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Das ölreiche Libyen ist nach dem Sturz von Gaddafi zum Spielball internationaler Akteure geworden. Es entwickelten sich zwei unterschiedliche Machtstrukturen. Nun soll eine EU-Mission das Waffenembargo sichern. Doch wem nützt der Einsatz?

Seit dem gewaltsamen Sturz des langjährigen Herrschers Muammar al-Gaddafi 2011 ist es nicht gelungen, die staatliche Einheit des nordafrikanischen Landes wiederherzustellen. Der Zerfall staatlicher Strukturen ebnete den Weg für den Einfluss von Terroristen und den immer noch andauernden Bürgerkrieg. Die Vereinten Nationen hatten im Zuge des internationalen Militäreinsatzes 2011 ein Waffenembargo gegen Libyen verhängt. Das ölreiche Land, das die größten Ölreserven in Afrika besitzt, wurde zugleich zum Spielball internationaler Akteure.

Ein wichtiger Profiteur des Bürgerkriegs war die Terrororganisation Daesh, die im Mai 2015 zunächst die Hafenstadt Sirte eroberte und anschließend die Städte Darna und Bengasi angriff. Nach sieben Monaten Krieg zogen sich die Daesh-Terroristen vielerorts zurück, und den libyschen Kräften gelang die Rückeroberung dieser Gebiete. Allerdings trug der Sieg gegen Daesh nicht zur Befriedung des Landes bei, denn es bildeten sich zwei unterschiedliche Strukturen mit Machtansprüchen über das gesamte Territorium. Da ist zum einen die von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen anerkannte Einheitsregierung (GNA) und zum anderen der Gegenspieler General Khalifa Haftar, der mit seiner „Libyschen Nationalarmee“ (LNA) weite Teile des Landes kontrolliert.

Interessen von verbündeten Staaten

Was auf den ersten Blick wie ein innerstaatlicher Konflikt aussehen mag, hat sich zu einem Krieg entwickelt, in dem mächtige Verbündete eine Rolle spielen. Haftars Truppen werden, zum Teil verdeckt, von Russland, Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. Daneben gibt es auch Staaten, die offiziell zwar die Einheitsregierung in Tripolis anerkennen, sich aber eine Hintertür offenhalten, falls es Haftar gelingen sollte, die Regierung zu stürzen. Die Unterstützerstaaten haben Haftar in den letzten Jahren nicht nur Waffen geliefert, sondern auch Söldner geschickt.

Nach Angaben von Beobachtern befinden sich etwa 1.500 Söldner aus dem Sudan in Libyen. Es agieren zudem Mitglieder einer russischen Sicherheitsfirma, über deren Anzahl unterschiedliche Angaben gemacht werden. Russland hat seinerseits Berichte über ein offizielles militärisches Engagement in Libyen zurückgewiesen. Ein interner UN-Bericht kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis. Demnach beraten und kämpfen an der Seite der LNA paramilitärische Einheiten der russischen „Wagner-Gruppe“.

Daneben gibt es noch andere Milizionäre aus anderen Staaten, über deren Zahl gemutmaßt werden kann. Letztes Jahr im Herbst befahl Haftar seiner LNA die Einnahme von Tripolis. Lange Zeit sah es so aus, als seien die Tage der Einheitsregierung von al-Sarradsch gezählt. Doch das Blatt wendete sich, da es der Regierung in Tripolis zunehmend gelang, nicht nur die Stellungen der LNA im Westen des Landes anzugreifen und verlorene Gebiete zurückzuerobern, sondern die Milizen auch im Süden und Osten in Bedrängnis zu bringen. Zwischenzeitlich traf man sich zur internationalen Libyen-Konferenz in Berlin, um über eine Lösung im Konflikt zu beraten, aber die vereinbarte Waffenruhe blieb fragil. Die Türkei und die libysche Regierung von al-Sarradsch hatten im November 2019 ein Abkommen unterzeichnet, das die Seegrenzen zwischen beiden Staaten absteckt. Ferner wurden weitere Verträge unterzeichnet, die die bilateralen Beziehungen vertiefen sollen.

Innerhalb der EU herrschen nach wie vor Zerwürfnisse. So gibt es zwischen Italien und Frankreich unterschiedliche Ansichten über die Vorgehensweise zur Entschärfung des Konflikts. Die Interessen der ehemaligen Kolonialmacht Italien an Libyen sind vor allem wirtschaftlicher Natur, denn der italienische Energiekonzern ENI ist schon seit 1959 in dem nordafrikanischen Land präsent. Eine unter dem Meer gelegte Gasleitung liefert libysches Gas nach Italien. Eine enge Partnerschaft der italienischen ENI mit dem staatlichen libyschen Ölkonzern (NOC) sichert die Förderung von Erdöl und Gas. Daher unterstützt Rom die international anerkannte Regierung in Tripolis. Frankreich hingegen setzt auf Haftar, weil es seine Interessen durch den Warlord in Bengasi besser gewahrt sieht. Allerdings ist auch der französische Energiekonzern Total in Libyen aktiv.

EU-Mission - „Eunavfor med Irini“

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat der Deutsche Bundestag am 7. Mai der EU-Mission „Eunavfor med Irini“ im Mittelmeer“zugestimmt. Der Beschluss sieht die Entsendung von deutschen Fregatten mit 300 Bundeswehrsoldaten zur Durchsetzung des UN-Waffenembargos vor. Übrigens entstammt das Wort „Irini“ aus dem Griechischen und bedeutet „Frieden“. Unter der Führung von Frankreich und einiger anderer EU-Staaten sollen Waffenlieferungen an Libyen unterbunden werden. Französische Kriegsschiffe befinden sich bereits vor Libyens Küste. Die Crux dabei: Die EU-Mission hat rechtlich betrachtet kein Mandat, da sich die Regierung von al-Sarradsch gegen die Entsendung von Kriegsschiffen in libysche Gewässer ausgesprochen hat.

Aber warum setzt sich die EU darüber hinweg? Die Bundesregierung argumentiert, der Einsatz der Marine diene dazu, das Waffenembargo der Vereinten Nationen zu kontrollieren und den Menschenschmuggel sowie den illegalen Export von Erdöl zu verhindern. Die EU-Staaten machen sich Sorgen um den Bruch des Waffenembargos und damit um die Zukunft von Libyen. Hier sei die Frage erlaubt, warum die EU-Staaten diese Mission nicht vorher begonnen haben, wenn es Bedenken hinsichtlich der Durchsetzung des bestehenden Waffenembargos gibt.

Der entscheidende Punkt bei der Sache wird aber leider nicht erwähnt: Die Überwachung des Waffenembargos im Mittelmeer würde die Regierung von al-Sarradsch treffen und nicht Haftar in Bengasi. Denn Waffenlieferungen an den Warlord gelangen über die ägyptisch-libysche Grenze ins Land. Anders ausgedrückt: Die EU-Militärmission würde die international gestützte Regierung von al-Sarradsch entscheidend schwächen und den Weg Haftars zur Machtübernahme erleichtern. Sie könnte zu einer Verschärfung der Lage in dem nordafrikanischen Land führen und die Spannungen weiter erhöhen.

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