Die Gewaltausbrüche zwischen türkischstämmigen Menschen und Unterstützern der terroristischen PKK, die in der belgischen Region Limburg begannen und sich auf andere europäische Staaten ausbreiteten, entluden sich in der Folge in Schlägereien, Brandanschlägen und Angriffen auf türkische Vertretungen, Geschäfte, Gotteshäuser und Vereine.
Um die Ereignisse besser einordnen zu können, ist es sinnvoll, eine Antwort auf die Frage zu finden, wem die Zusammenstöße nützen. Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, wo diese Vorfälle ausgebrochen sind. Dabei sollten auch die regionalen und geografischen Entwicklungen in Türkiye in die Bewertung einbezogen werden. Die Spannungen zwischen türkischstämmigen Menschen in Europa und den Anhängern der Terrororganisation PKK sind eine Entwicklung, die sowohl die türkische Innen- als auch Außenpolitik betrifft.
Eingefrorener Friedensprozess steht vor Wiederaufnahme
Aus der innenpolitischen Perspektive von Türkiye betrachtet, ist es wichtig zu betonen, dass die türkische Regierung unter Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan erwägt, den eingefrorenen Friedensprozess mit Vertretern der kurdischstämmigen Bevölkerung in Türkiye nach den Kommunalwahlen wieder zu reaktivieren. Eine Lösung der „Kurdenfrage“ bedeutet die Beseitigung einer schweren Last, die Türkiye in den letzten 40 Jahren großen volkswirtschaftlichen und immateriellen Schaden bereitet sowie Tausende Menschenleben gekostet hat.
Ein erfolgreicher Abschluss des Friedensprozesses gefällt natürlich den Akteuren, Bündnissen und Interessengemeinschaften nicht, die den Südosten von Türkiye, die Energieressourcen im Nordirak und in Syrien sowie die Energierouten, die durch diese Regionen führen und in Zukunft führen sollen, kontrollieren wollen. Für diejenigen, die die Gesprächsprotokolle am seinerzeit in Oslo eingerichteten Verhandlungstisch durchsickern ließen und damit den Friedensprozess sabotierten, ist eine türkisch-kurdische Versöhnung gleichbedeutend mit dem Verlust des Einflusses auf die Region. Aus diesem Grund gibt es nicht wenige subversive Akteure, die sich freuen, wenn der Kampf zwischen der türkischen Gemeinschaft und PKK-Anhängern in Europa auch nach Türkiye und seine Nachbarschaft getragen wird und dort zu Konflikten zwischen den jeweiligen Völkern führt.
Annäherung zwischen Türkiye und USA mit Folgen für andere Staaten
Auf internationaler und außenpolitischer Ebene ist zu beobachten, dass Türkiye und die USA einen Annäherungsprozess eingeleitet haben, insbesondere im Zusammenhang mit der NATO-Mitgliedschaft Schwedens. Der türkische Außenminister Hakan Fidan und İbrahim Kalın, der Leiter des Nationalen Nachrichtendienstes (MIT), haben in langen und mühsamen Bemühungen den Grundstein für diese Annäherung gelegt. Um die neue Ära der Zusammenarbeit zwischen Türkiye und den USA zu krönen, wird Präsident Erdoğan am 9. Mai in Washington mit US-Präsident Joe Biden zusammenkommen. Diese Entwicklung scheint bei einigen so genannten „Partnern und Verbündeten“ von Türkiye für Unruhe zu sorgen. Durch die Vereinbarungen, die Türkiye sowohl mit den USA als auch mit der irakischen Regierung getroffen hat, werden die Einflussmöglichkeiten anderer Staaten in der Region und im Nahen Osten geringer.
Wer könnte durch die Annäherung zwischen Türkiye, Irak und den Vereinigten Staaten und die militärischen Operationen, die in naher Zukunft im Nordirak und in Syrien durchgeführt werden sollen, besorgt sein? Oder wäre es besser, Türkiye von diesen Operationen irgendwie abzuhalten? Kann es sein, dass die Entschlossenheit von Türkiye, sich mit seinen kurdischen Geschwistern zu versöhnen, und die Tatsache, dass das 40 Jahre alte Terrorismusproblem endlich gelöst werden könnte, einige Kreise in Panik versetzt? Oder ist man besorgt, dass der bequeme terroristische Apparat der PKK und die Kontrolle über ihn bald abhandenkommen? Antworten auf diese Fragen werden auch Licht auf die gewaltvollen Ereignisse der letzten Wochen und Tage werfen.
Abhängigkeit vom „Game-Changer“-Türkiye wird zunehmen
Durch die grenzüberschreitenden Operationen von Türkiye, den Friedensprozess und die bevorstehende neue, zivile türkische Verfassung werden viele Staaten, die derzeit vor allem im Energiebereich schwierige Zeiten durchmachen, mehr denn je auf Türkiye angewiesen sein. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Abhängigkeit vieler Länder von Türkiye, das mehr als 50 Jahre vor den Toren der Europäischen Union (EU) warten musste, in den nächsten Jahren zunehmen wird.
