(Symbolbild.) Eine muslimische Schülerin sitzt in einer Klasse. (dpa)
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Panik im deutschen Bundestag und Bundesrat: Sind Frauen im Staatsdienst, falls sie ein Kopftuch tragen, etwa eine Gefahr für unsere Demokratie? Was lange befürchtet war, wurde nun Realität nach dem Bundestag und seiner vom Prinzip her „debattenlosen“ Debatte stimmte nun letzten Freitag auch der Bundesrat einem neuen Gesetz bzw. einer Novellierung zu, womit Beamtinnen das Tragen des Kopftuches untersagt werden kann. Wir kommen auf den Wortlaut und seine kontroversen Auslegungsmöglichkeiten im Verlauf dieses Artikels zurück.

Thema nichts Neues, Türkei inklusive

Die Debatte über das Kopftuch ist nichts Neues in Deutschland, und was für manche unserer Leser vielleicht überraschend klingt, auch nichts Neues für die Türkei. Denn es gab Zeiten, in denen junge Frauen, die zu ihrer Uni-Vorlesung wollten, noch im Shuttle-Bus ihr Kopftuch ablegen mussten und es erst nach dem Unterricht zur Rückfahrt wieder anziehen durften. Die jungen Bürgerinnen durften noch nicht einmal an der Bushaltestelle das Kopftuch aufsetzen, da der Wendeplatz offiziell auf dem Gelände der Bildungseinrichtung lag. Der Bus selbst wurde allerdings von einer privaten Firma betrieben; innerhalb des Fahrzeuges gab es somit kein Kopftuchverbot. Zum Glück ist seit Mitte des ersten Jahrzehntes des Neuen Millenniums viel Positives geschehen in der Türkei, und dies natürlich nicht nur mit Bezug auf Erscheinungsbild oder persönliche Präferenzen, wenn es um Kleidungsstücke geht; es dreht sich vielmehr um die Modernisierung einer gesamten Gesellschaft, aber eben auch um das Kopftuch.

Von Ankara nach Berlin: Wieso will Deutschland gerade jetzt das Rad zurückdrehen? Worin liegt die Dringlichkeit? Sind Frauen mit Kopftuch etwa Menschen zweiter Klasse?

Was das neue Gesetz verbieten kann

Juristinnen und Juristen unter unseren Lesern würden wahrscheinlich zustimmen, wenn man sagt, dass ein Gesetz, bildlich gesprochen, immer auch etwas Luft nach oben mit sich führt; es beinhaltet Interpretationsmöglichkeiten.

Aber was Bundestag und Bundesrat kürzlich beschlossen haben, ist nicht nur von einer Demokratieperspektive betrachtet komplett unangebracht; es erlaubt sogar noch viel gravierendere Anwendungsmöglichkeiten, als es der gedruckte Gesetzestext vorsieht.

Knapp zusammengefasst: Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds sind nun theoretisch im Beamtendienst nicht mehr erlaubt, sie können verboten werden. Als Grundlage für ein staatliches Vorgehen gegen Staatsdiener gilt also eine vermutete Voraussetzung, dass eine neutrale Ausübung des Amtes sprich Berufes nicht mehr möglich ist.

„Starker Tobak!“, würde man in der weltoffenen Hansestadt Hamburg sagen, und von daher passt es bestens, 24hamburg vom 23. April zu zitieren: „Kopftuchverbot: Neues Gesetz vergleicht Religion mit Rechtsextremismus“.

Warum ist dieser Beitrag so relevant? In dem Artikel wird noch einmal deutlich gemacht, dass die eigentliche Ursache für das neue Gesetz ein Amtsenthebungsverfahren eines Polizisten war, der auch in Dienstkleidung (am Hals) deutlich sichtbare Nazi-Tattoos vorwies. Der Artikel zitiert dann die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahre 2017, welches sich der Dienstentfernung anschloss: „Ein Beamter, der sich mit einer Auffassung, die der Werteordnung des Grundgesetzes widerspricht, derart identifiziert, dass er sie sich in die Haut eintätowieren lässt, ist (…) nicht tragbar“.

So weit, so richtig, sollte man meinen. Vier Jahre danach scheint es jedoch so, als ob der deutsche Gesetzgeber so manches durcheinandergewirbelt hat. Im Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften gibt es nämlich Auslegungsmöglichkeiten (s.o.): Tagesspiegel.de stellte bereits am 23. April 2021 klar (…)‚ das federführende Bundesinnenministerium will es nämlich nicht bei der Regelung für Tattoos, Piercings, Schmucknarben, Bärten, Dreadlocks und Ohrtunneln belassen, sondern hat auch religiöse Zeichen in den Text aufgenommen. All diese können nun eingeschränkt oder verboten werden.

