09.04.2022, Ukraine, Kiew: Karl Nehammer (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, spricht während einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Österreichs Kanzler Karl Nehammer ist zu einem Solidaritätsbesuch in die Ukraine gereist. (dpa)
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Viele Menschen in Österreich stehen zusehends vor der Frage, ob sie am Ende des Monats lieber Essbares kaufen oder Warmwasser verbrauchen. Die Sanktionen seitens der EU gegen Russland mögen die dortige Bevölkerung vielleicht treffen. Definitiv aber wirken sie sich im eigenen Land aus.

Wie sehr die Globalisierung der Wirtschaft tatsächlich vorangeschritten ist, haben wir eindrucksvoll beim Feststecken des Containerschiffs Ever Given im Suezkanal vor Augen geführt bekommen. Seit dem Krieg in der Ukraine wissen wir, dass dieses Land die Kornkammer Europas ist. Die dort weit verbreiteten, humusreichen Schwarzerde-Böden gehören zu den besten Ackerböden der Welt.

Was der Krieg an sich bereits an negativen Folgen für Europa und auch den Rest der Welt mit sich trägt, wird durch überhastete, nicht durchdacht anmutende Sanktionen gegen Russland noch verstärkt.

Gas und Nord Stream 2

Bereits am 22. Februar 2022 hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die Zertifizierung der wichtigen Gaspipeline Nord Stream 2 ausgesetzt, als Reaktion auf Putins Ankündigung der Anerkennung der Republiken Donezk und Luhansk durch Russland und des Einsatzes von Truppen in diesen Gebieten.

Knapp vorbei ist auch daneben, könnte man meinen. Bereits Mitte 2021 war vor den steigenden Preisen am Gasmarkt und unzureichend gefüllten Speichern gewarnt worden. Allerdings hatte damals alleine die Aussicht auf die neue Pipeline die Preise bereits gedrückt:

„Andererseits sind derzeit die Preise im Großhandel für das erste Quartal 2022 bereits etwas niedriger als für das vierte Quartal 2021. Händlern zufolge könnte das schon ein erster Effekt von Nord Stream 2 sein. Die zweite russische Gasröhre durch die Ostsee soll spätestens Anfang 2022 in Betrieb gehen.“

Hohe Gewinne für Energiekonzern, Almosen für die Konsumenten

Während sich mancher Normalbürger ernsthafte Sorgen um sein Dasein machen muss, fahren Energiekonzerne satte Gewinne ein. Die Verbund AG, die neunzig Prozent des Stroms mit Wasserkraft erzeugt, konnte 2021 dank der gestiegenen Strom-Großhandelspreise einen kräftigen Gewinnanstieg erzielen. Knappe 2 Milliarden Euro wies der Rekordnettogewinn aus.

Die OMV AG (Erdöl-, Erdgas- und Chemiekonzern) konnte ihren Gewinn im ersten Quartal 2022 mit 1,1 Milliarden Euro beinahe verdreifachen.

Die Regierung kündigte einen Tropfen auf den heißen Energiepreise-Stein an, der in Form eines 150 Euro Energiegutscheins an die heimischen Haushalte fließt. Es wäre nicht Österreich, würde diese Hilfe formlos, unbürokratisch und rasch in Anspruch genommen werden können. Zettelwirtschaft und die Benutzung des Briefservice der Post gehören ebenso dazu wie Einkommensgrenzen und Regelungen zu Haupt- und Nebenwohnsitz.

Da dieser Energiegutschein aber auf die Jahresendabrechnung angerechnet wird, kann es sein, dass dieser viele Abnehmer erst 2023 zu Hilfe eilt.

Konsequenzen eines Gasboykotts

Ob und wenn ja wie viel Gas man weiterhin aus Russland beziehen wird, steht in den Sternen der EU-Flagge. Die Konsequenzen, die ein Gasstopp nach sich ziehen würde, gehen jedenfalls weit darüber hinaus, als sich einen Pullover in den eigenen vier Wänden anzuziehen. Zu viele Industriekonzerne sind auf Gas angewiesen. Können diese nicht mehr produzieren, kommt es nicht nur zu Engpässen bzw. Ausfällen gewisser Produkte, sondern auch zu steigender Arbeitslosigkeit.

Vor „Massenarbeitslosigkeit und nachhaltigem Wohlstandsverlust für ganz Österreich“ warnt gar der Präsident der Industriellenvereinigung Wien. Zu sehr sind unter anderem die Sparten Papier, Stahl, Chemie, Pharmazie, Düngerproduktion sowie Lebens- und Futtermittel von Gas abhängig.

Was tun gegen steigende Preise?

Eine Verknappung wiederum bedeutet steigende Preise. Selbst wenn man beispielsweise importierten Weizen durch heimische Produkte ersetzen kann, bleiben zumindest die Energiekosten als Preistreiber, die selbstverständlich am Ende vom Konsumenten zu zahlen sind.

Die SPÖ hat daher die befristete Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gefordert. Nicht nur die türkis-grüne Regierung steht diesem Vorstoß skeptisch gegenüber, sondern auch die Vertreter des Handels. Populismus ortet beispielsweise der Präsident des Handelsverbands, Stephan Mayer-Heinisch.

Alois Stöger wiederum, leitender Sekretär der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge, kann der Idee sehr viel abgewinnen, zumal man zu Hochzeiten von Corona auch bei Wirten und Hoteliers die Steuer ausgesetzt hatte. Allerdings sieht er die Gefahr, dass womöglich nicht alle Handelsunternehmen die entfallene Steuer tatsächlich an die Endkunden weitergeben.

Geteiltes Leid ist doppeltes Leid

Die Hoffnung in Österreich und der gesamten EU liegt auf der Besonnenheit der hiesigen Politiker. Rechnen dürfen wir damit freilich nicht, auch nicht, dass man sich mit Spieltheorie oder anderen Strategien auseinandersetzt, die den weiteren Kriegsverlauf aufzeigen könnten. Ist doch der Gewinn der nächsten Wahl stets das primäre Ziel, das von Politikern verfolgt wird.

Sanktionen haben in der Geschichte noch nie einen Krieg beendet, die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine wird dies auch nicht zustande bringen, zu befürchten ist das Gegenteil. Die Auswirkungen der Preisspirale nach oben und des Wohlstands nach unten werden wohl zu mehr Leid führen. Und damit ist der Ukraine sicherlich nicht geholfen. Denn geteiltes Leid ist nicht halbes Leid, sondern doppeltes.

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