111 Jahre alt ist die Idee der Jugendherbergen, doch im Jahr des Schnapszahl-Jubiläums lässt die Corona-Krise viele der Häuser um ihre Existenz bangen.
„Es geht um nicht weniger als die Zukunft der deutschen Jugendherbergen. Es stehen Standorte vor dem Aus, wenn das so weitergeht“, sagt Julian Schmitz, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH) mit Sitz in Detmold. Der Grund: Zwar konnten 288 der bundesweit rund 450 Häuser nach der wochenlangen Corona-Zwangspause wieder öffnen, doch das traditionelle Kerngeschäft der Herbergen mit Klassenfahrten und Gruppenreisen ist nahezu vollständig weggebrochen. „Wir gehen von mehr als 180 Millionen Euro fehlenden Einnahmen aus - und das ist der Stand, den wir bis Anfang Juni beziffert haben“, sagt Schmitz. Normalerweise beträgt der Jahresumsatz laut Bundesverband etwa 385 Millionen Euro. Allein das Segment der Schul- und Klassenreisen macht 40 Prozent des Umsatzes aus. Das DJH sei auf weitere staatliche Hilfe angewiesen. Einige Herbergen werden aus Landestöpfen bereits unterstützt, außerdem können die Unterkünfte auf Überbrückungshilfen aus dem Anfang Juli beschlossenen Corona-Hilfsogramm des Bundes setzen: Erstattet werden fixe Betriebskosten bis zu einem Betrag von 150.000 Euro. „Das hilft aber definitiv nicht auf Dauer. Da müsste mehr kommen“, sagt Schmitz. Sorge bereite ihm die Zeit nach den Sommerferien. Die Herbstmonate seien traditionell die Zeit der Klassenfahrten. Doch einige Bundesländer stehen auf der Bremse. Besonders rigoros ist etwa Bayern: Dort sollen mehrtägige Schülerfahrten bis einschließlich Januar 2021 ausgesetzt bleiben. Der dortige DJH-Landesverband pocht daher in einer aktuellen Mitteilung auf stärkere Lockerungen bei der Frage. Sonst sei trotz bereits zugesagter Landeshilfen der Fortbestand mehrerer Häuser bedroht.
Umsetzung der Hygienestandards verursacht Zusatzkosten
Weil Lehrer und Eltern möglicherweise verunsichert seien, blieben die Reservierungen für Schülerreisen und andere Gruppen auch dort aus, wo sie durchaus erlaubt seien, sagt Schmitz. Es gibt weitere Herausforderungen. Nicht nur die Umsetzung der Hygienestandards verursacht Zusatzkosten. Durch die Corona-Auflagen kann - selbst bei starker Nachfrage - nicht immer jeder Flur voll belegt werden, etwa wenn es nur Gemeinschaftsbäder gibt, wie es aus den Landesverbänden heißt. «Wenn Sie ein Fünf-Bett-Zimmer mit zwei Personen belegen, ist das oft unwirtschaftlich», sagt Schmitz.
In die Attraktivität der Häuser investieren
Manche der Häuser bleiben daher weiter geschlossen, wenn ihr Betrieb deutlich größere Lücken reißen als Einnahmen generieren würde. Andere müssen dicht bleiben, weil die baulichen Voraussetzungen Infektionsschutz schwierig machen. Als von gemeinnützigen Landesverbänden getragen, haben die Herbergen keine nennenswerten Rücklagen, was zusätzlich notwendige Instandhaltungen und Renovierungen in Frage stellt. „Wenn wir nicht in die Attraktivität der Häuser investieren können, bricht die Nachfrage ein. Da kann sich schnell eine Abwärtsspirale entwickeln“, befürchtet Schmitz.
Dabei funktioniert das Prinzip DJH grundsätzlich auch nach mehr als hundert Jahren stabil - wenn die Pandemie nicht wäre. Der seit Jahren vorangetriebene Image-Wandel weg vom kargen Doppelstock-Bett-Klischee hin zum attraktiven Freizeitziel für Gruppen und Familien scheint aufzugehen. 2019 gab es mit 9,76 Millionen Übernachtungen ein leichtes Plus im Vorjahresvergleich; die Mitgliederzahl kletterte um 25 000 auf knapp unter 2,5 Millionen.
Im Werben um zusätzliche Hilfen verweisen die Jugendherbergen auch auf ihre gesellschaftliche Relevanz. Völkerverständigung, Demokratiebildung, Gemeinschaft, Inklusion - für all diese Werte will das Jugendherbergswesen stehen. „Und das auch an Orten, die touristisch nicht der Nabel der Welt sind“, fügt Schmitz hinzu. Diese dürften im Zweifelsfall besonders von Schließungen bedroht sein. „Das ganze Netz ist wichtig, sonst wankt das ganze Selbstbild, dass wir ein flächendeckendes Netz anbieten können, das auch in die ländlichen Regionen reicht und für alle etwas bietet“, sagt Schmitz.