausfall während der Pandemie. Hessen hat sich noch nicht entscheiden. Rheinland-Pfalz geht einen anderen Weg.
Selbe Kategorie
Worüber möchten Sie mehr erfahren?
Beliebt
Iran: Rätselhafte Vergiftungswelle beunruhigt die Bevölkerung
Bei einer landesweiten Anschlagswelle im Iran wurden Hunderte Schulmädchen vergiftet. In Regierungskreisen werden Extremisten dahinter vermutet. Eine offizielle Stellungnahme aus Teheran steht aber noch aus. Die Wut und Sorge der Eltern wächst.