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Der Terrorangriff in Hanau führt vor Augen, wie schwer es fällt, den Täter deutlich als islamfeindlichen Rechtsextremisten zu bezeichnen. Das Bild eines Irren überschattet die Ideologie des Täters.

Tobias Rathjen, 43 Jahre, deutsch und mit staatlicher Genehmigung hochbewaffnet, tritt vor eine Shisha Bar und schießt in die Menge. Das nächste Ziel: Ein Kiosk. Auch dort feuert er wahllos drauflos, versucht so viele Leben auszulöschen wie nur möglich. Der Täter handelt gezielt und geplant, er weiß, wo sich seine potenziellen Opfer aufhalten, wie sie aussehen. Seine rassistische Überzeugung formuliert er in seinem Manuskript sachlich und verständlich, wenn auch zutiefst menschenverachtend. Die Völker, die er - unterteilt in „Grob- und Feinsäuberung“ - „vernichten“ will, sind größtenteils außereuropäisch, und vor allem muslimisch. Das zeigen auch die gewählten Anschlagsorte und Opfer. In der medialen Aufarbeitung entsteht dennoch ein Bild eines Irren, weniger eines überzeugten Rechtsterroristen - der sich stark durch islamfeindliche Ideen radikalisierte.

Der Täter ist kein Einzelphänomen. Er reiht sich mit seiner Ideologie und Tat in eine Linie, die sich durch die ganze westliche Welt zieht – auch durch Deutschland. Nach der ungeklärten NSU-Mordserie geht der Terror weiter. Erst im vergangenen Oktober kam es zu einem rechtsextremistischen Angriff auf eine Synagoge und einen Dönerladen in Halle. In den Wochen und Monaten danach kam es zu vielen weiteren Anschlägen und Drohungen gegen Moscheen und Kulturzentren. Vor diesem Hintergrund sollte es eine untergeordnete Rolle spielen, ob die Täter innerhalb eines definierten Netzwerkes agierten oder unabhängig. Menschen und Menschengruppen können in der heutigen Zeit jahrelang unbemerkt in Internetforen miteinander kommunizieren und agieren – ganz ohne offizielle Gruppenzugehörigkeit, und ohne die eigene Identität preisgeben zu müssen oder die des Gegenübers zu erfahren. In der digitalisierten Welt sind die Grenzen schwammig.

Von der Politik erwarten Muslime eine deutliche Definition der Tat. So wie nach dem Terrorangriff auf die Synagoge in Halle Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, dass „Hass, Rassismus und Antisemitismus“ keinen Platz in unserem Land haben dürften, so sollte sie heute den Angriff in Hanau deutlicher als „islamfeindlich“ einstufen. Ebenso sollte die Dimension der Tat begrifflich nicht abgestuft oder entfremdet werden. Nach der Bezeichnung „Döner-Morde“ für die NSU-Terrorserie dürfen nun die rechtsterroristischen Tötungen in Hanau nicht als „Shisha-Morde“ in Erinnerung bleiben.

Der steigende Rechtsextremismus, vor allem der islamfeindlich motivierte, ist nicht zuletzt ein Produkt der etablierten Parteien der Bundesrepublik. Diese haben über Jahre hinweg die Warnsignale stillschweigend hingenommen und konnten die Gefahr von rechts nicht rechtzeitig erkennen. Die letzten Landtagswahlen haben gezeigt, wie stark die rechtspopulistische AfD geworden ist, die nun im bürgerlichen Gewandt islamfeindliche Ideen liefert und zum Widerstand gegen eine angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ aufruft.

Die Zivilgesellschaft ist bereit, sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie zu stellen – die Courage ist vorhanden. Sie erwartet von der Politik eindeutige Schritte und eine richtige Begriffswahl bei der Definierung von Täter, Tat und Tatmotiv. Insbesondere wenn sich Hass und Tod unverkennbar gegen Muslime richten.

Ein erstes positives Signal hierfür bot die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz. Sie schlägt die Bildung einer Expertenkommission gegen Muslimfeindlichkeit vor. Dieser Schritt könnte einen ersten wichtigen Beitrag im Kampf gegen Islamfeindlichkeit leisten.

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