In der Stichwahl zur französischen Präsidentschaftswahl am 24. April setzte sich der Liberale Emanuel Macron mit 58,5 % klar gegen seine rechtspopulistische Rivalin Marine Le Pen durch, auf die nur 41,5 % der abgegebenen Stimmen entfielen. Damit gewann Macron mit einem geringeren Vorsprung als noch in der Wahl von 2017, als er beachtliche 66,1 % der Stimmen gegen Le Pen mobilisierte. So gesehen verringerte sich sein Vorsprung auf die Rechtspopulisten. In deutschsprachigen Medien wurde dies teilweise im Sinne einer besorgniserregenden Tendenz verkürzt wiedergegeben, so als wäre Macron kein „echter“ Gewinner. Einem Schreckgespenst wurde Leben eingehaucht: Würde die Rechtspopulistin Marine Le Pen nur oft genug antreten, würde sie eines Wahltages, quasi automatisch, die 50-Prozent-Marke durchbrechen? Solch eine schiefe, beinahe hysterisch überzogene mediale Inszenierung übersieht, dass Le Pen bereits zum zweiten Mal verlor: Wie oft möchte sie also noch antreten? Außerdem ist der Wahlsieg von Macron mit 58,5 % der Stimmen (in einer Stichwahl) keine Wenigkeit, sondern klar in seiner Aussage. Entwicklungslogiken in modernen Demokratien laufen vielfach darauf hinaus, dass Mehrheiten knapper ausfallen, dass sich Wahlprozesse und Wählerdynamiken tendenziell immer kompetitiver ausgestalten.
Geschwächte Ausgangsposition für Macrons Liberale
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Kurz nach den Präsidentschaftswahlen steuert Frankreich auf seine Parlamentswahlen im Juni zu, genannt „élections législatives“, mit einem ersten Wahldurchgang am 12. Juni und einer Stichwahl zwischen den top-gereihten Kandidaten pro Wahlbezirk am 19. Juni. Frankreich wendet hier ein zweistufiges Mehrheitswahlrecht mit all seinen Komplexitäten an. Die eigentliche Sensation bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl war, dass der Linkskandidat Jean-Luc Mélenchon mit 21,95 % der Stimmen nur knapp Dritter hinter der Rechtspopulistin Marine Le Pen (mit 23,15 %) wurde und es somit fast in die Stichwahl gegen Macron geschafft hätte. Der Sieg Macrons in der Stichwahl wies mehrere Schönheitsfehler auf. Viele Linkswähler wollten nicht rechtspopulistisch votieren, scheuten aber gleichermaßen davor zurück, Macron ihre Stimme zu geben, den sie als einen Repräsentanten des „Neoliberalismus“ sahen. Für Linkswähler entstand das Dilemma, entweder nicht zu wählen oder für Macron zu wählen, um so den Rechtspopulismus zu verhindern. Mélenchon selbst tänzelte ebenfalls um dieses Dilemma herum: Er sprach sich dafür aus, nicht Le Pen zu wählen, verweigerte aber eine Wahlempfehlung für Macron. Macron gewann somit auch deshalb, weil sich Wähler aus Vernunftgründen für ihn entschieden, um letztlich den Rechtspopulismus von der präsidentiellen Macht fernzuhalten. Aber es war kein Wahlsieg mit großem Enthusiasmus. In seiner Siegesrede in der Wahlnacht bezog sich Macron sogar explizit darauf. Seine Befürchtung mag auch gewesen sein, dass seine liberale Wahlbewegung bei der anstehenden Parlamentswahl quasi abgewählt werden würde.
Drei größere Wahlblöcke: Linke, liberales Zentrum, Rechtspopulisten
Umfragen deuten darauf hin, dass sich drei größere Wahlblöcke kompetitiv auszuformen beginnen. Vorne (mit etwa 27 % Zustimmung) liegt die linke Wahlallianz NUPES (Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale), getragen von La France Insoumise, Grünen, Sozialisten und Kommunisten und mit Mélenchon als ihrem wichtigsten Akteur. Fast gleichauf (mit ungefähr 26 % Zustimmung) positioniert sich das liberale Zentrum mit Macron als Leitfigur. Bereits deutlicher abgehängt an dritter Stelle (mit ca. 21 % Zustimmung) liegen die Rechtspopulisten mit Marine Le Pen. Interessant sind einzelne soziodemographische Breakdowns der Demoskopie. Bezogen auf die Gender-Zusammensetzung scheinen sich die Sympathisanten der verschiedenen Blöcke nicht so deutlich zu unterscheiden. Betreffend Alter hingegen zeigen sich markante Unterschiede. Bei jüngeren Wählern genießt vor allem die Linksallianz die größte Unterstützung, während bei den älteren Wählern eindeutig die Liberalen vorne liegen. Bei den Rechtspopulisten dominieren mehr die mittleren Alterskategorien.
Magische Zahl „289“
In Summe hat das französische Parlament 577 Sitze, und 289 ist die magische Zahl für die absolute Parlamentsmehrheit. Die Komplexität des französischen Wahlsystems bringt es aber mit sich, dass sich Zustimmungswerte durchaus unterschiedlich in der Sitzverteilung niederschlagen können. Eine aktuelle Ifop-Umfrage projiziert dabei folgende Mandatszahlen: Linksblock 195-230 Sitze, liberales Zentrum 250-290 Sitze und rechtspopulistischer Block 20-47 Sitze. Es kommt auch darauf an, wie die konkreten Wahlallianzen für die Stichwahlen in der zweiten Wahlrunde ausfallen werden. Da gehen den Rechtspopulisten traditionell die Bündnispartner aus. So gesehen haben die Rechtspopulisten ihre Träume ausgeträumt.
Gewinnen Macrons Liberale die Parlamentswahl, verfehlen aber letztlich die absolute Parlamentsmehrheit?
Die gute Nachricht für Macrons Liberale ist, dass sie im neuen französischen Parlament die wahrscheinlich stärkste politische Kraft sein werden. Die schlechte Nachricht aber ist, dass es nach wie vor als offen und unentschieden gelten muss, ob sich auch eine absolute Parlamentsmehrheit für die Liberalen ergeben wird. Die Sitzprognosen für die Liberalen sind dieses Mal auch geringer als der tatsächliche Erfolg nach der ersten Wahlrunde damals 2017. Zusätzlich ist es so, dass die neueren Umfragen die Liberalen tendenziell unter einem stärkeren Druck von links sehen. Verfehlen die Liberalen die absolute Parlamentsmehrheit, wäre eigentlich auszuschließen, dass Linke und Rechtspopulisten eine Koalition formen. Stattdessen könnten Linke und Rechtspopulisten jedoch Gesetzesvorhaben einer liberalen Minderheitsregierung blockieren und zu Fall bringen. Die parlamentarische Stichwahl am 19. Juni kann da noch den einen oder anderen Ausschlag geben.