Der Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier in Türkiye Ende April dürfte nicht zufällig stattfinden. Für die deutsche Seite, die Türkiye seit zehn Jahren nicht mehr auf Präsidentenebene besucht hat, ist dieses Treffen vor dem Besuch von Präsident Erdoğan in den USA von besonderer Bedeutung. Warum hat Steinmeier, der 2017 Bundespräsident wurde und 2022 für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, trotz der Einladung von Präsident Erdoğan bis heute mit einem Staatsbesuch gewartet?
Yaşar Aydın, Experte am Berliner Centrum für Angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), verweist auf die jüngste Zunahme der geopolitischen Bedeutung von Türkiye und sagt: „Türkiye ist ein wichtiger Akteur in Regionen, in denen die Karten neu verteilt werden, und die Entwicklungen sind auch für Deutschland wichtig.“ Aber gerade die Deutschen sollten doch wissen: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Türkiye ist in der Ära der Zeitenwende sowohl für die Region als auch für die EU in puncto Sicherheit, Logistik und Transport, Energie und Wasser ein unverzichtbarer Player und „Game-Changer“ geworden.
Einige mögen sich erinnern: 2013 äußerte sich der damalige EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) in bemerkenswerter Weise über die Politik der EU im Hinblick auf den Beitrittsprozess von Türkiye. Auf einer Veranstaltung in Brüssel sagte Oettinger: „Ich wette, dass in spätestens zehn Jahren ein deutscher oder französischer Ministerpräsident auf Knien in die Türkei kriechen und betteln wird: ‚Bitte treten Sie der EU bei‘.“ Ironischerweise sind seither etwas mehr als 10 Jahre vergangen, fast wie Oettinger es vorausgesagt hat.
Europa im Zentrum des PKK-Terrors
Wenden wir uns nun den geografischen Regionen zu, in denen die Ereignisse stattfanden. Die Gewaltausbrüche begannen in Belgien, dem Herzen der EU, wo die terroristische PKK seit Jahrzehnten einen sicheren Hafen findet. Die Provokationen gegen Türken wurden von PKK-Sympathisanten und anderen teilweise vermummten Personen aus Belgien und den Nachbarländern durchgeführt. Wer steckte hinter diesen Masken? Wer hat die Provokationen unterstützt und koordiniert?
Die Gewaltorgien der PKK breiteten sich in einer zweiten Phase auch auf die Nachbarländer Deutschland, Österreich und Frankreich aus, wo die Terrororganisation Zuflucht und Rekrutierungsmöglichkeiten findet. Anhänger der PKK veröffentlichen über ihre Social-Media-Konten Listen mit Namen und Adressen der türkischen Gemeinschaft in diesen Ländern. Zudem wurden zu Anschlägen gegen Nichtregierungsorganisationen, Moscheen, Geschäfte von türkischstämmigen Menschen aufgerufen. Auch diplomatische Einrichtungen wie das türkische Generalkonsulat in Hannover wurden zur Zielscheibe. Möchte jemand durch die Zusammenstöße zwischen der türkischen Gemeinschaft in Europa und PKK-Anhängern eine „Botschaft“ an Türkiye senden? Ist es vielmehr möglich, dass dieser Konflikt in Europa auch und gerade in die türkischen Städte hineingetragen werden soll?
Ein weiteres Problem sind die systematischen Erklärungen und Aufrufe von PKK-Vertretern zur Kriminalisierung nationalistischer Türken seit Beginn dieser gewalttätigen Vorfälle. So wird beispielsweise die Forderung von PKK-Vertretern, nationalistische Vereine und türkische Moscheevereine zu verbieten oder sogar als terroristische Organisationen anzuerkennen, auch von europäischen Politikern und NGO-Mitgliedern, die die PKK hofieren, unterstützt und geteilt. Die PKK, die international als terroristisch anerkannt ist, und ihre Unterstützer in der Politik hegen offensichtlich den Wunsch, türkische Vereine in die gleiche kriminelle, terroristische Kategorie zu ziehen.
Eine neue „türkisch-islamische Synthese“ des Terrors durch DAESH-K?
Um die europäischen Türken als Terroristen darzustellen, könnte ferner die DAESH-K nach dem Terroranschlag in Moskau hilfreich sein. Die Tatsache, dass DAESH-K angeblich die Region Khorasan vertritt und dass diese Geografie eine der Heimat- und Ursprungsregionen der Turkvölker darstellt, eignet sich dazu, Türken mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung zu bringen.
Soll hier dem sogenannten „islamistischen Terror“, der mit der muslimischen Religion verbunden wird, ein sogenannter „türkischer Terror“ zur Seite gestellt werden? Ist dies ein Versuch, eine neue „türkisch-islamische Synthese“ des Terrors zu schaffen? Werden wir zusätzlich zu der Wahrnehmung, dass der Islam angeblich eine „Religion des Terrors“ ist, die sich erfolgreich in der ganzen Welt verbreitet hat, mit einer neuen PR-Operation konfrontiert, bei der nun Türken in die Nähe des Terrorismus gerückt werden?