Auch EuGH mitverantwortlich

Und es kommt noch brisanter: Bereits im Februar dieses Jahres hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg per Gutachten verlautbaren lassen, dass Mitgliedstaaten „höhere Hürden“ für eventuelle Kopftuchverbote anwenden könnten; es müsse ein deutlicher Beweis für ökonomische Nachteile für den Arbeitgeber vorliegen. Aber genau solch ein Urteil lässt uns leider erneut das Thema Auslegungsspielraum anführen, denn 2017 hatte derselbe EuGH entschieden, dass ein Arbeitgeber das Kopftuch verbieten könne, wenn weltanschauliche Zeichen generell an diesem Arbeitsplatz untersagt sind (SZ berichtete am 25. Februar 2021 mit Bezug auf die Deutsche Presseagentur). Ein Kopftuchverbot sei somit u.U. keine direkte Diskriminierung.

Also können auf der einen Seite EU-Mitgliedstaaten höhere Hürden anlegen, will sagen ein Kopftuchverbot vom Prinzip her ausschließen. Auf der anderen Seite können Arbeitgeber in der EU anscheinend selbst entscheiden, ob weltanschauliche Symbole am Arbeitsplatz erlaubt sind oder nicht.

Gerechtfertigte Kritik

Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland nahm nach dem Bundestagsbeschluss und noch kurz vor dem Bundesratsbeschluss öffentlich Stellung. Mit sehr diplomatischen, aber zugleich deutlichen Worten wurde festgehalten, was eigentlich jeder modern denkende deutsche Bürger genauso bewerten sollte. Der KRM beklagte zu Recht, es habe im Vorfeld des Gesetzes keinerlei Konsultationen gegeben, und dieses Gesetz sei ein generelles Kopftuchverbot durch die Hintertür. Nach dem Beschluss im Bundestag wandte sich der KRM erneut und dann sogar per Offenem Brief an den Bundesrat und brachte vom Prinzip her eine bemerkenswerte Verteidigung aller Weltreligionen ins Gesetzgebungs-Spiel: „Die Novellierung stellt das Tragen von Kopftuch, Kippa oder eines Kreuzes unter Vorbehalt“.

Gesetz gesetzeswidrig?

Ob ein Gesetz gesetzeswidrig ist oder nicht, sollte von Juristen behandelt werden; solch eine Aussage zu machen, bedeutet nämlich, dass wir Laien uns in gefährliches „interpretationstechnisches“ Fahrwasser begeben. Es hängt in der Tat von der Art eines Gesetzes oder einer öffentlichen Entscheidung ab, ob externe Parteien wirklich angehört werden müssen oder nur können. Wenn wir an ein Bauvorhaben denken, bei dem Anliegerinteressen berührt werden, wird es mit Sicherheit die Möglichkeit geben, dass die Öffentlichkeit sich einbringt. Bei anderen Themen ist sogar eine Stakeholder-Befragung zwingend vorgeschrieben, man denke an eine Umwelt-Verträglichkeitsprüfung.

Bei anderen Gesetzen wiederum ist es sprichwörtlich der Gesetzgeber, also der Abgeordnete und die Regierung, die Texte vorschlagen und intern verabschieden können.

Dennoch ist eines glasklar: Bei einer Novellierung zu einem bestehenden Gesetz, dass wenn man alle Familienmitglieder einrechnet Millionen deutscher Bürgerinnen und Bürgern betrifft, muss es eine öffentliche sowie eine Interessenvertreter-Konsultation geben. Ansonsten sprechen wir von extrem schlechtem Politikstil.

Kopftuch Zeichen von Emanzipation, nicht Unterdrückung

Auch Männer sollten zum Thema Emanzipation Stellung nehmen. Nicht zuletzt sind wir „Ehe“-Männer und Väter von Töchtern. Einer jungen Frau zu unterstellen, die Wahl ihrer Kopfbekleidung sei Zeichen ihrer familiären Unterdrückung oder gar einer gesamtgesellschaftlichen Unterdrückung, ist eine Unverschämtheit. Zu vermuten, eine Frau mit Kopftuch plane die demokratische Grundordnung abzuschaffen, ist willkürliche Hass-Rede. Junge Frauen aufgrund eines Kopftuches von Berufen im Staatsdienst auszuschließen, ist Rassismus.

Ein Kopftuch stachelt nicht zur Gewalt an. Ein Kopftuch diskriminiert nicht. Ein Kopftuch ist ein bewusstes Symbol eines individuellen, freizügigen Lebensstils, das die Gesellschaft nicht spaltet, sondern Teil von ihr ist.

Vielleicht hätte der deutsche Gesetzgeber vertretbare Budgetmittel in eine natürlich sozial distanzierte „Fact Finding“-Reise in die Türkei investieren sollen, um dort Frauen mit und ohne Kopftuch zu Rate zu ziehen und mit eigenen Augen zu sehen wie gerade Frauen mit Kopftuch Teil der phänomenalen Demokratisierungskampagne wurden.

Oder die Novellierung ganz einfach diskret noch einmal novellieren …

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