Der Religionssoziologe Detlef Pollack sieht die Ursache für zurückgehende Mitgliederzahlen der großen Kirchen unter anderem in einem Traditionsabbruch sowie im Umgang mit
Missbrauchsfällen in der Kirche. Kirchlich gebundene Eltern seien immer weniger dazu bereit, ihre Kinder christlich zu erziehen, sagte Pollack am Mittwoch in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Daraus ergibt sich eine geringere Intensität der Bindung an die Kirche und eine höhere Austrittsbereitschaft der Kinder, wenn sie erwachsen werden.“
Die Kirchen müssten außerdem in vielen Bereichen, etwa in ihren Angeboten zur Begleitung der Menschen bei Lebensumbrüchen oder auch in Sinnstiftungsangeboten, mit säkularen Alternativen konkurrieren, sagte Pollack weiter. Auch die Missbrauchsfälle und der Umgang mit ihnen treibe viele Menschen aus der Kirche. „Manche wollen aber auch schlicht die Kirchensteuer sparen und sehen die Kirchenzugehörigkeit für ihre eigenes Leben als nicht so wichtig an“, betonte der Religionssoziologe.
„Wellenförmige Entwicklung“
Nach den am Mittwoch veröffentlichten Statistiken der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sank die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland im Jahr 2020 in beiden großen christlichen Kirchen weiter. Die Zahl der Protestanten ging um rund 477.000 zurück, die Katholiken verloren rund 407.000 Mitglieder. Aus der Evangelischen Kirche traten rund 220.000 Menschen aus, aus der Katholischen Kirche 221.390. Die Zahl der Austritte sank im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent bei den Protestanten und um knapp 19 Prozent bei den Katholiken.
Aktuell bewegten sich die Austrittszahlen also in einem moderaten Rahmen, erklärte Pollack. Die Austrittszahlen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte seien jedoch nicht linear ansteigend, sondern immer wellenförmig gewesen. Daher sollte man den Rückgang im Jahr 2020 nicht überbewerten.
Religiöse Sozialisation als Kind entscheidend
Für die Zukunft der Kirchen hält Pollack die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wichtig: „Die Wahrscheinlichkeit, sich als Erwachsener religiös zu definieren, hängt vor allem von der
religiösen Sozialisation ab, die man als Kind erfahren hat.“ Auch die Seelsorge sei ein zentraler Bereich. „Die Kirche hat einen reichen Schatz an Lebensweisheit, an Weltwissen, etwa wie man mit Krisen umgeht, was dem Menschen Trost und Halt gibt, was im Leben wichtig ist“.
Viele Christen würden eine Haltung zur Welt und zum Leben einnehmen, die ihnen helfe, mit den Herausforderungen des Alltags fertigzuwerden. „Die Seelsorge kann sie in dieser Haltung bestärken“, sagte der evangelische Theologe.